Andrea Körber, Umwelt- und Qualitätsbeauftragte bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten, spricht im Interview mit Gisela Roetzer über Nachhaltigkeit in der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln.
Seit über 20 Jahren arbeitet Andrea Körber (42) am Herrmannsdorfer Hof im oberbayerischen Glonn. Das Unternehmen „Herrmannsdorfer Landwerkstätten“ steht für den achtsamen und respektvollen Umgang mit Boden, Wasser, Pflanzen, Tier und Mensch, und übernimmt damit nachhaltig Verantwortung für unsere Zukunft.
Gegründet wurde das Unternehmen 1986 durch den Metzger, Visionär und Ideengeber Karl Ludwig Schweisfurth. Sein Sohn Karl übernahm 1996 nach dem Rückzug des Gründers die Geschäftsführung. Heute leitet die Enkelin des Gründers, Sophie Schweisfurth, das florierende Unternehmen.
Frau Körber, was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie ganz persönlich?
Für mich bedeutet Nachhaltigkeit, für die Zukunft vorausschauend zu handeln sowie die Welt für die kommende Generation lebenswert zu erhalten und besser zu machen. Ich finde es sinnvoll, und es ist mir sehr wichtig, in einem ökologischen Betrieb zu arbeiten und Gutes für die Umwelt zu tun. Als ich 1995 bei Herrmannsdorfer anfing, war das Thema Nachhaltigkeit noch nicht so fest in den Köpfen der Verbraucher verankert. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern (schmunzelt).
„Es ist ein Anfang gemacht, aber wir sind noch nicht fertig“
Der Gründer von Herrmannsdorfer, Karl Ludwig Schweisfurth, hatte das große Ziel, die ökologische Tierhaltung und die Lebensmittelherstellung zu optimieren. Ist ihm das gelungen?
Ja, das ist ihm auf jedem Fall gelungen. Eigentlich gibt es keinen Schlusspunkt, wenn es um nachhaltiges Handeln geht. Auch Herr Schweisfurth fand nie Stillstand und wollte immer noch mehr Verbesserungen einführen. Sicher hat er den richtigen Weg gewählt, um gemeinsam mit den Landwirten das Tierwohl, die Haltung und die Lebensmittelherstellung im Hinblick auf ökologisches und nachhaltiges Handeln zu fördern. Es ist ihm gelungen, aber wir sind längst noch nicht fertig!
„Leitbild ist ein achtsamer Umgang mit allem Leben und Lebensnotwendigem“
Folgen Sie einer Art Leitbild?
Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten gehen zurück zu den Wurzeln: zu den überlieferten Bodenleben fördernden Formen des Ackerbaus, der tiergerechten Nutztierhaltung, der qualitätsorientierten Lebensmittelverarbeitung und zu einer gesunden, bewussten Ernährungsweise. Unser Leitbild ist ein achtsamer Umgang mit allem Leben und Lebensnotwendigem.
Bei welchen konkreten Maßnahmen unternimmt Ihr Unternehmen nachhaltig Verantwortung?
Der eigene Strombedarf wird bei uns vollständig aus regenerativen Quellen gedeckt. Wir haben eine klimafreundliche Kleegras-Biogasanlage, die den Nährstoffkreislauf im Betrieb unterstützt. Dort landet das, was ohnehin auf unserem Hof an Reststoffen anfällt: Schweine- und Hühnermist sowie Kleegras, das unsere Schweine nicht komplett fressen können. Das Methangas, das im Biogasmotor verbrannt wird, kann knapp ein Viertel unseres Strom- und Wärmebedarfs decken. Auf einem Wohnhaus konnten wir die erste eigene Photovoltaikanlage in Betrieb nehmen. Schon vor vielen Jahren hatten wir auf das Dach des Schweinestalls eine Photovoltaikanlage gesetzt, und auf der Westscheune ist noch heuer eine weitere geplant. Wir sind dabei, unseren Heizölverbrauch immer weiter zu reduzieren. Momentan beziehen wir zu 100 Prozent CO2-freien Ökostrom. Außerdem wirtschaften wir ausschließlich nach den Richtlinien des biologischen Landbaus. Der Boden ist die Grundlage unseres Lebens. Hier beginnt der Nahrungsmittelkreislauf. In Herrmannsdorf scheuen wir deshalb keinen Aufwand, den Boden aufzubauen und zu pflegen.
