Artenreiche Lebensräume sind für Wildbienen unersetzlich. 40 Prozent unserer Wildbienen-Arten sind bedroht. Ein Gespräch mit Corinna Hölzer, der Initiatorin von „Deutschland summt!“, über Wildbienen, Naturgärten und biologische Vielfalt.
Frau Hölzer, was schätzen Sie besonders an Bienen?
Ich gucke gerade auf zwei, auf eine Honigbiene und eine Hummel, die im Übrigen auch zu den Wildbienen gehört. Vielfalt schätze ich sowieso, ich bin Biologin. Allein bei so einer Gruppe eine derart große Vielfalt an verschiedenen Verhaltensformen beobachten zu können, finde ich faszinierend. Die Garten-Wollbiene zum Beispiel verhält sich völlig anders als die Maskenbiene. Und auch der Größenunterschied ist beachtlich – eine Hummel ist bis zu 3cm dick, andere Wildbienen sind gerade mal 3 Millimeter groß. Dass sich diese Vielfalt in der Natur und mit den gegenseitigen Abhängigkeiten, wie zum Beispiel zwischen Wildbienen und Wildpflanzen, in der Evolution so eingependelt hat, ist beeindruckend.
In Deutschland gibt es 560 Wildbienenarten. Was unterscheidet Wildbienen von Honigbienen?
Wildbienen sind Individualisten und fliegen allein durchs Leben. Sie haben kein Volk zu versorgen wie die Honigbiene und produzieren daher auch keinen Honig. Honigbienen lagern nur deshalb Honig ein, weil sie einen Staat zu versorgen haben und die Königin über den Winter bringen müssen. Wildbienen hingegen sind eigenständig lebend, bauen keine Nester, sondern Brutzellen für ihre eigene Brut, und werden nur ungefähr sechs Wochen alt. Ausnahme sind die Hummeln, von denen es 41 verschiedene Arten gibt. Hummeln versorgen ebenfalls ein Volk, haben Arbeiterinnen, Drohnen und eine Königin. Ihre Völker sind aber weitaus kleiner, als die der Honigbienen.
Aber auch Wildbienen sind fleißige Nektarsammlerinnen?
Für Wildbienen ist der Pollen viel wichtiger, weil die Brut den eiweißreichen Pollen braucht. Deshalb sind pollenreiche Pflanzen überlebenswichtig für Wildbienen. Auch für die Honigbienen, die füttern ihre Larven ebenfalls mit Pollen. Der Nektar ist für den Honig, also für die Überwinterung nötig. Ansonsten ist Nektar nur Flugbenzin. Die Flugmuskulatur benötigt Energie und deshalb schlürfen sie den Nektar.
Welche Lebensbedingungen benötigen Wildbienen um zu überleben?
Sie brauchen Nahrungspflanzen, die Pollen und Nektar bringen. Sie brauchen Nistmöglichkeiten. Und sie brauchen als Drittes geeignetes Nistmaterial. Wenn eine Komponente dieser Dreifaltigkeit fehlt, können sie sich nicht vermehren. Dazu kommt noch, dass sie nicht weit fliegen können. Honigbienen haben einen Aktionsradius von 3 bis 5 Kilometer. Bei Wildbienen beträgt er nur 75 bis maximal 400 Meter. Wenn sie also in diesem Areal die Dreifaltigkeit nicht finden, dann bedeutet das ihr Ende. Deshalb sind bereits über 40 Prozent unserer heimischen Bienenarten vom Aussterben bedroht.
Schlüsselfaktor der Bedrohung ist also die Verschlechterung der Lebensräume?
Haben Städte eine besondere Funktion für den Schutz von Wildbienen, um auf engerem Raum Lebensräume zu schaffen?
