Sauberes Trinkwasser für Afrika: Hartmut Heuser hat im Kongo rund tausend Brunnen gebaut. Die Menschen vor Ort können sie selbst installieren und eigenständig warten. Damit werden sie unabhängig von der Hilfe Außenstehender.

Sachlich-nüchtern ist Hartmut Heusers Blick auf Afrika, und vielleicht hat er deshalb dort Unglaubliches geschaffen. Ungefähr einer halben Million Menschen hat der Münchner zu sauberem Trinkwasser verholfen, mit den bislang rund tausend gebohrten Brunnen. Der 81-jährige Diplomingenieur gründete 2006 die Initiative „Brunnenbau macht Schule“ in der Demokratischen Republik Kongo. Ein Grundgedanke des Projekts war Nachhaltigkeit im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe – von Beginn an. Im Interview spricht Hartmut Heuser ausführlich und detailliert über sein langjähriges Engagement im Kongo.

Herr Heuser, warum bohren Sie ausgerechnet im Kongo Brunnen?

Mein Freund Professor Ludwig Bertsch, ehemaliger Rektor der Jesuiten-Hochschule in Frankfurt, hat mich in die Demokratische Republik Kongo mitgenommen. In Frankfurt war ich mit ihm in einer Arbeitsgruppe des Rotary-Clubs – einer internationalen Stiftung, die sich weltweit für den Dienst an der Gemeinschaft engagiert. In dieser Arbeitsgruppe wurden Hilfsleistungen bei Katastrophen für verschiedene afrikanische Länder organisiert. Die Veranstaltung war mir zu wenig konkret. Ich wollte aktiv nach Afrika, und zwar dorthin, wo die Not am größten ist. Schnell kam die Aufforderung: „Fahr einfach mit! Wir haben eine Gruppe von Professoren, Städteplanern und Architekten zusammengestellt, die eine Reise in den Kongo machen.“ Bei einer Bischofskonferenz und an der Universität in der Hauptstadt Kinshasa konnte ich 2006 für mein Brunnenbau-Ausbildungs-Projekt werben. Ich beschrieb unsere Methode der manuellen Brunnenbohrungen, die ich in Bolivien kennengelernt hatte. Der Zuspruch war enorm.

Manuelle Brunnenbohrung im Kongo und Portrait von Hartmut Heuser (Brunnenbau-macht-Schule)

Manuelle Brunnenbohrung im Kongo                                                                                                                  Hartmut Heuser blickt auf 14 Jahre Arbeit zurück

Wie ging es weiter?

2007 haben wir einen erfolgreichen Lehrgang veranstaltet, rund tausend Kilometer westlich von Kinshasa, in Kananga. Dort wurden die ersten Bohrungen gemacht. Die Leute waren begeistert, dass man mit der Hand 40 bis 50 Meter tief bohren kann. Mit einer Handpumpe wurde das Wasser aus der Tiefe gefördert. Das war der Beginn des Projekts. Wir haben eine mobile Schule gegründet – die erste Ausbildungsmöglichkeit für Brunnenbauer im Kongo. Unsere besten Meister haben in Dörfern Brunnen gebohrt. Manche Dorfbewohner waren interessiert und ließen sich ausbilden. Die Idee hat langsam Gestalt angenommen.

Hilfe zur Selbsthilfe ist das grundsätzliche Prinzip Ihrer Initiative. Hat Sie deshalb auch die Handbohrmethode fasziniert?

Ja, denn die Handbohrmethode ist eine einfache Möglichkeit den Menschen zu sauberem Wasser zu verhelfen. Sie ist bezahlbar und ökonomisch. Die Menschen im Kongo verdienen sehr wenig Geld. Wir können Brunnen bohren, die nicht mehr als dreitausend Dollar kosten. Maschinelle Methoden verschlingen mehrere zehntausend Dollar. Unsere Initiative möchte mit wenig Mitteln möglichst viel erreichen. Mit handelsüblichen Materialien, wie beispielsweise Fahrradfelgen, PVC-Rohren und Stahlprofilen gelingt es uns, funktionstüchtige Brunnen zu errichten.

Lehrwerkstatt der Brunnenbauschule: Eine Frau unter vielen Männern

Lehrwerkstatt der Brunnenbauschule: Eine Frau unter Männern

Gebäude der Berufsschule für Brunnenbauer*innen im Kongo

Berufsschule für Brunnenbauerinnen und Brunnenbauer im Kongo

Gibt es im Kongo viele Menschen, die Brunnenbauer werden möchten? 

