Von einem, der auszog, jüdisch zu werden
Ein Deutscher, der in Israel lebt, ist heute nicht ungewöhnlich. Tom Franz dagegen schon. 2004 gab er seine Anwaltskarriere in Köln auf und zog nach Tel Aviv. Der Katholik konvertierte zum Judentum und heiratete eine Israelin. Als er vor drei Jahren eine israelische TV-Kochshow gewann, war die Sensation perfekt. „Israels Masterchef” Tom Franz, 42, sprach mit Sabine Amar über die Hürden des Übertritts, seine persönliche Vorsehung und wie er mit koscherer Kochkunst Menschen einander näherbringt.
Herr Franz, wie hat Ihre Liebe zu Israel begonnen?
Mit einem Schüleraustausch. 1989 kamen Israelis aus Holon an meine Schule, parallel fand ein Schüleraustausch mit England statt. Ich hatte einen Engländer zu Gast, bin aber weder mit ihm noch dem Rest der Gruppe warm geworden. Bei den Israelis war sofort eine besondere Intensität da. Mich faszinierte, wie sie aussahen und welche Energie sie ausstrahlten. 1990 fuhr ich zum Gegenbesuch nach Israel. Dort habe ich mich von Anfang an wohlgefühlt und bin in den Ferien immer wieder hingereist. Nach Abitur und Banklehre ging ich für 18 Monate nach Tel Aviv: Mit Aktion Sühnezeichen leistete ich meinen Zivildienst in einem Krankenhaus und in einem Altenheim.
Warum sind Sie nach Köln zurückgekehrt?
Weil ich einen Plan hatte: Ich wollte Jura studieren. Zwischendurch studierte ich auch ein Jahr in Sevilla, doch die Zeit in Spanien löste überhaupt nichts in mir aus. Mir wurde klar, wie tief mein Bezug zu Israel ist, und mein Wille zu konvertieren wurde immer stärker. Aber erst mal habe ich brav mein Studium inklusive Zweitem Staatsexamen beendet.
Und dann?
Ich war Anfang dreißig, stand am Beginn meiner Anwaltskarriere, aber noch vor einer Familiengründung. Es war der letzte Zeitpunkt für mich, vernünftig aussteigen zu können. Bis dahin waren meine Prioritäten Karriere, Familie und ganz am Ende Spiritualität oder Religion. Ich habe in mich hineingehorcht und festgestellt: Meine wahren Werte haben eine andere Reihenfolge. Ich will erst meiner Spiritualität folgen, dann eine Familie gründen, und der Job kommt dahinter.
Waren Sie auf Sinnsuche?
Nein, vielmehr auf der Suche nach Spiritualität. Ich führte ein recht erfülltes Leben, aber es fühlte sich leer an. Da so viel bei mir zusammenkam – die Liebe zu Israel, zu den Menschen dort, meine Spiritualität, die von Anfang an jüdisch war –, musste ich einfach Nägel mit Köpfen machen. Ich bin nicht auf Sinnsuche gegangen und habe Israel gefunden, sondern Israel hat mich geholt. Der Pfad war schon angelegt.
Inwiefern?
Während meiner Semesterferien in Israel wäre ich um ein Haar von einem herabfallenden Balken erschlagen worden. Die Fügung wollte es, dass in diesem Moment ein Choser beTschuwa vor Ort war. Er hatte sich intensiv mit dem Glauben beschäftigt und gab mir die richtigen Denkanstöße. Danach habe ich zum ersten Mal den Begriff Haschgacha in mein Denken aufgenommen, gegen das Wort Zufall ausgetauscht und mich langsam, aber sicher in einen gläubigen Menschen verwandelt.
Sie glauben an Vorsehung?
Ja, besonders an die persönliche Vorsehung, die Haschgacha pratit. Ein nicht gläubiger Mensch denkt, alles, was er in seinem Leben erreicht, sei aus eigener Kraft entstanden, er setzt die durch ihn in Gang gesetzte Kausalität über alles. Wenn ihm Gutes oder Schlechtes widerfährt, dann nennt er es Glück oder Pech. Ein gläubiger Mensch sieht das anders: Er sieht seine Bemühungen nicht als alleinige Kausalkette für den Erfolg, sondern den Erfolg als etwas, das ihm quasi entgegenkommt.
Wie wirkte sich das auf Ihren Start in Israel aus?
Es begann die Zeit, in der ich aufhören musste zu planen. Weil ich als Tourist nach Israel gekommen war, musste ich mich anstrengen, überhaupt hierbleiben zu können und mich über Wasser zu halten. Ich habe alles Mögliche versucht, aber vieles hat sich meinem Einfluss entzogen.
Auch der Übertritt zum Judentum? Wie lange haben Sie dafür gebraucht?
Zweieinhalb Jahre. Die haben sich ganz schön hingezogen. Meine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung hing ja davon ab, dass ich irgendwann konvertiere. Da kann die Zeit lang werden.
Hebräisch habe ich mir selbst beigebracht. Über das Judentum habe ich erst auf Deutsch im Internet gelesen und bin dann zur hebräischen Lektüre übergegangen. Schließlich findet der Übertritt auf Hebräisch statt. Vom Lernaufwand her lässt sich die Konversion locker mit zwei Staatsexamina in Jura vergleichen.
Stimmt es, dass Rabbiner dazu angehalten sind, einen Konvertiten zunächst abzulehnen?
Ja. Gemäß den Regeln müssen sie ihn dreimal ablehnen. Ich schätze, ich wurde mindestens fünfzehnmal abgewiesen.
Zum Übertritt gehört die Beschneidung. Wie war das?
