Eugene Quinn wurde in London geboren, er lebt und arbeitet in Wien und bietet dort Führungen zu den hässlichen Gebäuden der Stadt an. Einmal „exportierte“ er 2016 mit „Ugly Munich“ die Überlegung dahinter auch nach München. Die Eigensinn Redaktion sprach mit ihm darüber, wo die Landeshauptstadt ihre architektonische Fratze zeigt.
Eugene Quinn arbeitet für die Agentur „Kulturelle Raumgestaltung space and place“ und auch als DJ auf den „funkiesten“ Partys der Stadt. Zu seinen Projekten gehören die „Vienna Ugly Tours“. Seinen Blick auf Stadt schärft er zu Fuß. Er geht täglich etwa neun Kilometer.
Eigensinn: Ein Blick hinter die Fassade aus Klischees; das sollen die „Ugly City Tours“ – regelmäßig in Wien und 2016 einmal auch in München – bieten, bei denen Du Besucher zu den hässlichsten Gebäuden oder Plätzen führst. Kritiker sagen: Der will uns ja nur schlecht machen. Aber darum scheint es nicht zu gehen. Was will die Tour wirklich?
Eugene Quinn: This is a new way of looking at the city. You need ugliness to have beauty, and on our tours we pass lots of beautiful buildings, but focus on the little loser buildings beside the famous pretty ones. We only make ugly tours of beautiful cities. The aim is to make a tour which brings together residents and visitors, to meet each other, and start a debate about which kind of city we want to live in. There is no such thing as an ugly building, and so we ask the people to vote on how they find each piece of architecture. And on a personal level, half of my London friends have not yet been to visit me in Vienna. They say that if I was in Barcelona they would come. But Vienna is too sweet and boring and old-school for them. So I wanted to show that the city is much more interesting and alive and complex than its Sisi & Schnitzel image.
Vienna is too sweet and boring
Übersetzung Eigensinn: Eine Stadt kann man auf unterschiedliche Weise betrachte. Man braucht Hässlichkeit, um Schönheit zu erkennen, und auf unserer Tour passieren wir viele schöne Gebäude, aber wir fokussieren uns auf die kleinen „Verliererhäuser“ neben den berühmten und schönen. Wir machen nur „Ugly Tours“ in schönen Städten. Das Ziel ist, eine Tour anzubieten, die Einwohner und Besucher zusammenbringt, um sich zu treffen und eine Debatte darüber zu starten, in was für einer Art Stadt sie leben möchten. So etwas wie ein hässliches Gebäude gibt es nicht, und daher fragen wir die Leute nach einer Bewertung des jeweiligen Details der Architektur. Und bei mir ganz persönlich verhält es sich so, dass die Hälfte meiner Freunde aus London mich bisher noch nicht in Wien besucht hat. Sie sagen, wenn ich in Barcelona leben würde, würden sie kommen. Aber Wien sei zu lieblich und langweilig und zu old school für sie. Also wollte ich ihnen zeigen, dass die Stadt sehr viel interessanter, lebendiger und vielfältiger ist als ihr „Sisi- & Schnitzel-Image“.
Du sagst: Schönheit kann langweilig sein. Hässlichkeit aber nie. Ein Schlagwort heißt bei Dir ja auch: Hässliches gegen die Gentrifizierung! Sollte die Bausünde also eher gepflegt als vermieden werden?
Well, if you turn ugly buildings into beautiful ones, through makeovers, then the rents will rise. What is ugly is always changing. When I was growing up, in the 80s, graffiti, ex-industrial buildings, and living beside water were all problematic. And now everybody wants these things. So who knows what will be hip or ugly in future. One of the satisfying things about living in an ugly building is that you do not have to look at it when you live in it. But your neighbours, in beautiful buildings across the road, must look at your ugly house every day. Ugly karma! And I would rather live in an ugly building than a boring one. At least it is distinctive, and often spectacular, to live ugly. The difference between boring and ugly is that with ugly the architects need to have tried quite hard for an effect, and failed. With boring, nobody tried anything.
What is ugly is always changing.
