Reinhard Mey ist wieder auf Tour. Im Münchner Circus Krone präsentiert er Songs seines Albums „Mr. Lee“. Poetisch, leise und doch einnehmend. Eine Konzertkritik.
Mittwochabend, am 10. Oktober 2017, im ausverkauften Circus Krone in München. Lächelnde Gesichter, voller Vorfreude. Was steht auf dem Programm? Ein Konzert des wohl berühmtesten Liedermachers Deutschlands. Auch unterhalb der Wolken. Nach drei Jahren Pause ist der 76-jährige Chansonnier Reinhard Mey zurück auf der Bühne. Und die Zuschauer, alt wie jung, Frauen wie Männer, sitzen gespannt wie die Kinder auf den Bänken. Endlich geht es los:
Spielmann bin ich geworden, bin ein Stelzenläufer,
Gaukler bin ich, ein Seiltänzer, ein Taugenichts,
Vorsänger, Lautenschläger, bin ein Traumverkäufer,
Spielmann will ich sein bis zum Tag des Jüngsten Gerichts! (aus: Spielmann, Reinhard Mey)
Er tritt so zurückhaltend und ruhig auf die Bühne, wie es nur wenige Stars tun. Ein schlauer, wacher Blick hinter der runden Nickelbrille, ganz in schwarz gekleidet. Keine Allüren, sondern reine Bescheidenheit. Die Bühne ist leer bis auf ihn, seine Gitarre und einen Mikrofonständer. Mehr braucht es nicht. Das Publikum jubelt kurz, bevor es andächtig seinem ersten Stück lauscht: Es trägt den passenden Titel „Spielmann“ und erzählt von Meys Traum, als Musiker durch die Welt zu reisen. Ein Traum, der längst Realität geworden ist.
Verschmitzter Poet mit Lampenfieber
In der Talkshow 3nach9 im NDR berichtet Reinhard Mey, dass all seine Lieder einen realen Hintergrund haben. Das sei einfacher zu schreiben. Und glaubwürdiger für das Publikum. Er lebe für die Wärme, die ihm entgegenkommt, „das ist das, wofür Künstler leben“. Da kann man das Lampenfieber schon mal überwinden. Er steht zu seinen „Fluchtgedanken vor jedem Auftritt“. Vom Lampenfieber merkt man nichts. Jeder Ton sitzt, die Gitarre zupft er, ohne groß drüber nachdenken zu müssen, fast unbewusst.
Seine Lieder treffen Menschen in ihrem Innersten. Er singt von seiner Familie, seiner Frau, die ihn so oft inspiriert, von lustigen Alltagsmomenten. Eigentlich banale Dinge, doch er weiß sie liebevoll auszuschmücken, bis ein poetischer Songtext daraus wird.
Der Wecker fiept: Halb sieben, Unheil nimm deinen Lauf!
Der Große muss zur ersten Stunde: „Los, steh auf!
Und mach‘ leise, dass nicht gleich der Mittlere aufwacht,
Der kann noch schlafen.“ Rums, die erste Türe kracht… (aus: Aller guten Dinge sind drei, Reinhard Mey)
Seine Fans lieben genau das an Reinhard Mey: Seine Art, Geschichten zu erzählen wie kein anderer. Nach 27 Studioalben seit 1967 geht ihm die Inspiration noch lange nicht aus. Hinzu kommen mittlerweile 17 Live-Alben, zuletzt „Dann mach’s gut“, welches er 2015 veröffentlichte. Sein letztes Album, zu dem er dieses Jahr auf Tour ist, „Mr. Lee“ erschien im Mai 2016 und schaffte es in den deutschen Albumcharts auf Platz 3. 1971 bekam er seine erste Goldene Schallplatte und ging das erste Mal auf Tournee. Mittlerweile umfassen seine Tourneen meist 60 Tage. München ist die 15. und 16. Etappe, hier tritt er gleich zwei Mal auf. Die Karten sind jedes Mal in Windeseile ausverkauft.
