Das Münchner Kartoffelkombinat versteht sich als solidarische Landwirtschaft. Jeder soll auf seine Weise mit anpacken. Alex füllt und verteilt Gemüsekisten.
Es ist acht Uhr morgens. Viele Münchner eilen zur Arbeit. Alex ist unterwegs zur Gärtnerei des Kartoffelkombinats, um Gemüsekisten zu packen und auszufahren. Vor einer Stunde hat er den großen, weißen Lieferwagen abgeholt und dann bei der Bäckerei Weyerer einige Dutzend halber und ganzer Kastenbrote eingeladen. Der Laderaum duftet nach den frischen Backwaren. Manchmal begleiten ihn Praktikanten oder Freiwillige, die sich engagieren wollen, auf dem langen Weg vom Münchner Süden zur Gärtnerei in Spielberg bei Mammendorf.
2012 gegründet, versteht sich das Kartoffelkombinat als genossenschaftlich organisierte Gemeinschaft. Es ist Anlaufpunkt für alle, die eine Alternative zur intensiven Landwirtschaft und der herkömmlichen Lebensmittelindustrie suchen. Menschen, die nach den zahlreichen Lebensmittelskandalen endlich nachvollziehen wollen, wo ihr Essen herkommt. Alex, der seine Ernährung umstellen wollte, suchte nach Gleichgesinnten. Ein Kumpel erzählte ihm vom Kombinat. Nun ist er schon seit vier Jahren „Genosse“.
„Das Versorgungsprinzip dahinter ist“, erklärt Alex, während der Lieferwagen von der Stadt aufs Land unterwegs ist, „dass so viel Gemüse, wie ich für meinen persönlichen Bedarf brauche, für mich im Kartoffelkombinat angebaut wird.“ Überschüssige Produktion wird dadurch vermieden. Und fair ist die Idee auch: Jeder erhält den gleichen Ernteanteil. Für Familien gibt es wöchentlich eine große Kiste, für Single-Haushalte eine kleine. Das Konzept geht auf. Rund 1.000 Münchner Haushalte beliefert das Kombinat. 2020 sollen es 1.600 Haushalte sein. „Vom Barfußläufer bis zum SUV-Fahrer ist alles dabei“, beschreibt Alex die Bandbreite der Mitglieder. Der Wunsch nach gesunder, umweltbewusster Ernährung eint sie alle.
Nicht alle Mitglieder sind so aktiv wie Alex. Manche haben seiner Meinung nach das Prinzip der solidarischen Landwirtschaft, für das das Kartoffelkombinat einsteht, nicht verstanden: „Viele sehen die Gemüsekiste als reine Dienstleistung an, was nicht Sinn und Zweck des Kombinats ist. Die Leute sollen sich einbringen. Im Optimalfall ist man nicht nur Konsument, sondern es geht um eine alternative Versorgungsstruktur.“ Das Kombinat will nicht den Supermarkt ersetzen. Alle sollten mit anpacken. „Eigentlich müsste man nur einmal alle drei Jahre mithelfen, wenn jeder mal anpackt. Die Zahl der Helfer steigt jedoch nicht parallel zur Zahl der Gemüsekistenkonsumenten.“
„Alles, was man hier sieht, gehört zum Kartoffelkombinat“
Als Alex die Autobahn verlässt, schlängelt sich der Weg durch Landstraßen. Irgendwann geht die Fahrt durch ein kleines Wäldchen hindurch und eine weite Flur mit Äckern erstreckt sich vor ihm. In der Ferne stehen einige Häuser und ein zwiebelförmiger Kirchturm ragt in das Panorama. „Alles, was man hier sieht, gehört zum Kartoffelkombinat“, erläutert Alex und zeigt auf die Anbauflächen. Die Gärtnerei des Kombinats erstreckt sich auf einer sieben Hektar großen Fläche. Das Kollektiv hat schon den dritten Umzug in fünf Jahren hinter sich. Diesmal wurde das Grundstück gekauft, nur ein kleiner Teil ist dazugepachtet. Statt der üblichen 50 Prozent erzeugt das Kollektiv mit der neuen Gärtnerei 80 Prozent des Gemüses im Eigenanbau. Der Rest kommt von fünf Partnerbetrieben aus der Umgebung, mit denen das Kombinat kooperiert. Der wöchentliche Flyer „Kartoffeldruck“ sorgt für Transparenz: Er informiert detailliert darüber, woher die Produkte stammen.
