„Wir müssen an den höheren Löhnen für Ältere rütteln“
Eine Entlassung ist psychisch so belastend wie eine Scheidung oder der Tod eines nahen Verwandten. 2014 waren die 45- bis 55-Jährigen mit 473.000 Erwerbslosen die zweitgrößte Gruppe der Arbeitssuchenden in Deutschland. 303.000 von ihnen wurden durch Entlassung arbeitslos. Besonders für Arbeitnehmer über 40 ist die Rückkehr in die Arbeitswelt schwer. Dr. Alexander Spermann, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut für Zukunft der Arbeit in Bonn, erklärt Stephanie Kmitt, was man gegen Altersdiskriminierung am Arbeitsmarkt tun kann.
Herr Doktor Spermann, warum werden so viele Menschen über 45 Jahre entlassen?
Ich kann nicht bestätigen, dass ältere Arbeitnehmer bei Entlassungen als Erste gehen müssen. Das Problem ist eher: Wenn Ältere entlassen werden, kommen sie schwer wieder rein. Das hat mit zwei Dingen zu tun: Wir haben in Deutschland ein System der Senioritätsentlohnung. Das heißt, ältere Arbeitnehmer verdienen automatisch mehr, sind also teurer für den Arbeitgeber. Zum anderen: Je älter sie sind, umso höher ist ihr Anspruchslohn (der Lohn, zu dem ein Arbeitnehmer gerade noch bereit ist, seine Arbeitskraft anzubieten; Anmerkung der Red.). Das macht die Einstellung von Älteren schwieriger. Selbst wenn Arbeitnehmer über 40 bereit sind, für einen geringeren Lohn einzusteigen, vermutet der Arbeitgeber, dass sie mit dem Gehalt bald unzufrieden sein werden und Forderungen stellen.
Welche Möglichkeiten gibt es für Arbeitssuchende über 40 auf dem Arbeitsmarkt?
In Deutschland gelten erst Arbeitnehmer 50+ als ältere Arbeitnehmer, zumindest was die Förderprogramme angeht. Fallen sie als über 40-Jährige aus dem Unternehmen raus, sollten sie zuerst alle Wege der Arbeitssuche ausschöpfen.
Und wenn das nicht klappt?
Klappt das nicht, gibt es keine spezielle Strategie, sondern dann geht es um Grundsatzentscheidungen. Wenn ich rausfliege und denke: Das ist trotzdem genau mein Bereich, das macht mir Spaß, dann werde ich alles tun, um im selben Umfeld einen neuen Arbeitgeber zu finden. Wenn ich aber denke: Mein Beruf passt nicht mehr zu mir, dann muss ich einen Neustart wagen und bereit sein, Abstriche beim Gehalt zu machen. Wenn sie mit über 40 nochmals eine Ausbildung machen, dann sind sie nach drei bis vier Jahren für den Arbeitsmarkt wieder attraktiv. Allerdings fangen sie wieder mit dem Gehalt an, das man direkt nach der Ausbildung bekommt.
Kennen Sie Unternehmen oder Initiativen, die gezielt älteren Arbeitnehmern eine Chance geben?
Die Bank ING Di-Ba Frankfurt nutzt es als Marketingargument, Azubis 50+ einzustellen. Es gibt auch Pflegeinstitute, die ältere Menschen gezielt als Pflegekräfte ausbilden, weil es da einen Fachkräftemangel gibt. Aber das sind Einzelbeispiele. Einen Trend kann man daraus nicht ableiten.
Früher Grafikdesignerin – jetzt Altenpflegerin. Jeder kennt Fälle, in denen sich Arbeitnehmer 40+ entschlossen haben, eine zweite Ausbildung zu starten. Ist das ein Trend?
Einen Trend sehe ich dabei überhaupt nicht. Das sind eher Einzelfälle.
In den USA laufen Bewerbungen völlig anonymisiert ab, das heißt auch, das Geburtsdatum wird nicht angegeben. Könnte das auch in Deutschland älteren Bewerbern helfen?
Bei empirischen Forschungen wurde nachgewiesen, dass diejenigen, die eher weiß sind, eher Inländer oder eher jünger, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bekommen. Aber es reicht nicht, zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Vor Ort kommen die Karten sowieso auf den Tisch. Anonyme Bewerbungen, ohne Altersangabe, sind daher keine Lösung. Die Diskriminierung kann man nicht durch Tricks umschiffen, sondern wir brauchen Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter fair und unabhängig von Diskriminierungsmerkmalen wertschätzen und einstellen.
Wie kann dieser Altersdiskriminierung vorgebeugt werden?
Arbeitsmarktpolitisch könnte man gegen Altersdiskriminierung eine Menge machen. Es muss nicht automatisch so sein, dass Ältere mehr verdienen als Junge – sondern das Gehalt könnte von der individuellen Leistung abhängen. Ältere müssen dann halt aushalten, dass sie vielleicht weniger verdienen als jüngere Kollegen.
Und sonst?
Man könnte auch sämtliche Vorruhestandsregelungen über Bord werfen, die es für Arbeitnehmer und Arbeitgeber attraktiv machen, frühzeitig auszusteigen, wie zum Beispiel die Rente mit 63. Oder das fixe Ruhestandsalter von 65 oder 67 aufheben. Es wäre dann eine freie Entscheidung der einzelnen Menschen, wie lange sie arbeiten wollen, und nicht im Arbeitsvertrag festgelegt. Das würde es für Arbeitgeber attraktiver machen, Menschen über die Regelaltersgrenze hinweg zu beschäftigen. Auch Aufklärung hilft: Wir wissen aus der Forschung, dass gemischte Teams aus jung und alt produktiver sind als rein junge oder alte Teams.
Was sollen arbeitslose Menschen über 40 machen, wenn sie wieder in Arbeit kommen wollen?
Wenn man arbeitslos wird, besteht durch Demotivation und Perspektivlosigkeit eine Absturzgefahr bis hin zur Depression. Man muss daher alles tun, um in dieser Situation psychisch stabil zu bleiben. Dazu gehören eine feste Tagesstruktur und ein gutes soziales Umfeld.
Und dann sind die Chancen gut?
Jedes Unternehmen will den voll motivierten, gut gelaunten Mitarbeiter, und da es immer Auswahl gibt, sind die psychischen Faktoren heute extrem wichtig. In einem Vorstellungsgespräch zählen Gelassenheit und Selbstsicherheit. An diesen Punkten sollte in Arbeitslosenprogrammen und Kursen viel mehr gearbeitet werden.