»Man blickt in das Schicksal der Menschen hinein«

Portrait Frank Steuer, AETAS: Junger Mann mit Bart und schwarzen kurzen Haaren lächelt freundlich in die Kamera
Frank Steuer, Thanatopraktiker.
Foto: AETAS

Frank Steuer ist Thanatopraktiker und Bestatter beim Bestattungsinstitut AETAS. Dort versorgt er Verstorbene so, dass die Hinterbliebenen Abschied am offenen Sarg nehmen können. Im Interview erzählt er, was genau er als Thanatopraktiker tut und wie er über seine Arbeit denkt.

Was genau machst du denn als Thanatopraktiker?

Bei der Thanatopraxie geht es darum, Verstorbene einzubalsamieren, um sie für einen gewissen Zeitraum zu konservieren. Das können bis zu drei Wochen sein. Man reichert den Körper mit Flüssigkeiten an, sodass der Verstorbene für den Abschied würdevoll aussieht. Wenn der Verstorbene sehr blass oder durch den Verwesungsprozess schon leicht grünlich aussieht, kann man ihn mit Hilfe von Farbstoffen wieder normal aussehen lassen. Auch eingefallene Augäpfel und starke Austrocknungen können durch die Anreicherung mit Flüssigkeit wieder revidiert werden.

Auch Rekonstruktionen gehören zu meiner Arbeit. Wenn jemand schwere Verletzungen hat, weil er bei einem Verkehrsunfall oder durch andere Arten von Gewalteinwirkung gestorben ist, versorge ich ihn so, dass die Angehörigen Abschied nehmen können. Die meisten Bestatter und oft auch die Polizei sagen oft, das sei vollkommen unmöglich. Aber es geht eben schon. Man muss sich nur Mühe geben. Das dauert dann vielleicht ein, zwei Tage. Dann sitze ich in meinem Keller und muss schauen, dass ich das alles wieder gut hinbekomme. Das ist Thanatopraxie. Man macht das Beste draus, um den Abschied zu ermöglichen – egal, in welchem Zustand die Menschen sind. Und da macht man alles, was geht – nähen, rekonstruieren, Maskenbildnertum, schminken.

Wie kommt man auf so einen Beruf?

Bestatter wurde ich, weil ich Zivildienst in der Pathologie gemacht habe. Ein Kumpel hat damals dort gearbeitet und sagte: Schau halt mal vorbei. So bin ich da irgendwie reingerutscht. Die ersten paar Tage fand ich schon gruselig: Füße mit Zehenzetteln, Leichen mit Tuch drüber, Assistenz bei Obduktionen. Aber nach ein paar Tagen ist das normal. Dann kam ich zu AETAS, habe hier die Ausbildung zum Bestatter gemacht und gemerkt, wir könnten in Sachen Abschied noch viel mehr machen, wenn wir uns noch ein bisschen mehr Mühe geben würden. Aber keiner traut sich an die Materie ran, wenn man zum Beispiel einen S-Bahn-Suizid hat. Da sagt dir jeder normale Mensch, das geht nicht. Ich habe mich dann doch drangewagt, und siehe da: Wenn man sich Mühe gibt, dann geht es eben doch. Dauert halt nur. Also habe ich die Ausbildung zum Thanatopraktiker gemacht. Es gibt auch nicht viele Thanatopraktiker, hier bei AETAS bin ich auch der einzige.

Gibt es Fälle, die dich verfolgen?

Viele fragen mich, ob ich Albträume habe. Ich weiß nicht, welche Art Albträume sich die Leute vorstellen. Ich glaube, ich habe genau dieselben Träume, die andere von ihren Jobs auch haben. Journalisten haben bestimmt Journalistenalbträume – morgen ist Abgabe, und man wird nicht fertig. Sowas träume ich schon mal – dass ich dasitze und es einfach nicht hinkriege, und in einer Stunde ist schon der Abschied. Das sind eben ganz normale jobbezogene Albträume. Klar träume ich auch von Toten, aber die sind ja auch mein Alltag. Das ist dann nicht unheimlich, denn das ist ja normal für mich.

Denkst du viel über deinen eigenen Tod nach?

Ja, schon. Ich habe keine Ahnung, was kommt, und ich glaube, die Frage ist auch ziemlich sinnlos. Das kommt ja dann eh auf einen zu. Vielleicht ist es ein riesiges Abenteuer, vielleicht auch nicht. Aber ich denke, man solle damit aufhören, sich solche Fragen zu stellen und sich mit wichtigeren Sachen beschäftigen. Bringt ja nichts. Du wirst es nicht rausfinden. Aber als mein Vater mir neulich gesagt hat, dass er Angst vor dem Tod hat, das hat mich schon berührt. Ich selbst habe keine Angst.