Seit dem Start 2012 hat sich viel getan. Das Kartoffelkombinat musste sogar die Kartoffeln die ersten Jahre zukaufen. Seit die Gärtnerei Anfang des Jahres umgezogen ist, baut das Kombinat die Kartoffeln als Pilotprojekt jetzt selbst an. Es ist ein gutes Jahr gewesen: 37 Tonnen Kartoffeln konnten dieses Jahr geerntet werden. Am Am neuen Standort gibt es auch eine große Gemeinschaftsfläche, die viel Platz bietet. Zum Sommerfest, das auch das Einweihungsfest war, kamen mehrere hundert Gäste. Zum Fest konnte jeder ein Bäumchen für die Hecke stiften, die hinterher am Feldrand des Kartoffelkombinats zum Schutz vor dem Wetter und als Abschirmung zur intensiven Landwirtschaft auf dem Nachbaracker angelegt wurde.
Der Umzug ist abgeschlossen. In der abseits gelegenen Gärtnerei geht es zu, als wäre die Genossenschaft schon immer hier gewesen. Das Kartoffelkombinatsschild prangt an den Wänden des Hauptgebäudes. Dahinter stehen die Gewächshäuser, und dazwischen findet man ein fröhliches Potpourri aus angelegten Gärten und Wildwuchs. „Ein Genosse hat eine Kooperation mit der Montessori-Schule ins Leben gerufen. Einmal die Woche kommt nun eine Klasse zur Projektarbeit in die Gärtnerei“, erzählt Alex. Wann immer er die Mitglieder des Kombinats erwähnt, spricht er von „Genossen“.
Pack ma’s
Alex steuert den weißen Lieferwagen quer über das Gelände, denn die Gemüsekisten werden in einer großen Lagerhalle gepackt, die zu zwei Seiten hin offen ist. In der Halle stapeln sich Kisten mit Gemüse und leere Behälter; es gibt ein Fließband und einen abgetrennten Kühlraum. An der Wand hängt ein Whiteboard, auf dem geschrieben steht, wie viele große und kleine Kisten mit welchem Inhalt zu bepacken sind. Alex ist nicht der erste, der eintrifft. Ein älteres Pärchen ist neu dabei, hilft aber fast jeden Tag mit. Die beiden wiegen Kartoffeln ab, die sie hinterher in die Kisten schütten. Franz, heute der zweite Fahrer, und Alex reihen sich am Fließband ein und legen routiniert das Gemüse in die Kiste. Franzi bildet das Schlusslicht. Sie stapelt die grünen Gemüsekisten aus Plastik am Ende aufeinander.
Schon ist sie fertig, die erste gepackte Gemüsekiste des Tages, um die sich hier so vieles dreht: Kartoffeln, rote und gelbe Tomaten, Bierrettich, Frühlingszwiebeln, Weißkohl und Salat. Es sind die letzten Tomaten in diesem Jahr. Und ein rötlich aussehender Salatkopf, der sich als Radicchio herausstellt. „Ansonsten ist Mangold so ein Klassiker der Gemüsekiste, den viele nicht kennen“, erklärt Alex. Und dann geht es meistens darum herauszufinden, was man mit dem Gemüse anstellen kann. Die erste Frage beim Kochen daheim lautet immer, so Alex: „Was haben wir denn so alles da?“ Gekocht wird schließlich hauptsächlich mit dem, was wöchentlich frisch aus der Kiste kommt.
Nach und nach wandern am Fließband Gemüse und Salat durch die Hände der „Genossen“ zur Packstation. Der Weißkohl kommt aus dem Kühlraum und findet daher schnell den Weg in die Kiste. Franzi erzählt beim Packen von ihrem letzten Besuch im Bio-Laden: „Man verliert völlig das Gefühl für den Preis von Gemüse.“ Mit einem monatlichen Beitrag von 76 Euro und einem einmaligen Genossenschaftsbeitrag von 150 Euro ist beim Kartoffelkombinat alles abgedeckt. Keiner hier muss sich noch Gedanken über den monetären Gegenwert des Gemüses machen. Stattdessen bleibt Zeit, neben der Arbeit über Alltägliches zu reden.
Gemüsekiste, Brot, Mehl und Apfelsaft
Alex hievt die gepackten Gemüsekisten auf die Ladefläche des Lieferwagens. Bei der heutigen Fahrt stehen 120 Kisten für sieben verschiedene Verteilpunkte auf der Liste. „Meine Eltern schwören darauf und bestellen immer gleich zwei Brote“, sagt Alex, als er den Kasten mit dem Brot als letzten auf die Kisten in den Wagen stellt. Zusätzlich zur Gemüsekiste kann man Brot, Mehl und Apfelsaft aus den Partnerbetrieben bestellen.