Das würde ich jetzt nicht sagen. In der freien Landschaft hat man natürlich viel mehr Möglichkeiten – oder hatte sie, bis vor rund 70 Jahren. Die Äcker waren mit viel weniger Pestiziden belastet. Mohn, Kamille, Kornblume wuchsen ganz selbstverständlich in den Feldern. Zwischen Weg und Feld gab es den Feldrain mit Wildwuchs. Die Krume war lockerer, überall standen Hecken. Mit der Flurbereinigung wurde dann alles weggeholzt, so dass die freie Landschaft nicht mehr soviel Strukturreichtum bietet. Wir brauchen dringend eine Agrarreform, denn da liegt der Hase im Pfeffer. Das ist der Grund dafür, wenigstens in der Stadt kleinräumig diese Lebensräume zu schaffen. Bevor die letzte Biene gestorben ist, kann man in den Städten etwas gegen das Artensterben tun. Und darin liegt auch eine Chance: Für einen blühreichen Garten auf 100qm muss man sich nicht lange absprechen, und man muss keine EU-Agrarreform durchprügeln, die wahrscheinlich sowieso nicht kommt (lacht).
Nach Deutschland summt: Kommt jetzt Deutschland blüht?
Das Fehlen von Wildpflanzen ist ein sehr großes Problem. Wir haben es „summt“ genannt, weil wir von vorneherein dachten, blühen tut es ja oft, aber deshalb summt es leider noch lange nicht. Erst wenn es summt, ist unser Ziel erreicht. Tolle Gärten, wie zum Beispiel auf den Bundesgartenschauen, mit riesigen Dahlienfeldern, die in allen Schattierungen, Größen und Farben blühen – da summt es eben nicht. Kultivierte gezüchtete Pflanzen produzieren oft gar keinen Nektar und Pollen mehr, weil der Gärtner gar nicht will, dass sie sich selbständig fortpflanzen. Zuchtrosen sind züchterisch so geformt, dass sie viele Blätter bilden, aber keine Samenstände mehr, während Wildrosen, aus denen sie ursprünglich gezüchtet worden waren, immer nur fünf Blütenblätter haben. Wir wollen es lieber großblütig und langlebig, aber Natur ist meist kleinblütig und kurzlebig, dafür unterschiedlich. Es gibt sozusagen zweierlei Blüharten: die reine Augenweide und die pollenreiche Insektenweide.
Ihnen geht es darum, ein Bewusstsein für die „Insektenweide“ zu schaffen?
Das Naturgartenthema kam erst später dazu, nachdem Wildbienen eine größere Aufmerksamkeit bekommen hatten. Noch 2010 hat kaum jemand öffentlich über Bienen gesprochen. Dass Insekten allgemein mehr beachtet werden, freut mich sehr. Pflanzengemeinschaften sind Ökosysteme, die sich über Millionen von Jahren gebildet haben und mit den dazugehörigen Tieren eine Symbiose bilden. Das versucht so ein Naturgarten, wie wir ihn anlegen, ein bisschen nachzuahmen. Die Pflanzen können sich vermehren, haben Samen und Früchte. Davon leben die Tiere, also Käfer und Mäuse, Igel, Stieglitze und viele andere mehr. Dann hat man plötzlich Amphibien und Reptilien im Garten und wundert sich. Darum geht es: dass man eben nicht Stiefmütterchen neben Geranien oder Forsythien pflanzt, die oft keinen Nektar und Pollen mehr produzieren, oder dass man auch mal ein Stück unbepflanzt lässt, damit die Bienen ihre Niströhren bauen können.
Sie arbeiten mit Wohnungsbaugenossenschaften zusammen, um naturnahe Freiflächen zu schaffen. Müssen Sie noch viel Überzeugungsarbeit leisten?
Wir haben vor dreieinhalb Jahren unser Projekt „Treffpunkt Vielfalt“ gestartet und drei mutige Vorstände gefunden, die uns Grünflächen zur ökologischen Umgestaltung zur Verfügung stellten. Mittlerweile gibt es auch manche Nachbarn, die das haben wollen. So allmählich tut sich was in unserer Gesellschaft. Die Entscheider müssen mitziehen, aber ganz besonders auch die Mieter. Deswegen ist ein wesentlicher Punkt unseres Projekts, die Mieter zu befragen. Wir sind so erzogen worden, dass es wichtig ist, was die Nachbarn denken. Alles was ein bisschen wild und anders aussieht, löst leider häufig Misstrauen aus. Deshalb wollen wir Einzelnen den Rücken stärken, die oft hartgesotten sein müssen gegenüber Nachbarn, die vor Samenflug Angst haben oder davor, dass sich das Unkraut ausbreitet. Das Schöne an dem Projekt ist, dass es so viele Menschen gibt, die wir inspirieren können. Und dass immer mehr erkennen, wie wichtig es ist, jetzt zu handeln.