Ungefähr 200 Brunnenbauer haben wir bislang ausgebildet. Viele Leute können sich die Ausbildung nicht leisten, obwohl sie nur hundert Dollar für drei Monate kostet. Das durchschnittliche Familieneinkommen liegt bei ungefähr fünfhundert Dollar pro Jahr. Wenn eine Familie mehrere Kinder hat, ist es sehr schwer, allen eine Ausbildung zu ermöglichen. Die Leute bezahlen in der Regel fünfzig Prozent der Ausbildungskosten, und das ist schon sehr viel. Eine Aufgabe unserer Initiative ist es Geld zu sammeln, um einen Ausgleich zu schaffen: für Lehrer, Eltern und Schulkosten.

Die ersten Brunnen wurden vor vierzehn Jahren gebaut. Funktionieren die Brunnen noch oder gibt es technische Schwierigkeiten?

Es fehlen Leute, die die Brunnen kontrollieren und warten. Die Begriffe Wartung und Reparatur sind in der dortigen Sprache nicht vorhanden. Von den tausend gebauten Brunnen funktionieren einige nicht mehr. Defekte Brunnen werden sich selbst überlassen. Meistens ist es nur ein gerissenes oder fehlendes Seil, das ausgetauscht werden muss. Das Seil ist begehrt und wird schnell geklaut. Wenn es nicht geklaut wird, dann kann es reißen. Der Schwachpunkt der Seilpumpe ist die kugelgelagerte Achse, sie sollte gelegentlich gewartet werden. Die Kugellager laufen nach ein bis zwei Jahren trocken, und die Pumpe wird schwergängig. Mit der Zeit hält das Seil der Belastung nicht mehr stand. Hochwertige und reißfeste Seile sind im Kongo nicht erhältlich.

Wie wird mit dem Problem umgegangen, dass niemand die Brunnen wartet?

Zwei unserer Brunnenbaumeister sind aktuell im Großraum Kinshasa unterwegs, um die älteren Brunnen zu kontrollieren. Es handelt sich um eine Bestandsaufnahme. Zuerst müssen wir wissen: Welche Brunnen funktionieren noch, welche nicht, und was muss getan werden, um sie wieder zum Laufen zu bringen? Kleinere Reparaturen können die Fachleute direkt vornehmen. Außerdem verbessern wir ständig das System – auch technisch.

Welches Resümee können Sie nach vierzehn Jahren Arbeit ziehen? Wie nachhaltig ist Ihre Brunnenbau-Initiative?

„Unser Projekt ist mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“, diesen Ausdruck habe ich immer verwendet. Die Frauen sind begeistert, weil ihre Kinder sauberes Trinkwasser bekommen. Viele Leute sind sich über den Wert der Initiative bewusst. Es spricht sich herum. Aber: Für eine Familie oder ein Dorf ist es noch immer nicht einfach, selbst einen Brunnen zu bohren. Die Menschen brauchen häufig finanzielle Unterstützung. Wenn wir einen Brunnen finanzieren, sagen wir den Menschen: „Spart gemeinsam Geld! In zwei Jahren könnt ihr einen weiteren Brunnen bauen.“ Diese Idee funktioniert häufig nicht, denn es gibt viel Korruption und der Gemeinschaftssinn ist nicht stark ausgeprägt.

Motorbetriebene Pumpen fördern viele Tausend Liter Wasser pro Tag, das senkt das Grundwasser ab. Wenn das Wasser mit unserer Methode aus der Tiefe gepumpt wird, hat das keinen Einfluss auf den Grundwasserspiegel. Auch in dieser Hinsicht ist unser Projekt nachhaltig.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Regelmäßige Presseberichte in den Zeitungen, um der deutschen Bevölkerung immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass wir helfen müssen – nicht nur bei Katastrophenfällen. Wir sollten in Afrika verstärkt ausbilden. Viele Kongolesen wollen gerne nach Deutschland kommen. Jeder Afrikaner, der in Afrika ausgebildet wird und dort einen Beruf ergreift, kommt nicht nach Europa. Er ist ein Gewinn für Afrika. Darum geht es mir: „Die Menschen sollen ihr eigenes Land in den Griff bekommen.“

Brunnen mit Handseilpumpe im Kongo und Mädchen beim Wasserpumpen

Brunnen mit Handseilpumpe im Kongo                                                                                                                                                          .

Luxusgut
Der Kongo ist reich an Wasser und doch ist sauberes Wasser ein Luxusgut. Ein Großteil der Bevölkerung muss verschmutztes oder verseuchtes Wasser trinken: Viele Menschen werden dadurch lebensbedrohlich krank. Die Kindersterblichkeit ist einer der höchsten weltweit.

Weitere Informationen: Brunnenbau macht Schule

 

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