„Ich brauch’ Tapetenwechsel, sprach die Birke“
Green City e.V. startete im Jahr 1990 mit dem Ziel, in München den Autoverkehr zu reduzieren, das öffentliche Verkehrsnetz zu verbessern und mehr Geh- und Radwege einzurichten. 25 Jahre später macht sich der Verein mit mehr als 1000 Mitgliedern und Aktiven für eine grüne und lebenswerte Stadt stark. Zu den Projekten des Vereins gehört auch das stadtbekannte „Streetlife Festival“, das zweimal im Jahr stattfindet und das – neben Musik, einem vielseitigen Programm und sehr viel guter Laune – über nachhaltige Mobilitätsformen und alternative Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums informiert. Robert Schweizer sprach mit Silvia Gonzalez, stellvertretende Geschäftsführerin von Green City e.V., über das Projekt „Wanderbaumallee“. Als Assoziation kam ihm dabei der Hildegard-Knef-Song „Ich brauch’ Tapetenwechsel, sprach die Birke“ ins Ohr.
Frau Gonzalez, was ist eine „Wanderbaumallee“?
Die Wanderbaumallee ist das älteste Projekt von Green City. Die Idee von damals ist auch heute noch aktuell. Wie kann man für mehr Grün auf den Münchner Straßen werben? Man nimmt einfach ein paar Bäume und stellt sie in den Straßen auf, in denen eine Begrünung fehlt. Auf diese Weise involviert man die Bevölkerung und macht unser Anliegen plakativ und auffällig und präsentiert das Thema damit in der Öffentlichkeit.
Wie sieht ein typischer Wanderbaumumzug aus?
Der Sinn der Wanderbäume ist natürlich – wie der Name schon sagt – das Wandern. Dafür lassen wir uns eine Parade als Demonstration genehmigen, denn sie hat eine klare Botschaft.
Welche?
Wenn 100 Leute mit 25 Bäumen auf die Straße gehen, hat das eine enorme Wirkung auf Passanten und Autofahrer. Sie machen große Augen und fragen sich, was machen denn diese Bäume auf der Straße? Zusätzliche Aufmerksamkeit wird durch eine Samba-Kapelle erreicht, und es laufen Stelzenläufer mit, die Passanten einladen, sich spontan am Umzug zu beteiligen.
Wer kümmert sich um die Bäume, nachdem sie aufgestellt wurden?
Die Bürger, die in der jeweiligen Straße wohnen. Bevor die Wanderbaumallee in die Straße kommt, machen wir einen Aufruf und informieren die Nachbarn. Wir bitten sie, sich an uns zu wenden, wenn sie eine „Gießpatenschaft“ für die Bäume übernehmen wollen. In der Regel sind das Ladenbesitzer oder Leute aus der Nachbarschaft. Das Schöne daran ist ja, dass in einer bestimmten Zeit Verantwortung für den öffentlichen Raum übernommen wird. Wir sind der Meinung, dass München nur grüner werden kann, wenn die Münchner selbst mithelfen. Und dadurch, dass sich Anwohner um die Grünanlage oder die Bäume vor ihrem Haus kümmern, indem sie eine Patenschaft übernehmen, ist das natürlich auch eine Win-win-Situation für die Stadt München.
Die Wanderbaumallee gibt es seit 1992. Was wurde seither verändert?
In den ersten Jahren war das einzige Ziel des Projektes die Begrünung der Straßen. Nach den Wanderbaumumzügen wurden auch tatsächlich 140 Bäume gepflanzt. 2005 änderte sich jedoch das Kommunalabgabengesetz. Es besagt, dass Eigentümer bei Umbaumaßnahmen in ihrer Straße für einen Teil selbst aufkommen müssen; und dieser Anteil beträgt bis zu 70 Prozent der Kosten. Das war natürlich ein großer Einschnitt und hat die Baumpflanzungen deutlich erschwert.
Aus welchen Gründen?
Viele Menschen möchten grüne Straßen haben, aber können oft nicht dafür aufkommen. Denn wie man sich vorstellen kann, ist das Aufreißen einer Straße sehr teuer. Deshalb haben wir in der Folge die Ausrichtung ein wenig verändert und nutzen die Wanderbäume zunehmend für Nebenziele.
Können Sie Beispiele nennen?
Etwa wenn es darum geht, eine Straße verkehrstechnisch zu beruhigen oder einen neuen Radweg zu bauen. Im Vordergrund steht für uns immer eine nachhaltige Stadtteilentwicklung. Oder es läuft genau andersherum: Eine bereits bestehende Bürgerinitiative wendet sich an uns und bittet um Unterstützung. Die Bäume schaffen einen Aha-Effekt für Anwohner und Passanten. Wir können immer wieder eine grünere Stadt fordern. Das sind aber nur Worte, die oft nicht zielführend sind. Eine Methode sind die Bäume, die uns dabei helfen, diese Forderungen auch umzusetzen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Wanderbaumallee?
Es wäre ganz wichtig für die politische Arbeit von Green City, vor allem auch für dieses Projekt, unabhängige Fördergelder zu erhalten. Unser Wunsch ist es, auf die aktuellen tagespolitischen Themen reagieren zu können. Wenn aber das Projekt sehr begrenzt ist, uns jemand Vorgaben macht, dann haben wir nicht die Möglichkeit, spontan, frei und unabhängig zu agieren.
Wie meinen Sie das?
Wir bekommen zum Beispiel oft Anfragen, mit den Bäumen an Kinderveranstaltungen oder Sommerfesten teilzunehmen. Einfach um das Fest zu schmücken und um den Kindern die Möglichkeit zu geben, sich um die Bäume zu kümmern und sie zu gießen. Aber das finden wir nicht gut, da der politische Anspruch, der dahintersteckt, zu kurz käme. Die Bäume wären nur reiner Veranstaltungsschmuck. Das ist eine große Herausforderung für den Verein. Uns ist es sehr wichtig, dass die Wanderbaumallee mehr ist als nur eine nette Aktion.
Ist das Projekt nur auf München beschränkt?
Ja, aber es gibt immer wieder Anfragen aus anderen Städten wie Augsburg, Frankfurt oder Saarbrücken. Das hat uns dazu animiert, einen Leitfaden zu erstellen. Der Leitfaden befindet sich auf unserer Webseite und kann von jedem herunterladen werden.
Was steht da drin?
Es wird Schritt für Schritt erklärt, wie man dieses Projekt verwirklichen kann und auf was man achten sollte. Natürlich schauen wir auch, was in anderen Städten passiert, und überlegen, welche Projekte in München funktionieren könnten und zu unserer Vision passen. Deswegen wollen wir natürlich auch, dass unsere guten Ideen nachgemacht werden. Das Rad muss nicht neu erfunden werden, das ganze Wissen existiert bereits.
Abgesehen von einer Gießpatenschaft: Kann das Projekt auch anders unterstützt werden?
Aber natürlich! Bei den Umzügen ist jeder Helfer willkommen. Pro Baum benötigen wir alleine drei Leute, und auch für die Verteilung von Flyern, um Passanten zu informieren, sind immer Mitstreiter gefragt. Außerdem ist der Wanderbaumumzug einfach wirksamer, je mehr Leute sich daran beteiligen. Hier ist jeder eingeladen.