560 Wildbienenarten, inklusive 41 Hummel- Arten, leben in Deutschland
Honigbienen leben in Völkern aus bis zu 50.000 Individuen. Hummeln bilden kleine Staaten mit 50-600 Individuen
Mit 116 Arten ist die Sandbiene die artenreichste Gattung unter den Wildbienen
Der Aktionsradius von Wildbienen beträgt maximal 400 Meter
43 % der Wildbienenarten in Deutschland sind in ihrem Bestand bedroht, 37% gelten als stabil
30% der Wildbienen sind Nahrungsspezialisten, teilweise abhängig von einer Pflanzengattung
75% der Wildbienen nisten im Boden. 430 Arten bauen ihre Nester selbst, etwa 130 Arten parasitieren an anderen Insektenarten (Kuckucks- Bienen)
Vermutlich ist auch Entwicklungsbedarf seitens der Kommunen und der Politik notwendig, damit sich etwas verändert.
Ja klar – unter anderem in der Ausbildung der Garten- und Landschaftsbauer. Das Modul „Naturgarten und heimische Pflanzen“ gibt es nicht. Blümchenleute sind in dieser Branche eher in der Minderzahl und stehen auch nicht hoch im Kurs. Heutzutage klagen alle Gartenausbilder, dass ihnen der Nachwuchs fehlt. Vielleicht wäre es eine gute Idee, das Profil zu ändern, weg vom Rollrasen und der Thujahecke und stattdessen den lebendigen Garten in den Vordergrund zu rücken. Wir versuchen, nicht nur lokal mit den Gartenbauern zusammen zu arbeiten, sondern auch mit den Dachverbänden in einen Dialog zu treten und halten Vorträge zu dem Thema. Das ist so eine halbpolitische Arbeit, aber da geht es eben auch um Überzeugungsarbeit.
Nachhaltigkeit im Alltag?
Die allermeisten Probleme hätten wir gelöst, wenn wir unseren Fleischkonsum extrem reduzieren würden. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich esse sehr gerne ein Steak (lacht), aber nur Bio und alle drei Monate. Dazu muss man nicht zum Veganer werden, und trotzdem hätten wir damit Unmengen von Problemen auf einen Schlag gelöst. Jeden Tag Fleisch zu essen und einen kleinen Naturgarten zu haben, das nützt auch nicht viel. Durchs eigene Handeln kann man viel erreichen.
Das ist unsere tägliche Erkenntnis, dass sich immer mehr Leute Sorgen machen. Die Ökoecke war immer verpönt, aber jetzt ist Nachhaltigkeit in aller Munde. Wobei viele noch nicht so recht wissen, was das für sie bedeutet. Mit Pflanzen und Bienen anzufangen, finde ich eine gute Idee. Die kann man angucken und sich daran erfreuen, der Rest kommt dann schon.
Was können wir von den Bienen lernen?
(Lacht) Die Frage hat mir noch keiner gestellt. Beharrlichkeit vielleicht. Verantwortungsbewusstsein für den Nachwuchs. Die Bienen arbeiten hart und müssen sich ziemlich beeilen, weil sie nur ein kleines Zeitfenster haben, denn sie wissen, dass ihre Lebenszeit sehr begrenzt ist. Oder Sorgfalt, wenn man bedenkt, wie emsig sie ihre Nester verschließen, um Feinde abzuwehren, damit die Larven nicht stibitzt werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Hölzer.
Ziel der Initiative ist es, eine größere Wertschätzung der Bienen zu erreichen und möglichst viele Unterstützer dafür zu gewinnen, den Bienen vielfältige Lebensräume bereitzustellen. Mehr als dreißig Vor-Ort-Initiativen in Städten, Gemeinden und Landkreisen sind mittlerweile Teil des Netzwerks.