Ganfouda-TODESANSTALT

Die Überlebenden nennen es Ganfouda Death Camp. Dieses Flüchtlingsgefängnis befindet sich in der Nähe von Bengasi, der zweitgrößten Stadt Libyens.

Alle Flüchtlinge, die aus Westafrika und vom Horn von Afrika kommend die Sahara überquert haben, werden dort festgehalten. Die meisten Insassen wurden von sudanesischen Schmugglern dorthin verkauft, denen die Flüchtlinge zuvor bereits hohe Summen gezahlt hatten. Das Gefängnis wird vom libyschen Militär verwaltet, die gleichzeitig als Schmuggler fungiert.

Unberechenbar und lebensgefährlich

Die Haftbedingungen sind unberechenbar und lebensgefährlich. Jeder, der ankommt, muss seine persönlichen Gegenstände wie Schmuck, Geld, Handy oder Ausweis abgeben. Der Ort ist für die Menschen ein Albtraum. Man kann mit Worten kaum beschreiben, was Flüchtlinge in Ganfouda durchmachen, besonders Frauen. Die schlimmste Tat im menschlichen Leben wird in dieser Todesanstalt praktiziert. Zwei Menschen, die diesen Ort überlebt haben, berichten im Folgenden.

Sie hatten Glück und konnten gegen ein Lösegeld freigekauft werden. „Eigentlich kann man nicht von einer Freilassung sprechen. Richtig müsste es heißen, wenn man Glück hat, wird man den Mittelmeerschmugglern übergeben“, sagt die überlebende Samiya S.* aus Äthiopien, die heute in Fürth lebt. Sie sagte, das Lösegeld werde hauptsächlich von Verwandten erpresst.

 AN: Aselamu Aleykum.

Samiya S.: Wa-aleykum Aselam, wollen Sie Mittagessen? Ich habe äthiopisches Essen gekocht.

AN: Nein, danke! Ich möchte nur ein Glas Wasser.

Samiya S.: Natürlich, hier, nehmen Sie!

AN: Ist er ihr Sohn? Er spricht mit sich selbst.

Samiya S.: Nein, er ist nicht mein Sohn, ich habe ihn aus Libyen mitgebracht. Seine Mutter starb in Ganfouda, nachdem sie vergewaltigt worden war.

AN.: Wie bitte?

Samiya S.: 2017 war er acht Jahre alt, als alles passierte. Drei libysche Schmuggler vergewaltigten seine Mutter vor seinen Augen, weil sie sich nicht von ihrem Sohn trennen wollte. Er ist jetzt 13 und seitdem psychisch krank.

AN: Warum müssen sich Mutter und Kind dort trennen?

Samiya S.: Das ist eine lange Geschichte. Etwa 70 Flüchtlinge aus Äthiopien, Eritrea und Somalia kamen in Begleitung sudanesischer Schmuggler nach Bengasi und wurden libyschen Schmugglern übergeben. Tatsächlich verließen etwa 110 Menschen den Sudan mit uns nach Libyen. Viele waren schwach und krank und konnten es deshalb nicht nach Libyen schaffen.

AN: Diejenigen, die es nicht geschafft haben, wo sind sie heute?

Samiya S.: Sie wurden in der Sahara zurückgelassen. Ein paar Kranke wurden von Schmugglern erschossen, weil sie kein Geld mehr einbringen und somit nichts wert sind. Deshalb will sich niemand um sie kümmern.

AN: Bitte erzählen Sie weiter!

Samiya S.: Die libyschen Schmuggler brachten uns nach Ganfouda. Dort hat man uns Frauen und die Männer getrennt. Ungefähr vier Stunden, nachdem wir in der Frauenhalle angekommen waren, kamen viele ältere Leute und sahen uns an. Wohlhabende libysche alte Männer kaufen Frauen als Sexsklavinnen. An diesem Tag wurden sieben von 21 Frauen verkauft. Die Mutter des Jungen weigerte sich und wurde daher an diesem Abend von drei Milizen brutal vergewaltigt und schwer verletzt. Sie starb eine Woche später, weil sie keine medizinische Behandlung erhielt.

AN: Wie haben Sie überlebt?

Samiya S.: Ich wurde nach zwei Wochen auch verkauft. Ich bat den älteren Mann, der mich gekauft hatte, den Kleinen abzuholen, der seine Mutter verloren hatte, weil ich Angst hatte, die Schmuggler würden ihn töten. Zum Glück hat er ihn abgeholt. Nach zwei Monaten konnte ich mit dem Jungen aus dem Haus fliehen. Ich rief meine Schwester in Dubai heimlich vom Festnetztelefon an und sie fand äthiopische Schmuggler in Libyen, um mich aus dem Haus zu holen.