Nun, wenn man hässliche Gebäude durch Renovierung in schöne umwandelt, dann werden die Mieten steigen. Was hässlich ist, wird immer anders gesehen. Als ich in den 80er Jahren aufwuchs, waren Graffiti, ehemalige Industriebauten und das Wohnen neben Wasser ganz problematisch. Und jetzt will jeder diese Dinge. Also wer weiß schon, was in der Zukunft angesagt oder hässlich sein wird. Eines der befriedigenden Dinge beim Bewohnen eines hässlichen Gebäudes ist, dass Sie es nicht haben, um es zu betrachten, wenn Sie in ihm leben. Aber deine Nachbarn, in wunderschönen Gebäuden auf der anderen Straßenseite, müssen jeden Tag auf dein hässliches Haus schauen. Blöd gelaufen! Und ich würde lieber in einem hässlichen Gebäude leben als in einem langweiligen. Zumindest ist es unverwechselbar und oft spektakulär, hässlich zu leben. Der Unterschied zwischen langweilig und hässlich ist, dass sich bei den hässlichen Häusern die Architekten immerhin ganz schön abgemüht haben müssen, um eine Wirkung zu erzielen, an der sie scheiterten. Bei langweiligen Gebäuden hat niemand etwas versucht.
Hässlichkeit liegt im Auge des Betrachters. Der ultramoderne Stararchitekt, der den fensterlosen Betonklotz in die dörfliche Struktur klatscht, würde den Vorwurf kaum teilen. Und Du findest ja auch mal ein Gebäude hässlich, das die Touristen millionenfach mit „nice“ bewerten und sich vor ihm knipsen lassen. Was ist denn eigentlich hässlich?
One important thing to say about starchitects is, that there is a big difference between buildings which win prizes, and buildings which are good to live and work in. Architects are often more focused on prizes than making things which are good for communities, and good for our happiness. I personally do not like Rococo architecture. But guidebooks love it. And that is fine. I do not want to change anybody‘s taste. But it is problematic that if you google ugly architecture, you only find modern buildings. People are basically conservative in their taste, and that troubles me. All old buildings were new once, and many of them were hated (including Eiffel Tower, and Jugendstil in Wien) – so we need to challenge the idea, that old is good and new bad. Change is good. Alain de Botton comments in his book The Architecture of Happiness that we are getting better at designing telephones, films and clothes, but worse at designing cities. Why do people go on holiday to visit old cities, like Rome or Paris, instead of new ones? And on the tour, we make fun of the ridiculous and ugly language which architects use to promote their work. They speak their own elite language, which only other architects can understand – and wich is therefore poor marketing for their work. They should be opening up their work for the public, since we are the ultimate consumers of their product.
We need to challenge the idea, that old is good and new bad.
Eine wichtige Sache, die es über Stararchitekten zu sagen gibt, ist, dass es einen großen Unterschied zwischen Gebäuden gibt, die Preise gewinnen und Gebäuden, die gut zum Leben und Arbeiten geeignet sind. Architekten sind oft mehr auf Preise konzentriert, als Dinge zu machen, die der Gemeinschaft zugute kommen und gut sind für unser Glück. Ich persönlich mag keine Rokoko-Architektur. Aber Reiseführer lieben sie. Und das ist gut. Ich möchte niemandem seinen Geschmack vorschreiben. Aber es ist problematisch, dass eine Google-Suchanfrage mit „hässliche Architektur“ nur moderne Gebäude anzeigt. Die Menschen sind im Grunde konservativ in ihrem Geschmack, und das beunruhigt mich. Alle alten Gebäude waren einmal neu, und viele von ihnen wurden gehasst (samt Eiffelturm und dem Jugendstil in Wien) – also müssen wir die Vorstellung auf den Prüfstand stellen, dass alt gut und neu schlecht ist. Veränderung ist gut. Alain de Botton kommentiert in seinem Buch „Die Architektur des Glücks“, dass wir bei der Gestaltung von Telefonen, Filmen und Kleidern immer besser werden; aber schlechter bei der Gestaltung von Städten. Warum fahren die Leute in den Urlaub, um alte Städte wie Rom oder Paris zu besuchen, anstatt neue? Und auf der Tour machen wir uns über die lächerliche und hässliche Sprache lustig, die die Architekten nutzen, um ihre Arbeit zu vermarkten. Sie sprechen ihre eigene elitäre Sprache, die nur andere Architekten verstehen können – und die ist daher eine schlechte Vermarktung ihrer Arbeit. Sie sollten ihre Arbeit der Öffentlichkeit verständlich machen, da wir die Endverbraucher ihres Produktes sind.