Die habe ich als Erstes auf mich genommen, als ich nach Israel kam. Die Beschneidung war mein persönlicher Übertritt vor Gott. Alles Weitere war Formsache. Bei mir lief es dann wie bei jemandem, der aus medizinischen Gründen bereits beschnitten ist und nicht mehr rituell beschnitten werden muss: Es floss symbolisch ein Tropfen Blut.
In der Thora, der hebräischen Bibel, gibt es 613 Gebote und Verbote. Die gelten nun auch für Sie. Wie viele halten Sie ein?
Ich habe nicht nachgezählt, aber es sind recht viele. Natürlich halte ich Schabbat, Kaschrut, bete dreimal am Tag, lege Tefillin. Das ist für mich selbstverständlich. Der schwierigere, wichtigere Teil ist die Arbeit an mir selbst, um mich nach den Vorstellungen von Haschem zu verbessern.
Wie erklären Sie sich, dass seit Ihrem „Masterchef“-Sieg alle Israelis – von weltlich bis orthodox – von Ihnen begeistert sind?
Das war nicht vorherzusehen, und ich hab’s bis heute nicht so ganz verstanden. Es hat wohl mit meinem gesamten Weg zu tun: was ich auf mich genommen habe, um hierherzukommen und Jude zu werden. Und dass ich mir einen der Schwachpunkte der Religion ausgesucht habe: das koschere Essen. Davon haben viele Israelis eine schlechte Meinung. Dass ich koscher koche und die koschere Küche gleichzeitig auf ein höheres Niveau hebe, hat Eindruck gemacht.
Wie haben Sie Ihre Frau Dana kennengelernt?
Kaum einen Monat nach der Konversion habe ich festgestellt, dass das Judentum nur in einer Beziehung seinen Sinn finden kann – und das in intensiven Gebeten zum Ausdruck gebracht. Kurz darauf habe ich Dana auf der Straße gesehen, gespürt, dass ich sie kennenlernen muss, und sie angesprochen. Am nächsten Tag waren wir zusammen und sind seitdem unzertrennlich.
Das heißt, Sie waren füreinander bestimmt?
Ja. Dana ist mein „Beschert”, wie es auf Jiddisch heißt. Mittlerweile haben wir zwei Söhne: David Baruch ist vier, Gabriel Adam zwei Jahre alt.
Ihre Frau stammt aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden, Sie sind Deutscher. Wie sind Sie beide damit umgegangen?
Zwischen jedem nicht jüdischen Deutschen und jedem Juden kommt dieses Thema irgendwann auf. Auch als ich meine Frau kennenlernte. Zu dieser Zeit lebte ich aber schon mehrere Jahre in Israel, sprach Hebräisch, war orthodox zum Judentum konvertiert – ich hatte also schon eine Vorleistung erbracht. Das hat Danas Familie voll anerkannt. Meine Frau ist auch religiös geworden, nachdem sie gemerkt hat, dass ich mehr über ihre Religion weiß als sie, und sie sich für ihre eigene Religion zu interessieren begann.
Liebe geht durch den Magen. Haben Sie Dana mit Ihren Kochkünsten erobert?
Meine Frau ist im Grunde ein noch größerer Koch- und Ess-Freak als ich und hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht: Als wir uns kennenlernten, war sie bereits seit acht Jahren PR-Beraterin von Chefköchen und Restaurants in Tel Aviv und im Umland. Sie kannte sich richtig gut aus. Entsprechend groß war der Druck, als ich das erste Mal für sie kochte. Sie war so begeistert, dass sie Tränen in den Augen hatte.
Vom Anwalt zum Masterchef. Wie kam es zu diesem Berufswechsel?
Das war in dem Sinne kein Berufswechsel, sondern es ist mir passiert. Meine Frau hat mich zum Masterchef-Wettbewerb überredet und angemeldet. Dass ich Masterchef werde und eine neue Karriere starte, war nicht planbar. Als deutscher Anwalt hatte ich hier keinen großen Spaß mehr an meinem Job, und Kochen ist meine Leidenschaft. Vor allen Dingen kann ich dabei mit meiner Frau zusammenarbeiten. Ich habe Kooperationen mit Firmen, für die ich Rezepte entwickle. Ich halte Vorträge und veranstalte Workshops für Touristen und Delegationen aus Deutschland. Ich koche mit ihnen, erzähle von meinem Lebensweg, über die israelische Küche und die Kaschrut. Auch in Deutschland koche ich auf Events und berichte den Leuten von Israel. Ich mache Fernsehen und schreibe Kochbücher. Es ist ein schönes Privileg, dass ich meinen Masterchef-Titel nutzen kann, um meine Liebe zu Israel an andere Menschen weiterzugeben.
Choser beTschuwa: säkularer Jude, der zum Glauben zurückkehrt und fromm wird
Haschgacha: göttliche Vorsehung
Haschgacha pratit: persönliche Vorsehung
Schabbat: Der jüdische Ruhetag dauert von Freitag- bis Samstagabend. In dieser Zeit sind Autofahren, Feuermachen, Kochen und die Bedienung elektrischer Geräte tabu. Das Schabbatessen wird vorgekocht und auf speziellen Platten warm gehalten
Kaschrut: die jüdischen Speisegesetze. Sie unterscheiden erlaubte (Rind, Schaf, Geflügel, Fisch) und nicht erlaubte Tiere (Schwein, Meeresfrüchte), verbieten den Blutgenuss und teilen Lebensmittel in „fleischig“, „milchig“ und „neutral“, wobei fleischige und milchige Speisen nicht vermischt werden dürfen
Tefillin: zwei schwarze, kleine Gebetskapseln, die Thorapassagen enthalten. Während des Morgengebets werden die Kapseln mit Lederriemen an den linken Arm und auf die Stirn gebunden
Haschem: „der Name“. Synonym für Gott