Gespendete Kleider, Möbel, Haushaltsgeräte finden neue Abnehmer. Das ist ein nachhaltiger Ansatz und schafft Arbeitsplätze. Ein Spaziergang durch das soziale Kaufhaus diakonia in München.

Eine Mitarbeiterin des diakonia-Kaufhauses saugt eine Popcornmaschine aus

Die Mitarbeiter des diakonia-Kaufhauses bringen gespendete Second-Hand-Ware wieder auf Vordermann

Ein brummendes Geräusch dröhnt laut durch die warme Luft des diakonia-Kaufhauses in München Moosach. Automatisch drehe ich mich in Richtung des Lärms. Kopfschüttelnd, mit Brille und Mundschutz, saugt eine Mitarbeiterin Mais-Brösel-Reste aus einer Popcorn-Maschine. Sie seufzt: „Unglaublich, in welchem Zustand die Leute die Sachen hier abgeben.“

„Kann ein Kaufhaus nachhaltig sein?“

Montagnachmittag. Es regnet. Müde spaziere ich vorbei an vollen Regalen mit Büchern, Schallplatten und Spielsachen, durch Kleiderstangen-Wälder. Ein Kuscheltier wurde liebevoll in einen Kinderstuhl gesetzt. Mein Blick fällt auf einen alten Damen-Strohhut. Luftigleicht wirkt er mit seiner breiten, elastischen Krempe. Im gleichen Beigeton umschlingt ihn ein schmales Hutband. „Kann ein Kaufhaus nachhaltig sein?“, überlege ich.

Kleiderbügel klappern, werden quietschend an Stangen hin und her geschoben. Dumpfes Schlagen von durchgeblätterten Büchern, die in große blecherne Kisten zurückgeworfen werden. Ein Euro. Preisknaller. Kaffeeduft zieht durch die warme Luft. Lachende Menschen in der Kassenschlange tauschen Gespräche und Schnäppchen aus. Jeder ist aber auch mit sich beschäftigt: Mit Suchen, Sortieren, Probieren. Und Finden.

„Der Sinn der Spenden ist der Wiederverkauf“

1. Stock, Büro der Betriebsleiterin. Seit 16 Jahren arbeitet Julia Boiger – schlank, mit braunem Zopf und schlichtem schwarz-weiß-kariertem Blazer – im sozialen Kaufhaus. Man sieht ihr an, dass sie für ihre Ziele kämpfen musste: Kräftige, klare Stimme. Resolut, engagiert und kritisch. Sie beklagt: „Hier wird viel zu oft schadhafte Ware abgegeben. Wir müssen sie teuer entsorgen. Kein Mensch kauft eine angeschlagene Kaffeetasse oder ein T-Shirt mit Löchern. Dabei ist ja Sinn der Spenden, sie wiederzuverkaufen. Vom Erlös schaffen wir dann neue Arbeitsplätze.

Julia Boiger dreht einen Kugelschreiber zwischen den Fingern. „Ein wahnsinniger Preisverfall hat stattgefunden: Billige Herstellung aus billigen Materialien. Das ist per se nicht nachhaltig. Einwegprodukte, kurze Haltbarkeiten und eine geringe Reparierbarkeit zwingen den Verbraucher, sich rasch Neues anzuschaffen. Das sind ideale Voraussetzungen für eine Wegwerfgesellschaft“, sagt sie. „Wir ermöglichen durch unser preiswertes Warenangebot auch ärmeren Menschen, am Konsumkreislauf teilzunehmen und Dinge einzukaufen, die sie sich normalerweise nicht leisten könnten.“

„Durch nachhaltiges Leben erkennt man den Wert der Dinge wieder“

eine ältere Dame sitzt auf einem Stuhl und rastet

Bei der diakonia gibt es genügend Stühle zum Rasten

Rascheln, knistern, kruscheln. Eine zerbrechlich wirkende 80-jährige Dame sucht nach Papierservietten. Sie muss sich setzen. Ist erschöpft. „Ich meide die Altkleider-Container auf der Straße. Sie sind irgendwie unappetitlich. Jeder wirft alles rein und man weiß nicht, wo die Kleidung landet. Ich bringe fünf bis sechs Mal im Jahr gut erhaltene Kleidung zur diakonia. Dort sind meine guten Sachen in guten Händen.“
Sie erinnert sich: „Früher lebte man automatisch nachhaltig. Man hatte nichts während des Krieges. Die Kleidung wurde innerhalb der Familie weitergegeben, geändert, wenn sie nicht mehr passte.“ Sie wird lauter und ballt die Faust. „Jetzt leben wir in einer Zeit der Verschwendung. Ich verurteile die Kleiderproduktion in der Dritten Welt: Hungerlohn und verheerende Arbeitsbedingungen.“ Sie nickt bedächtig. „Durch nachhaltiges Leben erkennt man den Wert der Dinge wieder.“

