Bauernhof sucht Frau
Ein Erfahrungsbericht von Ruth Alexander
Seit 1996 vermittelt die Bergbauernhilfe Südtirol freiwillige Helfer zu Bergbauernfamilien, die ihre Höfe unter schwierigen Bedingungen bewirtschaften. Die Freiwilligen helfen bei der Ernte, im Haushalt, bei der Betreuung von Kindern, älteren und behinderten Menschen. Die Autorin war im Juni 2015 eine Woche als Helferin bei einer Familie im Gadertal. Ein Erfahrungsbericht.
Abenteuer – sich auf etwas einlassen, das einem fremd ist. Nicht zur Selbstverwirklichung, sondern in erster Linie, um zu helfen– bei der Heuernte. Das Abenteuer liegt nur 245 Kilometer südwärts, in einem Tal, das bis zum 20. Jahrhundert nur per Steig oder Eselskarren erreichbar war.
Noch immer ist die Straße ins Gadertal eng und kurvig – für die Südtiroler Busfahrer aber tägliche Routine. Unglaublich, dass sich in so einem Tal überhaupt Menschen ansiedeln konnten. Aber nachdem die engen Schluchten durchquert sind, tut sich eine neue, eigene Welt auf. Herma, Giacomo und Peter sind auf meine Hilfe angewiesen. Und ich bin bereit, mich auf sie einzulassen.
Herma und Giacomo sind die Alt-Bauern, beide um die 70 Jahre alt. Peter, ihr ältester Sohn, der Jung-Bauer, ist Single. Eine junge Bäuerin fehlt. Die beiden Töchter von Herma und Giacomo sind schon eine Weile aus dem Haus und mit Laden und Restaurant im Tal selbstständig.
Beiderseitige Neugier
Ich bin vor allem für Herma da, für die die Situation auch ein gewisses Abenteuer birgt, denn ich bin ihre erste Helferin, vermittelt von der Bergbauernhilfe in Bozen. Eine Woche liegt vor uns, beide sind wir neugierig und offen. Wir sind uns auf den ersten Blick sympathisch und landen gleich beim „Du“.
Zum Mittagessen in der Wohnküche staune ich nicht schlecht – ich bin unter Ladinern, einer Volksgruppe in Südtirol. Hermas spontane Zusicherung, in „meiner“ Woche nur deutsch zu sprechen, bleibt Wunschdenken. Zu sehr ist die Familie in den romanischsprachigen Dialekten verhaftet.
Auch nach einer Woche erschließen sich nur minimale Ansätze des Verstehens aus dem Zusammenhang. Die Familie gibt sich Mühe, Deutsch zu sprechen, sobald ich in das Gespräch einbezogen werde. Gelingen tut es nicht immer.
Lebensmittelpunkt auf 1500 Meter
In der Vorabinformation der Bergbauernhilfe heißt es, man verbringe den Alltag und das Familienleben mit den Gastgebern. Wo steht was in Küche und Speis? Was, du bügelst sogar die Unterwäsche? Zweimal am Tag warmes Essen. Letzteres war wohl das Ungewöhnlichste. Aber es muss sein. Bei so viel körperlicher Arbeit, an sechs Tagen in der Woche, reicht den Männern Brot und Speck am Abend nicht. Nach einem langen Arbeitstag, der meistens gegen 20 Uhr endet, wenn die Arbeit im Stall erledigt ist, gibt’s die zweite warme Mahlzeit.
Der Hof – an die Hänge der Ortschaft Wengen auf 1500 Meter wie ein großes Vogelhaus gesetzt, steht da, wo ein wenig ebener Boden es zulässt. Es ist Giacomos Geburtshaus, Herma stammt von einem Bauernhof auf der gegenüberliegenden Seite des Tals. Nur einmal hat Giacomo den Hof für zwei Wochen verlassen, zur Kur nach Meran. Wen wundert’s da noch, dass er kaum Deutsch spricht (dafür aber umso mehr versteht …).