Musa M. aus Äthiopien war ebenfalls in Ganfouda inhaftiert. Er war dort eingesperrt, wurde gefoltert und hat schlimme Erlebnisse zu erzählen.

AN: Hallo Musa, danke, dass Sie bereit sind, mit mir über Ganfouda zu sprechen.

Musa M.: Hallo, es freut mich, über Ganfouda berichten zu dürfen.

AN.: Geht es Ihnen gut? Können wir anfangen?

Musa M.: Ja, selbstverständlich.

AN: Welche Erinnerungen haben Sie an Ganfouda?

Musa M.: Ich habe dort meinen Cousin verloren. Er wurde erschossen, weil er krank war.

AN: Warum wird jemand getötet, weil er krank ist?

Musa M.: Anfang 2018 haben wir, etwa zwölf Personen, den Sudan nach Libyen verlassen.  Zwei bewaffnete sudanesische Schmuggler begleiteten uns. Ich und mein Cousin waren auch dabei. Mein Cousin wurde in der Wüste durstig. Er beschwerte sich, dass er kein Wasser bekomme und sagte, er habe dafür bezahlt. Die Schmuggler waren verärgert und haben ihn brutal geschlagen. Als wir im Todeslager Ganfouda ankamen, konnte sich mein Cousin nicht mehr alleine bewegen. Er war vollkommen erschöpft. Danach hatte er zwei Tage lang wenig zu essen und erhielt keine medizinische Behandlung. Am dritten Tag fing sein Körper an zu stinken. Die anderen Insassen beschwerten sich bei der Miliz, dass die Zelle stinke und forderten medizinische Behandlung für meinen Cousin.

Der Chefschmuggler

Ein Chefschmuggler und zwei nigerianische Flüchtlinge, die von der Miliz für Reinigungsarbeiten eingesetzt werden, holten ihn aus der Zelle ab. Der Chefschmuggler sagte, sie hätten ihn ins Krankenhaus gebracht. Seitdem ist er nicht zurückgekehrt. Während meiner zwei Monate im Gefängnis habe ich immer wieder nach meinem Cousin gefragt. Vergeblich! Manchmal wurde ich deshalb brutal geschlagen.

AN: Ist er im Krankenhaus gestorben?

Musa M.: Nein. Ich habe während der Überfahrt nach Italien einen Nigerianer auf dem Boot getroffen. Er erzählte mir, dass sie ihn an dem Tag, an dem mein Cousin abgeholt wurde, zu einem Grab in der Nähe des Todeslagers Ganfouda transportierten. Mein Cousin wurde vom Chefschmuggler am Rand des Grabes erschossen. Den Rest der Arbeit, nämlich die Beerdigung, mussten die beiden Nigerianer erledigen. Danach wurde ihnen gedroht und verboten, jemandem davon zu erzählen.

AN: Wie haben Sie sich befreit?

Musa M.: Mein Bruder aus Saudi-Arabien zahlte 1200 Euro Lösegeld.

Nachdem sie Bengasi verlassen hatten, reisten Samiya und Musa mit Hilfe von Mittelmeer-Schmugglern mit Schlauchbooten nach Italien. Am Ende sind sie in Deutschland gelandet und leben seit Jahren in Bayern. Sie berichteten vom massiven Druck der Ausländerbehörden. Angeblich hätten sie keine Perspektive und keine ausreichenden Asylgründe. „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will keine Geschichten über den Fluchtweg hören“, sagten beide Gesprächspartner. Selbst die Situation in Äthiopien wird als Asylgrund trotz grausamer Menschenrechtsverletzungen, Elend und Krieg nicht anerkannt.

„Nur etwa 30 Prozent schaffen es nach Europa. Niemand kennt das Schicksal der restlichen 70 Prozent. Viele sterben in der Wüste, in Gefängnissen oder ertrinken im Mittelmeer. Die Überlebenden erzählen viele schreckliche Geschichten. Das Trauma afrikanischer Flüchtlinge wird durch das Verbot von Bildung, Jobs und Chancen verschlimmert. Es muss besser werden. Rechtsstaatlichkeit muss mit Menschlichkeit verankert werden“, sagt die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin Fetiya Abamecha M. aus München.