Ob auf Deutsch, Italienisch, Polnisch oder Latein: Der Sänger erreicht die Münchner Zuhörer ohne viel Tamtam. Spätestens als alle gemeinsam in den Refrain von „Drei Jahre und ein Tag“ einstimmen und die ganze Halle den Spruch der Bauhandwerksgesellen singt „Wir alle seins Brüder, wir alle seins gleich“, flirrt die Luft nur so vor Emotionen. Der ganze Circus Krone summt die vorgesungene Melodie mit. So andächtig, dass der Liedermacher nach dem Stück tief seufzt: „Mit dem Summen haben Sie mich eben ganz schön zum Schlucken gebracht. Das war wirklich bewegend und schön.“
Musikalische Wurzeln in Frankreich
Das Gefühlvolle zeichnet ihn bereits in seinen ersten Liedern aus, die er in Paris geschrieben hat. Er spricht fließend Französisch und wurde in den 60er Jahren nachhaltig von den dortigen Chansons geprägt. In seiner zweiten Heimat, Paris, ist er entdeckt worden und hat seinen ersten Preis gewonnen. In den 70er Jahren lernte er seine „Lebensliebe“ Hella kennen, die er 1977 heiratete.
Doch Mey kann nicht nur gefühlvoll. Er kann auch politisch. 2003 ging er gegen den Irakkrieg auf die Straße. Auch im Konzert diesen Herbst ist ihm diese Botschaft wichtig; er möchte auf seine Art für Frieden sorgen. „Sei wachsam“ (1996 auf dem Album „Leuchtfeuer“) richtet sich gegen Unterdrückung, für Freiheit und Mut und eine kritische Haltung als Bürger. Er kann ernst genauso gut wie lustig. Und bleibt dabei immer sanft, nachdenklich. Er möchte seinem Publikum auch positive Worte mitgeben, möchte ihnen Tipps für dunkle Zeiten geben:
Wenn’s Wackersteine auf dich regnet, zähl die hellen Augenblicke,
zähl nicht deine Missgeschicke, zähl, womit dich das Leben segnet! (aus: Wenn’s Wackersteine auf dich regnet, Reinhard Mey)
Ganz nah aus seinem privaten Alltag stammt auch sein Song „Herr Fellmann, Bonsai und ich“: So büchsen die Heimbewohner eines Altenheims in seiner Wohngegend öfter einmal aus, erzählt Mey dem Publikum. Dann komme ein Senior im Schlafanzug und Pantoffeln an seinem Fenster vorbei und sei schwer verwirrt. Die Herrschaften sollen nicht erfrieren, sondern gerettet werden. Das macht Mey gerne. Und widmet ihnen im Anschluss noch ein Lied.
Am Schluss gibt es Standing Ovations. Beim Rausgehen hört man ringsum gerührte Stimmen. Sitznachbarin Anne Erich ist schon seit ihrer Kindheit ein Fan des Sängers. Sie besucht zum zweiten Mal ein Konzert von ihm. „Ich habe mich schon seit Monaten auf den Abend gefreut. Und wurde nicht enttäuscht“, sagt sie. Ihr Lieblingslied „Über den Wolken“ stimmt Mey kurz vor Ende seines Konzerts an. Sie kann es auswendig und summt lächelnd mit. Danach geht sie beschwingt mit jeder Menge Melodien im Kopf nach Hause.
Er ist nicht nur ein Spielmann. Es fallen einem noch so viele andere passende Berufsbilder für Reinhard Mey ein: Seniorenbetreuer, Katzenflüsterer, Vorleser, Hypnotiseur, Buchautor. Aber der Spielmann passt immer noch wunderbar zu ihm – und macht die meisten Menschen um ihn herum mit glücklich.
Weiterführende Links
Offizielle Website des Künstlers
Reinhard Mey im Interview bei 3nach9