Ich stelle mal die provokative Behauptung auf: München, die einstige „Weltstadt mit Herz“ ist hart geworden. Da pocht es nicht mehr. Da pumpt höchstens noch der Kommerz die Menschen von Schlafquartier zu Erfolgsjob oder spuckt den Rest achtlos weg. Das ist echt hässlich und einige Gebäude aus Vergangenheit und Gegenwart sprechen diese Sprache der Arroganz und der Macht. Geht es darum, sich dessen bewusst zu werden, damit Architektur auch wieder ihren sozialen Kontext erkennt?
I disagree with your analysis of Munich as soulless and socially ugly. It has lots of good public space, and plenty of places where visitors and locals come together to party and chat. That is not true in Vienna. And there are many interesting Muenchner architectural groups who recognise the value of building communities, and lifting our spirits, with intelligent and interesting new buildings. That the city is rich provides opportunities as well as problems. Green City is doing excellent work in bringing the city together to explore new ways of living and working, in a more sustainable way. And your beautiful public transport is a democratising force. Some of the new buildings are definitely socially ugly, but they make a good contrast with some of the wilder and more colourful experiments in 21st century living – which I love. We use humour to make some serious points on the tour, about the role of the press, of UNESCO in controlling which new architecture is allowed, of fashion and gentrification and greedy developers. And we tour rich districts. Of course there are ugly buildings in poorer neighbourhoods also, but it is much more satisfying to explore why people with choices (=cash) still make the wrong choices in taste.
Some of the new buildings are definitely socially ugly.
Deiner Einschätzung von München als seelenlos und sozial hässlich würde ich nicht zustimmen. Es gibt einen guten, großen öffentlichen Raum und viele Orte, an denen Besucher und Einheimische zusammenkommen, um zu feiern und sich zu unterhalten. Das ist in Wien nicht ganz so. Und es gibt viele interessante architektonische Münchner Gruppen, die den Wert der Gebäudegemeinschaften erkennen und unseren Geist mit intelligenten und interessanten Neubauten anregen. Dass die Stadt reich ist, bietet sowohl Möglichkeiten als auch Probleme. „Green City“ leistet hervorragende Arbeit, um die Stadt zusammenzubringen, um neue Wege nachhaltigen Lebens und der Arbeit zu erforschen. Und Euer schöner öffentlicher Verkehr ist eine demokratisierende Kraft. Einige der neuen Gebäude sind definitiv sozial hässlich, aber sie bilden einen schönen Kontrast zu einigen der wilderen und buntesten Experimente im Leben des 21. Jahrhunderts – was ich liebe. Wir setzen Humor an den ernsthaften Punkten der Tour ein; über die Rolle der Presse, der UNESCO bei der Kontrolle, was neuer Architektur erlaubt ist, über Mode und Gentrifizierung und gierige Entwickler. Und wir durchqueren reiche Bezirke. Natürlich gibt es auch hässliche Gebäude in ärmeren Vierteln, aber es ist viel befriedigender, zu erkunden, warum Menschen mit Entscheidungsmöglichkeiten (= Bargeld) immer noch die falschen Entscheidungen im Geschmack machen.
Gibt es einen Punkt, an dem der Eros einer schönen Stadt in schnöden Porno kippt und an dem die Fassade nicht mehr attraktiv, sondern nur noch viel zu dick geschminkt daher kommt? Und wenn ja: Was wäre zu tun?
Colour is one of the best and cheapest ways to lift a viertel. I prefer blue and red buildings to more grey ones. Are you against street art? That is usually very bright and cinematic and I love that. To me, the interior of the Asamkirche is decadent porno. How disrespectful and unchristian to have so much bling bling gold in a church, instead of spending it on alleviating poverty. In general I like form to follow function, and find baroque way too busy. But I am in a minority. One of the most important things is to have layers and contrasts and many different styles.
I prefer blue and red buildings to more grey ones.
Farbe ist eine der besten und billigsten Möglichkeiten, um ein Viertel zu verschönern. Ich ziehe blaue und rote Gebäude den grauen vor. Hättest Du etwas gegen Street Art einzuwenden? Die ist in der Regel sehr grell und wie im Film; und ich mag das. Für mich ist das Innere der Asamkirche dekadenter Porno. Wie respektlos und unschuldig, so viel blitzend blinkendes Gold in einer Kirche zu haben, anstatt es zu verwenden, um Armut zu lindern. Im Allgemeinen mag ich es, wenn die Form der Funktion folgt, und finde den barocken Baustil zu überladen. Aber ich gehöre da einer Minderheit an. Eines der wichtigsten Dinge ist es, Schichten und Kontraste und viele verschiedene Stile zu haben.
Titelbild: © Eugene Quinn/space and place
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