Inwieweit betrifft die Nachhaltigkeit die Viehzucht?
Unseren Tieren bieten wir ein möglichst artgerechtes Leben, das bedeutet keine Massentierhaltung, stattdessen viel Auslauf. Wir haben keine Spaltenböden, und es wird Stroh gestreut. Wir haben auch spezielle Weideschweine, die mehrere Monate ihres Lebens auf der Weide verbringen. Im Sommer leben sie in einer Art Wohngemeinschaft zusammen mit Rindern und Masthühnern. Dieses Zusammenleben nennen wir Symbiotische Landwirtschaft.
Wie halten Sie es im Verpackungsbereich?
Wir versuchen, auch in der Produktion und bei der Verpackung so nachhaltig wie möglich zu wirtschaften. Das ist nicht immer leicht, da in Deutschland bei Lebensmitteln strenge Hygienevorschriften eingehalten werden müssen. Gerade sind wir in einer Umstellungsphase auf Gläserware, um Verpackung zu sparen. Es ist aber relativ schwer, die Gläser in den Pfandrückgabe-Kreislauf zurückzuführen. Wir haben ein Zwei-Wege-Projekt ins Leben gerufen, das heißt, die Kunden dürfen die Gläser zum Befüllen mitbringen, um Plastik-Verpackung zu vermeiden. Natürlich bevorzugen wir Papier- statt Plastiktüten. Nur die Folienpapiere für Wurst und Fleisch gibt es noch, damit die strengen Hygienevorschriften eingehalten werden können und die Frische der Produkte gewährleistet wird. Wir sind dran, aber ehrlich gesagt, haben wir noch keine wirkliche Alternative gefunden.
„Wir sind ein reiner Handwerksbetrieb und brauchen viele Hände und viel Wissen“
Der nachhaltige Ansatz verlangt deutlich teurere Preise vom Abnehmer. Nimmt er das in Kauf oder geht er zur Billigkonkurrenz beim Discounter, was meinen Sie?
Ich habe das Gefühl, dass der Verbraucher mehr Wert auf regionale und fair produzierte Lebensmittel legt und damit den Preis respektiert. Die Menschen denken um und sind bereit, mehr auszugeben. Der Preis, den wir den Landwirten zahlen, ist um ein Vielfaches höher, als das Preisniveau der konventionellen Landwirtschaft. Wir sind ein reiner Handwerksbetrieb und brauchen viele Hände und viel Wissen. Das müssen wir irgendwie auffangen.
„Seit Corona denken die Menschen mehr über das Versorgungsthema nach“
Bemerken Sie denn, dass sich die Nachfrage am Hof häuft?
Es wird tatsächlich mehr nachgefragt, auch durch die Corona-Krise bedingt. Viele Menschen bleiben zu Hause und wollen selber kochen. Sie haben mehr Zeit, um über die neue Situation, das Leben und die Lebensmittel nachzudenken. Es gab ja vor allem in der Anfangszeit der Pandemie das Versorgungsthema, und es wurde den Menschen bewusst, dass es nicht nur praktisch, sondern auch gesund ist, Nahrung aus der Region zu beziehen.
Laden Sie auch Besucher ein?
Ja, natürlich, schauen Sie mal in unsere Handwerkstatt. Hier bieten wir Kurse an fürs Backen, Wurst machen, Fleisch zubereiten, Brauen und zu vielen anderen Themen rund ums gute Essen. Wir freuen uns, wenn die Leute kommen, sich alles anschauen und sich informieren. Viele Schulen haben den Besuch als festen Bestandteil zum Thema Ökologie und Nachhaltigkeit im Stundenplan integriert.
„Wir sind eng vernetzt mit unseren Partnern“
Das Unternehmen hat ein Netzwerk aus dezentralen Landwerkstätten und lokalen Bauern entworfen und berücksichtigt ökologische Zusammenhänge. Wie wird das Einhalten der Qualität-Standards überprüft?
Durch langjährig angestellte Fachleute, die die Landwirte regelmäßig abfahren und Qualitätsstandards kontrollieren. Wir sind eng vernetzt mit unseren Partnern, kennen sie alle persönlich, und ein- bis zweimal im Jahr finden Informationstreffen statt. Dort werden Probleme und Neuerungen besprochen und gefragt, ob jemand Unterstützung braucht. Bauer und Metzger stehen in direktem Austausch miteinander.