Für Alex ist es höchste Zeit aufzubrechen. Wenn er spät dran ist, stehen die Abonnenten manchmal schon auf der Straße und warten auf ihre Kisten. Vorbei geht es an Gärtnerin Aurelia, einer der drei Festangestellten, die im Gewächshaustunnel den Pak Choi gießt, der im Lehmboden wächst. Ein weiteres neues Projekt in der Testphase: „Wenn alles klappt, wird ein Bewässerungssystem installiert“, erklärt sie. Vorbei geht es an Franzi, die sich nach dem Packen um die Bienenstöcke kümmert. Ihre Allergiespritze für den Notfall liegt schon bereit, bleibt aber heute unbenutzt. Hinter ihr erstrecken sich die weiten Gemüsefelder des Kombinats, auf denen leuchtend rote Hokkaido-Kürbisse liegen, der Rosenkohl in die Höhe ragt und der Mais allmählich den Kopf hängen lässt. Nun geht es zurück in den Südosten Münchens.
Mehrere Fahrer, die wie das Packteam entlohnt werden, teilen sich sieben unterschiedliche Touren pro Woche. Seit einem Dreivierteljahr fährt Alex jeden Dienstag die Bestellungen für das Kartoffelkombinat aus. Seine erste Tour fuhr er kurz nach der Geburt der eigenen Tochter: „Ich war völlig durch den Wind“, erinnert er sich lachend.
Der erste Halt der Tour ist die „anstiftung“ in der Implerstraße. Hier findet man Daniel Überall, einen der Vorstände des Kartoffelkombinats. Alex holt hier zwei Flyer ab, einen, der das anstehende Kartoffelfest ankündigt, und den wöchentlichen Flyer, den „Kartoffeldruck“. Bei jedem Halt legt Alex beide Flyer in die Kisten. Das ist gerade an windigen Tagen und wenn er alleine ist eine Herausforderung.
Als das Kombinat gegründet wurde, gab es nur direkte Hauslieferungen. Als immer mehr Bestellungen eingingen, stellte das Kombinat das System auf die Belieferung von Verteilpunkten um. Manche Abonnenten mögen das nicht und beschweren sich. Das neue System bringt auch andere Probleme mit sich. Die Leute werfen ihr Gemüsegrün und andere Abfälle einfach in die Kisten, die sie am Verteilpunkt abstellen. Andere kommen und gehen grußlos. Das ärgert schon mal die Betreiber der Verteilpunkte. „Den Leuten muss klar sein, dass dies ihr Verteilpunkt ist. Sie sind keine reinen Konsumenten“, kritisiert Alex dieses Verhalten. Das ginge so weit, dass in Einzelfällen Verteilpunkte aufgegeben werden.
Es geht auch anders. Manchmal helfen die Abonnenten freiwillig beim Ausladen. Am ersten Verteilpunkt, der Schreinerei Fuchsenberger, kommt es zu einem Gespräch. Ein lockiger Rotschopf, der kurz zuvor in seine Holzarbeit vertieft war, fragt Alex: „Habt ihr noch Kapazitäten für neue Mitglieder?“ und packt gleich mit an. Er hat bereits vom Kartoffelkombinat gehört und würde gerne seinen Vater überzeugen, mitzumachen. Eine Probekiste hatte er sogar schon einmal bestellt, aber vergessen, sie abzuholen, gibt er zu. Er grinst schuldbewusst.
Nach und nach steuert Alex alle sieben Punkte an. Heute sind die Kisten ein wenig schwerer als sonst, aber er hat zum Glück eine Sackkarre dabei. Er kraxelt Wendeltreppen hinauf, schlängelt sich an Jugendlichen vorbei, klingelt an einer Haustür. Die Verteilpunkte sind mal Jugendtreffs, mal dient ein Privathaushalt als Sammelstelle. An einer Anlaufstelle packt er die Kisten in Styroporboxen mit Namensschildchen, an einer anderen stellt er sie in einen Holzverschlag. Er wird immer freundlich empfangen. Man kennt Alex und stellt sich auch öfters gerne mal zu einem kleinen Plausch zu ihm.
Der letzte Halt ist beim Giesinger Grünspitz. Jetzt heißt es das letzte Mal Kisten schleppen für heute. In einer Kiste liegt aufgeweichtes Brot von der Vorwoche. Alex fischt es heraus und kippt ein letztes Mal für diesen Tag das Regenwasser aus den Styropordeckeln der Aufbewahrungsboxen. Dann nimmt er die leeren Kisten aus den Styroporboxen und stellt die vollen hinein. Zum Schluss räumt er die Boxen wieder in den Holzverschlag. Es ist vier Uhr, als Alex den Grünspitz verlässt.
Das Münchner Kartoffelkombinat versteht sich als solidarische Landwirtschaft. Jeder soll auf seine Weise mit anpacken. Von der Sache überzeugte Mitglieder, wie Alex, sorgen dafür, dass alles klappt.
Titelbild: © Anna-Marie Mamar
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