Rückkehr eines Untoten
Eine Filmkritik von Constanze Eder
„The Revenant“ bietet was fürs Geld: Über zweieinhalb Stunden wird in Alejandro González Iñárritus Drama gehungert und gefroren, gekämpft und getötet, zerfleischt und geschunden. Und sobald der Zuschauer denkt, es geht nicht mehr, dann kommt von irgendwo die nächste Katastrophe her. Das Survival-Epos um einen Trapper im Amerika des frühen 19. Jahrhunderts beruht auf einer wahren Geschichte. Und es ist nichts für zarte Gemüter. „Leben?“, fragt einer der Pelztierjäger bitter. „Ich lebe nicht – ich versuche zu überleben.“
Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) leitet eine Expedition von Pelztierjägern in den Rocky Mountains. Bei einem Indianerangriff werden Dutzende der Jäger von Pfeilen durchbohrt und getötet, nur einer Handvoll gelingt mit Glass die Flucht. Kurz darauf wird der Trapper beim Angriff einer Grizzlybärin lebensgefährlich verletzt. Als Anführer der Truppe taugt er nicht mehr, die Rückkehr zum sicheren Fort erscheint mit dem Schwerverletzten unmöglich. Glass wird von den Gefährten in der Wildnis zurückgelassen, sein Halbblutsohn ermordet. Wider Erwarten überlebt Glass jedoch – und macht sich auf den Rückweg, um Rache zu nehmen.
DiCaprios erster Oscar – für besondere Tapferkeit am Set
Leonardo DiCaprio spielt die Hauptrolle mit vollem Körpereinsatz. Er robbt und friert und stöhnt, er verschlingt rohe Eingeweide und schläft im Bauch seines toten Pferdes. „Der Dreh war die schlimmste Erfahrung meines Lebens“, sagt DiCaprio. Um größtmögliche Authentizität zu erreichen, hat Iñárritu nicht im Studio gedreht. In Kanada und Argentinien setzte er seine Crew körperlichen Extremsituationen aus. „Ohne das wären wir vielleicht nicht zur Wahrheit vorgedrungen“, meint der Regisseur.
Der von Iñárritu angestrebte Naturalismus wirkt jedoch so dick aufgetragen, dass DiCaprio manchmal wie ein Untoter über die Leinwand robbt. Weniger wäre hier mehr gewesen. Strapazen auszuhalten ist zwar bewundernswert, der Verzehr von roher Bisonleber qualifiziert aber noch nicht für einen Oscar. Es ist schade, dass Leonardo die lang ersehnte Auszeichnung ausgerechnet für einen Film erhalten hat, bei dem für subtile Schauspielkunst so wenig Platz ist.
Seine Stärke zeigt der Film dort, wo er die Naturgewalten fühlbar macht. In langen Einstellungen setzt Kameramann Emmanuel Lubezki den Bildern von Dreck, Blut und Elend immer wieder die überwältigende Schönheit der Natur entgegen. Dass diese Natur nicht freundlich ist, versteht sich von selbst. Doch der tosende Fluss Missouri in einer endlosen, verschneiten Wald- und Berglandschaft sagt mehr über die Verlorenheit des Menschen in der Wildnis als jede Aneinanderreihung von Actionszenen. Lubezki erhielt dafür seinen dritten Oscar in der Kategorie „Beste Kamera“. Er ist der wahre Star des Films.
Regie: Alejandro González Iñárritu
Drehbuch: Mark L. Smith, Alejandro González Iñárritu
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domnhall Gleeson, Will Poulter, Forrest Goodluck
Produktion: New Regency Pictures, Anonymous Content, Appian Way
Verleih: Twentieth Century Fox
Länge: 156 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
Start: 6. Januar 2016