Gibt es auch die Pflicht zur Zertifizierung?
Die Betriebe sind alle biozertifiziert und verbandszertifiziert. Die Partnerbauern müssen Mitglied in einem Anbau-Verband sein und die Richtlinien der deutschen Anbauverbände (wie Biokreis, Bioland, Naturland oder Demeter) einhalten. Dadurch ist eine relativ engmaschige Kontrolle gewährleistet.
„Wir haben die gesamte Wertschöpfungskette am Hof“
2017 erhielt Ihr Unternehmen den Zukunftspreis Internorga für nachhaltige Entwicklung und neue Maßstäbe in der Branche. Das war vor drei Jahren. Ihr Mann, der Metzgermeister Jürgen Körber, nahm den Preis entgegen. Wie arbeitet ein Metzger nachhaltig?
Wir haben die gesamte Wertschöpfungskette am Hof. Die Tiere werden hier angeliefert, geschlachtet und gleich verarbeitet. Somit brauchen wir keine Zusatzstoffe, wie zum Beispiel Phosphat oder Citrat. Der Metzger braucht keine Ascorbate, Emulgatoren und Geschmacksverstärker, da das Fleisch sein einmaliges, ursprüngliches Frischfleischaroma behält. Wir versuchen, alles vom Tier zu verwerten, soweit es geht. Aber es gibt auch Teile, die der Verbraucher einfach nicht gerne isst. Unser Hauptziel ist, dass wir, wenn ein Lebewesen schon sterben muss, so wenig wie möglich wegwerfen. Oberste Prämisse ist die achtsame Haltung und das stressfreie Töten der uns anvertrauten Tiere.
Das ist ein Garant für gute Fleischqualität.
„Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten sind ein Handwerksbetrieb“
Können Sie einen Ausblick für zukünftige Strategien der Herrmannsdorfer Werkstätten geben, um vielleicht für den Nachhaltigkeitspreis 2021 nominiert zu werden?
(freut sich) Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten verstehen sich von Anfang an als Impulsgeber für eine regional und ökologisch nachhaltig wirtschaftende Landwirtschaft. Wir wollen quasi als Vorbild weitere Betriebe nachziehen. Wichtig ist uns, unabhängig vom Großhandel zu bleiben, der die Preise diktiert und damit auch die Qualität bestimmt. Darum haben wir eigene Hofläden. Circa 50 Prozent der selbst hergestellten Waren verkaufen wir über unsere Filialen. Auch in Zukunft werden wir bewusst den direkten Kontakt mit dem Kunden suchen. Ein weiterer Ausbau der Photovoltaikanlagen ist geplant, und beim Transport stellen wir mehr und mehr auf nachhaltige Mobilität um. Das erste e-Auto und Hybrid-Lastwägen sind bereits im Einsatz.
„Wir sind Bäcker, Brauer, Metzger“
Glauben Sie, es ist realistisch, dass in 20 Jahren Insekten statt Schweine verkauft werden?
(lacht) Für die Hermannsdorfer Landwerkstätten halte ich das nicht für realistisch. Möglich ist es natürlich, dass so etwas eine Alternative wird, es gibt ja auch schon Anbieter. Die Herstellung von Speiseinsekten, die eine hochwertige Eiweißquelle sind, ist schon klimafreundlicher als beim Schweinefleisch, und es wird weniger Landfläche verbraucht. Aber für unseren Betrieb sehe ich da keine Zukunft. Wir leben vom Handwerk. Wir sind Bäcker, Brauer, Metzger. Ich glaube nicht, dass wir einmal von der Insektenzucht leben werden. Aber wer weiß! (Lächelt)
Ich hoffe einfach, dass wir in dieser Größe weitermachen und dass andere kleine Betriebe mitziehen, damit die Menschen weniger und bewusster Fleisch essen. Da ist auch der Staat gefragt. Es gibt in der Fleischindustrie zu viele Lücken und zu viele schwarze Schafe. Ändern muss sich etwas, da viel zu viele Tiere nicht artgerecht gehalten und viel zu viele Lebensmittel achtlos weggeworfen werden.
Frau Körber, herzlichen Dank für Ihre Zeit!