„Die Idee der diakonia ist, Arbeitsplätze zu schaffen“

Im 1. Stock erklärt mir Julia Boiger, nun sichtlich in Erzähllaune, dass es nicht Aufgabe der diakonia ist, arme Menschen mit Konsumgütern zu versorgen. „Dafür gibt es Kleiderkammern. Wir schaffen vom Erlös Arbeitsplätze, für Langzeitarbeitslose, für Bürger in schwieriger Lebenslage, für Menschen mit Behinderung. Wir sind ein sozial nachhaltiger Arbeitgeber.“ Sie lächelt. „Arbeitsplatz und Arbeitszeiten werden den jeweiligen Bedürfnissen angepasst. Die Leute werden geschult, sie erhalten Bildungsangebote.“

Es gibt auch schöne Geschichten: „Erst gestern hat mich eine ehemalige Umschülerin angerufen und mir erzählt, dass sie Filialleiterin geworden ist. Sie war alleinerziehende Mutter von drei Kindern und ziemlich verzweifelt. Ihre Umschulung zur Kauffrau im Einzelhandel begann Liliana im Kaufhaus in der Dachauer Straße 192,“ erzählt Julia Boiger. „Im ersten Jahr durchlief sie alle Abteilungen – angefangen von Textilien über Hausrat bis zur Möbelabteilung. Im zweiten Jahr arbeitete sie im Secondhand-Geschäft ‚kleidsam‘ in der Blutenburgstrasse 65. Liliana war sehr erfolgreich, praktisch unsere Vorzeige-Umschülerin“, betont Julia Boiger und lächelt zufrieden.

„Der Aspekt Nachhaltigkeit gibt meiner Arbeit Sinn“

Die Mitarbeiter des diakonia Kaufhauses empfinden ihre Arbeit sinnvoll

Quietschen, scheppern, klappern. Drei Mitarbeiter schieben einen voll beladenen Transportwagen in den Verkaufsraum. Ein etwa 55-jähriger Mitarbeiter, klein, kräftig, Schweißperlen auf der Stirn, drei silberne Perlen im Ohr, beantwortet meine Frage, wie er zu dieser Arbeitsstätte kam: „Ich war Hartz 4-Empfänger, bevor mich das Jobcenter auf die diakonia aufmerksam machte. Innerhalb von sechs Jahren habe ich verschiedene Abteilungen durchlaufen. Ich prüfe Elektrogeräte auf ihre Funktionalität, sortiere Ware und bin an der Preisbildung beteiligt. Hier wird alles dem Wiederverwertungs-Kreislauf zugeführt. Kaputte Gegenstände werden zerlegt, entmantelt und in irgendeiner Weise recycelt. Der Aspekt Nachhaltigkeit gibt meiner Arbeit Sinn.“ Scheppernd rollt er den Wagen weiter.

 

„Lebensmittel verfallen bei mir nicht“

Büro 1. Stock: „Julia Boiger, wie halten Sie es persönlich mit der Nachhaltigkeit?“ Ich bin neugierig. Sie lehnt sich zurück. „Ich fahre alles mit dem Fahrrad oder mit den Öffentlichen. Seit 1995 esse ich kein Fleisch mehr. Ich shoppe natürlich überwiegend in unseren kleidsam-Geschäften. Lebensmittel verfallen bei mir nicht. Ich kaufe einfach weniger ein.

Was mich nervt, ist, wenn viele meinen, sie müssten jedes Jahr nach Bali oder auf die Malediven fliegen. Mir ist ein Strand in Italien exotisch genug. Und mit dem Zug erreicht man dieses Ziel auch umweltfreundlicher. Ich plane also meinen Urlaub nachhaltig.“ Sie wird laut. „Und diese überbordenden Buffets, wenn ich das schon sehe.“ Sie verdreht die Augen. „Und dieses Essen und Trinken auf der Straße. Diese Wegwerfbecher … FURCHTBAR! FURCHTBAR!“ Sie wird wütend. Zieht das „u“ ganz lang.