Fremde Religionen und tiefer Glaube
Es gibt Dinge, von denen hier oben noch keiner gehört hat. Zum Beispiel, dass es evangelische Christen gibt und eine auch noch leibhaftig vor ihnen steht. Das löst sehr großes Erstaunen aus. Denn die Ladiner sind katholisch. Meine Beschreibung der religiösen Unterschiede, beschränke ich auf: Frauen dürfen Pfarrerin werden, und Pfarrerinnen und Pfarrer dürfen heiraten. Daraufhin macht Herma den Zölibat schnell als möglichen Grund für den Nachwuchsmangel unter katholischen Priestern aus.
Jede Mahlzeit wird mit einem Gebet gesegnet – auf Ladinisch natürlich. Kruzifixe und das Bild eines Heiligen, von dem ich noch nie gehört habe, schmücken die Wände in Stube, Küche, Schlafzimmern. Die für mich fremde Religiosität gibt ihnen Halt.
Hausarbeit, Feldarbeit, Handarbeit
Ich helfe Herma viel im Haus, beim Kochen der Südtiroler Gerichte, Bügeln, Saugen. Wie viele Fenster das Bauernhaus hat, merke ich erst, als ich mich anbiete, sie alle zu putzen. Unmöglich, das an einem Tag zu schaffen, zumal ab dem dritten Tag auch noch die Heuernte ansteht, wenn das Gras trocken ist. Maschinen nehmen den menschlichen Händen viel Arbeit ab, auch an den steilen Hängen, die die Südtiroler Bergbauern bewirtschaften. Beeindruckend ist der Mäher: ein Lenker wie bei einer Harley Davidson, nur noch breiter, und zwei Räder mit extrem scharfen und hohen Zähnen.
So kann das Gerät selbst am steilsten Hang nicht umkippen. Jung-Bauer Peter bedient ihn im Schlaf, genauso wie Graswender und Heuwagen, hinter denen wir aufräumen. Nur wenn es ganz steil wird, müssen Giacomo mit der Sense und wir mit dem Rechen ran. Giacomo und Herma kennen die Zeiten ohne Maschinen noch aus ihrer Kindheit. Da musste jede Hand mithelfen, auch wenn sie noch so klein war. Giacomo macht immer noch viel mit den Händen, die Maschine zum Holzscheitehacken hat er schon zu gut kennengelernt. An einer Hand fehlen ein paar Fingerkuppen, wie er mir fast stolz zeigt.
Zwei Küken und ein Kälbchen
Toll finde ich den Holzherd, in dem diese Scheite landen. Er funktioniert einwandfrei, Holz ist genug da, denn die Familie hat mehrere Hektar Wald. Und jetzt macht der Herd an den ersten, kälteren Abenden die Küche mollig warm. In dieser Woche ist Paolo zu Besuch, einer der drei Enkel von Herma und Giacomo. Der Zehnjährige liebt die Tiere auf dem Hof. So versorgt er die fünf Katzen mit Speiseresten von Herma. Ins Haus dürfen sie nicht. Paolo zeigt mir auch eine weiße Henne. Sie brütet gerade über neun oder zehn Eiern, so genau weiß das nur sie. Und sie bewegt sich kaum von ihren Eiern weg. Zwei Küken schlüpfen. Dabei bleibt es leider. Die restlichen Eier verharren im Stadium Eiweiß/Eigelb oder sind Totgeburten. Herma hält sie in ihrer Handfläche. Der Biologie-Unterricht war nicht so anschaulich. Dass in diesen Tagen auch noch ein Kälbchen quasi von selbst auf die Welt kommt, geht vor lauter Gackern fast unter. Kälber gibt es eben öfter als Küken. Den Stall betrete ich nur, um das Kleine zu besuchen, sonst reiße ich mich nicht um diesen Ort. Die 15 Milchkühe sind das ganze Jahr über drinnen. Große, ebene Wiesen direkt am Hof wie in Bayern gibt es hier nicht. Nur das Jungvieh wird den Sommer über auf eine Alm gebracht.
