Pamela Pabst: Ein lesenswerter Lebensweg
Eine Buchkritik von Benjamin Wolgast
Eine blinde Rechtsanwältin vor Gericht, die erfolgreich schwere Strafdelikte verteidigt. Das klingt spektakulär und beeindruckend. Mal ehrlich, blind sein ist doch schlimm, oder? Und dann so weit zu kommen. Wer stellt sich da nicht die Frage: Wie geht das?
Selbstakzeptanz trotz Fremdwahrnehmung
Die 1978 in Berlin geborene Pamela Pabst verrät gleich im ersten Kapitel ihrer Biografie „Ich sehe das, was ihr nicht seht“: Die Arbeit als Rechtsanwältin in der eigenen Kanzlei ist unproblematisch. Pabst übt sie uneingeschränkt und sehr erfolgreich aus. Nur wenige Kapitel behandeln inhaltlich ihren Arbeitsalltag. Der Hauptteil der Biografie, die sie mithilfe der erfolgreichen Autorin Shirley Michaela Seul geschrieben und 2014 veröffentlicht hat, beschäftigt sich mit dem langen und schwierigen Weg dorthin. Dieser Weg ist absolut lesenswert für alle, die wissen möchten, warum es begründet ist, von der Vorstellung einer blinden Strafverteidigerin letztendlich doch beeindruckt zu sein. Es ist faszinierend zu lesen, mit welchen Hürden Pabst konfrontiert wird in ihrer Schulzeit, dem Studium und der Ausbildung, und wie viel Improvisationstalent es erfordert, in einer Leistungsgesellschaft an den Punkt zu gelangen, an dem Leistung im Beruf überhaupt erst gefragt ist.
Pabst ist dabei weit davon entfernt, vorwurfsvoll zu sein. Sie beschreibt lediglich. Hin und wieder kommentiert sie ihre Erfahrungen. Die Mittdreißigerin schreibt vor allem unaufgeregt, sehr ehrlich und darüber hinaus mit viel Humor. Dieser trifft vor allem die Sehenden. Denn das eine möchte Pabst schon deutlich machen: Mitleid macht nur dort Sinn, wo jemand leidet. Wer nachvollziehen kann, dass ein blinder Mensch nicht unbedingt leiden muss, dem zeigt Pamela Pabst, dass man sehr zufrieden sein kann – mit der eigenen Blindheit. Und wer dieses Kunststück nicht fertigbringt, den trifft der freundliche Humor eines Menschen, der mit sich im Reinen ist. Durch die blinden Augen der jungen Pamela dürfen die Leser versuchen, Blindsein als Anderssein zu begreifen und nicht als Handicap. Die Grundschülerin Pamela ist konfrontiert mit Aussagen nach dem Motto: „armes Mädchen“ oder „wie schrecklich“ und stellt klar: „Aber ich bin überhaupt kein armes Mädchen, Mama. Das müssen wir denen sagen! Die brauchen kein Mitleid haben. Ich hab doch ein total tolles Leben!“
Weg mit Ziel
Das Buch nimmt den Leser von Anfang an mit in eine bunte Welt, die erst in Pamelas Jugend beginnt kompliziert zu werden. Ihre Mutter gibt den Beruf auf, um ganz für die Tochter da zu sein. Pabst lernt auf einer normalen Grundschule, hat Hobbys, Freunde und gute Laune. Sie setzt diesen Weg auch auf dem Gymnasium fort. Doch dort ändert sich ihr Leben. Sie ist allein, wird gemieden und gemobbt. Pabst beschreibt die Jahre bis zum Abitur als Hölle. Hier deutet sich an, dass die Autorin keinen einfachen Lebensweg hatte. Es sind Jahre der sozialen Isolation, die sie in ihrer Biografie nur anekdotenhaft beschreibt. Um an der Schule mitzuhalten, muss sie nachmittags lernen. Eigentlich lernt sie immer, denn sie hat ein Ziel: Pamela will Strafrichterin werden. Dieses Ziel ist keine vage Vorstellung einer zwölfjährigen. Es ist ein konkreter Berufswunsch verbunden mit einem konkreten Gerichtsgebäude: dem Kriminalgericht Moabit. Kompromisse sind nicht eingeplant.
Pabst kämpft sich dafür durch das Abitur, durch juristische Schulpraktika, aus denen sich erste Kontakte zu Rechtsanwälten entwickeln. Sie schafft ihr Studium mit einer unglaublichen Lernbereitschaft, finanzieller staatlicher Unterstützung und einem Stipendium. Schließlich bewältigt sie das Staatsexamen, das wie alle Prüfungen starr und unflexibel ist und einem blinden Menschen nicht viel Spielraum zur Improvisation lässt. Nachdem sie als Juristin zugelassen ist, findet sie heraus, dass sie aufgrund ihrer Behinderung nur Richterin am Zivilgericht werden kann. Sie entscheidet sich, lieber als Anwältin in ihrem Lieblingsgebäude zu arbeiten und wird Strafverteidigerin für Kriminaldelikte.
Respekt statt Bewunderung
Wie geht das? Jene Frage vom Anfang beantwortet die Anwältin konsequent. Die Antwort ist so überzeugend, dass sich am Ende der Lektüre die Frage stellt: Warum hatte ich mir das so schwierig vorgestellt? Waren es tatsächlich die Hürden bei Prüfungssituationen? Oder doch eher die Arbeit mit teilweise schwer kriminellen Mandanten? Vielleicht, so fragt sich der Leser, war der Respekt vor Pamela Pabst so groß, weil sie sich entschloss, in ein Milieu einzutauchen, in dem sich selbst Sehende nicht immer ganz sicher fühlen würden. Beim Lesen wird klar wie abwegig dieser Gedanke war. Vertrauensvoll Herausforderungen zu meistern ist für die Autorin das normalste der Welt: Schon beim alltäglichen Gang über eine Ampel fragt Pabst hin und wieder einen neben ihr stehenden Passanten nach der Farbe. Sie ist es gewohnt, wildfremden Menschen Vertrauensvorschüsse zu geben.
Ihre Biographie erklärt, wo die tatsächlichen Schwierigkeiten lauern und zeigt wie diese zu meistern sind. Wer es mit sensiblen Fingerkuppen liest, der kann lernen, wie unspektakulär es ist, anders zu sein. Und es ist wirklich großartig, sich am Ende mit ihr gemeinsam darüber zu wundern, wenn andere Menschen ihre Beziehung zu ihrem Lebensgefährten Berni als etwas Besonderes empfinden: „Während sich niemand bei mir erkundigt, warum ich mit einem sehenden Partner zusammenlebe, wird Berni gelegentlich gefragt, wie es denn so sei, mit einer blinden Freundin.“ Der Leser lernt zusammen mit einer blinden Frau viel über sich selbst als Sehenden. Mit dieser überraschenden Erkenntnis bietet sich ein wundervolles Leseerlebnis.
Autoren: Pamela Pabst und Shirley Michaela Seul
Verlag: Hanser Berlin
Erscheinungsjahr: 2014
Umfang: 208 Seiten
ISBN: 978-3-446-24505-1
Preis: 17,90 Euro