Lebt man bewusster, wenn man täglich mit dem Tod zu tun hat?

Ich glaube, ich lebe auch nicht bewusster oder gesünder. Nur, wenn du einen Toten in genau deinem Alter hast, dann denkt man schon: Das könnte jetzt auch ich sein. Das sind die Momente, in denen einem die eigene Sterblichkeit bewusst wird. Man wird realistischer und hört auf zu denken, sowas könnte einem nicht passieren. Man merkt, dass der Tod zwar jedes Mal hart aber irgendwie normal ist. Für viele Menschen ist sterben an sich schon komisch. Wer stirbt heutzutage noch? Aber für uns ist das einfach normal, es ist das, was passiert.

Welche Beziehung entsteht zwischen dir und dem Verstorbenen, den du versorgst? Was bewegt dich da?

Generell blickt man tief in das Schicksal der Menschen hinein. Da fragt man sich schon, was passiert ist, dass es zu so etwas kommen konnte. Was da schiefgegangen ist. Man denkt auch darüber nach, was das für die Familie bedeutet und wie schlimm das für sie ist. Wenn ein Kind gestorben ist, denkst du an die Eltern. Da sitzt man dann da, kleidet das Kind an, macht es hübsch und denkt daran, wie das wohl für die Eltern sein wird, wenn sie ihr Kind gleich sehen. Dann gibt man sich entsprechend Mühe. Insofern entsteht schon eine Beziehung, indem man über das Leben dieses Menschen nachdenkt. Aber man macht sich auch nicht jedes Mal riesige Gedanken. Das geht gar nicht. Klar behandelt man die Leute immer würdevoll. Du weißt, das ist ein Verstorbener mit einer Geschichte, und so behandelst du ihn auch. Meistens ist das einfach rein professionell. Es gibt aber eben immer einzelne Fälle, die dich besonders berühren. Jugendliche, Kinder, Suizide.

Wie lange brauchst du denn, um einen Verstorbenen für die Verabschiedung herzurichten?

Normalerweise eine halbe bis eine ganze Stunde. Außer es ist eine Rekonstruktion, das kann bis zu zwei Tage dauern. Aber das normale Prozedere mit waschen, Wunden versorgen und ankleiden und vielleicht ein bisschen schminken dauert höchstens eine Stunde.

Erfüllt dich die Arbeit?

Ja. Ich mache das jetzt seit zehn Jahren. Es ergibt Sinn. Viele Freunde, die in der Werbebranche arbeiten, hören irgendwann auf, weil sie nicht mehr verstehen, wofür sie das tun. Viele suchen dann was anderes, Sinnerfülltes. Für mich war der Sinn immer gegeben. Du weißt, dass du den Menschen einen Abschied ermöglichst und sie sehr dankbar dafür sind. Und damit ist es dann gut. Eine Kollegin hier war vorher bei der Bank. Richtig dickes Gehalt. Trotzdem dann hat sie das irgendwann einfach abgebrochen und kam zu AETAS. Das hier ist halt eher ein sozialer Beruf, und man verdient nicht so viel. Das geht auch nicht, denn wir wollen den Angehörigen nicht so viel berechnen. Da muss man eben damit klarkommen, dass man mehr Sinn hat für weniger Geld. Was in München natürlich nicht so einfach ist. Dafür hast du hier andere Menschen um dich. Keine Ellenbogen, keine Leute, die sich profilieren müssen, um irgendwohin zu kommen. Hier arbeitet jeder für etwas, anstatt gegeneinander. Und keiner muss wohin.   

Ist Bestatter ein stressiger Beruf?

Hier gehts schon ziemlich rund zurzeit. Das ist komisch, denn man könnte meinen, Bestatter sei so ein entspannter Beruf – die Leute laufen ja nicht mehr weg. Aber du hast einen Termin nach dem anderen. Am Friedhof laufen die Bestattungen ja auch im Viertelstundentakt. Das ist Terminarbeit. Wir haben nur Termine. Das ist manchmal schon anstrengend.

Letzte Wege: Abschied – Beitrag über das Bestattungsinstitut AETAS

Interview mit Trauerbegleiterin Nicole Rinder