„Die Qualität der Ware ist gut“

Jung und Alt werden bei der diakonia fündig

Plumps, ein dumpfer Schlag. Ein Junge, rundliches Gesicht, um die zehn, lässt sich in einen hellgrau gepolsterten Sessel fallen. Er hält eine Schachtel mit einem Kartenspiel fest in der Hand und strahlt. „Wie neu sehen die Karten aus.“ Die Mutter spricht in gebrochenem Deutsch. „Die Qualität der Ware ist gut. Ich kaufe überwiegend gebrauchte Sachen. Teures kann ich mir nicht leisten.“ Meine Frage, ob sie hier öfter einkauft, bejaht sie nickend. „Ich war bei diakonia im ‚kleidsam‘ in der Blutenburgstraße angestellt. Die nächsten Tage werde ich nachfragen, ob ich dort wieder arbeiten kann.“

„Unser großes Ziel ist, Müll zu reduzieren“

Im 1. Stock erklärt Julia Boiger ihre Nachhaltigkeitsziele für die kommenden Jahre. Sie blinzelt angestrengt und nimmt einen Schluck Wasser aus ihrem Glas. „Unser großes Ziel ist Müll zu reduzieren. Wir machen uns ständig Gedanken, wie wir zum Beispiel Ladenhüter der kleidsam-Läden nachhaltig verwerten können, damit wir sie nicht teuer entsorgen müssen. Momentan läuft es so: Was wir in den Läden nicht verkaufen können, kommt hier ins Kaufhaus. Dann haben wir noch Kleiderkammern. Diese Zielgruppe braucht natürlich keine Anzüge oder Abendkleider. Wir verkaufen auch Ware an zertifizierte Partner, zum Beispiel an Texaid, ein Unternehmen für Altkleiderverwertung.“ Sie denkt kurz nach. „Wir versuchen vermehrt über PR-Maßnahmen unseren Kunden klar zu machen, ob sie selber das kaufen würden, was sie spenden.“

„Wir werfen nichts weg“

Kaspar Beer, ein Mitarbeiter im Cafe, macht einen Latte Macchiato

Kaspar Beer ist Mitarbeiter im Cafe des diakonia Kaufhauses

Rauschen, zischen, klirren. Im Café ist Kaspar Beer der Chef. Brille. Groß. Korpulent. Eine blaue Schürze versucht seinen beachtlichen Bauch zu verdecken. Er steht hinter einer mit Plexiglas geschützten Theke. Glasbehälter voller bunter Süßigkeiten, Kuchenbleche und selbstgemachte Marmelade. „Wir werfen nichts weg. Unsere Bäckerei-Mitarbeiter dürfen übrig gebliebene Lebensmittel mit nach Hause nehmen. Ich lege großen Wert darauf, dass an meiner Arbeitsstätte nachhaltig gewirtschaftet wird.“ Er serviert mir ein großes Glas Latte Macchiato. Ich fühle mich wohl.

„Wir sind ein Triple Win“

Im Büro erläutert Julia Boiger: „diakonia ist von vorne bis hinten ein Kreislauf, ein Triple Win.“ Sie steht auf. Hebt nacheinander Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger. Zählt auf. „Wir machen dem Spender eine Freude, weil er seine Sachen nicht wegwerfen muss. Wir machen dem Kunden eine Freude, weil er gute Sachen für wenig Geld einkaufen kann. Wir machen dem Mitarbeiter Freude, weil er einen Arbeitsplatz hat.“ Sie hebt Ihre Hand. „Und der Umwelt auch.“ Ihre Augen werden groß, sie richtet sich auf. „Es gibt nichts Nachhaltigeres, als dass Münchner in München gespendete Sachen in München benutzen.“

„Ja, dieses Kaufhaus handelt nachhaltig“

Montagabend. Mein Glas ist leer, Kaffeesatz am Boden. Von draußen drängt ein gleißend heller Lichtstrahl durch die dunklen Wolken ins Kaufhaus – gemalter Regenbogen am Schaufenster. Mir ist klar: Ja, dieses Kaufhaus handelt nachhaltig. Im schummrigen Licht des Verkaufraumes schallt mir laute, rhythmische Disco-Musik entgegen. Jetzt bin ich hellwach. Meine Kauflust steigt. Kaffeegeruch. Gemurmel. Geschirrgeklapper. Mir ist heiß. Die Luft flirrt. Rauschende, nach Frischluft suchende Ventilatoren in allen Ecken. Ich stehe auf. Beginne zu suchen, zu sortieren, zu probieren und – zu finden. Mein Blick fällt auf den alten Damen-Strohhut: Eigentlich sieht er wie neu aus.