Kirchgang auf Ladinisch
So vergehen die Tage – einerseits schnell und andererseits langsam, wahrscheinlich weil die Eindrücke so intensiv sind. Weil ich am Montag an- und abreise, darf ich auch noch den einzigen freien Tag der Woche erleben. Es ist der Tag des Herrn, an dem nur gearbeitet wird, wenn es nicht anders geht, zum Beispiel wenn sich für Montag schlechtes Wetter – in Südtirol allgemein „Störung“ genannt – ankündigt. Herma hat gefragt, ob ich zur Messe mitkommen will. Weil mir Weihrauchduft in schlechter Erinnerung geblieben ist, vergewissere ich mich sicherheitshalber, dass nicht zu viel davon geschwenkt wird. Die große Kirche von Wengen ist so gut wie voll. Die Männer sitzen vorne, getrennt von den Frauen. Nur vereinzelt sieht man ein paar jüngere Frauen zwischen ihnen. Herma nimmt mich mit nach hinten. Leider wird nur ein deutsches Kirchenlied gesungen, sonst ist fast die ganze Messe auf Ladinisch. Sogar das Vaterunser verpasse ich!
Der Priester ist der Cousin von Giacomo. Er wurde aus dem Ruhestand zurückgeholt, nachdem der Vorgänger verstorben war. Wie lange er aushelfen muss – keiner weiß es, es herrscht wie gesagt Nachwuchsmangel. Nach einer knappen Stunde spricht der Priester den Segen. Dann kommt der Teil des Kirchenvormittags, der mindestens genauso wichtig ist: Ratschen beim Wirt gegenüber.
Sonntagsausflug zur Alm
Für die Bergbauern ist das in den arbeitsreichen Sommermonaten die einzige Möglichkeit, sich auszutauschen. Auch nach der Messe bleibt man unter sich, auf ein Bier oder einen Kaffee. Eine Deutsche an unserem Tisch, die schon über dreißig Jahre im Tal lebt, berichtet über ihre Erfahrungen mit den Freiwilligen der Bergbauernhilfe. Ich habe den Eindruck, dass sie die Helfer ganz schön beansprucht. Herma hat offenbar das gleiche Gefühl, und ich sage ihr danach, dass ich froh bin, in ihrer Familie zu sein.
Nach Sonntagsbraten und einer kurzen Rast wollen wir uns oberhalb des Bauernhofs am Almboden Armentara treffen. Ich gehe zu Fuß vor, Herma und Giacomo kommen mit dem Allrad-Panda nach. Sie haben eine Sonderfahrgenehmigung wegen der Heuernte, die hier oben im August startet. Armentara, unterhalb der Gipfel Neuner- und Zehnerspitze, ist ein wunderbarer Almboden. In diesem Naturgebiet darf nichts verändert werden, neue Hütten gibt es nicht. Im August zur Heuernte ist hier die Hölle los, denn zusätzlich sind die Italiener zur Sommerfrische da. Man kann sehr weit hochfahren und muss dann nur wenige Höhenmeter zu Fuß überwinden, um dieses Paradies zu erreichen.
Gedanken voller Dankbarkeit
Ich genieße den freien Nachmittag mit den beiden, probiere Buchteln und verabschiede mich dann zu einer anderthalbstündigen Rundwanderung. Ich bin allein mit der Natur, der herrlichen Berglandschaft und meinen Gedanken. Nur vereinzelt treffe ich auf andere Wanderer, singend wandere ich auf einem Steig durch den Wald.
Ich freue mich über die schöne und intensive Zeit bei Herma, Giacomo und ihrer Familie. Ich bin dankbar, dass sie mir einen Einblick in ihre Art zu leben gegeben haben. Auch wenn sie vielleicht manchmal ein wenig neidisch geschaut haben, wenn ich vom Leben im Tal erzählte oder davon, wo ich schon war in der Welt. Sicher würden sie nicht tauschen mit mir. Denn die Wurzeln im Gadertal sind schon sehr stark. Da jemanden auf Dauer zu verpflanzen ist sicher nicht leicht.
Der Bauernhof hat in dieser Juniwoche seine Frau auf Zeit gefunden. Nur der Jung-Bauer Peter ist immer noch Single. Hoffentlich bleibt ihm die Teilnahme bei „Bauer sucht Frau“ erspart! Ich drücke ganz fest die Daumen.