Ein alternatives Wohnmodell bietet der Stadtpark OLGA. In der Münchner Gemeinschaft „Ohne Lenkrad geht`s auch“ sind etwa 20 Erwachsene und fünf Kinder daheim. In Gebäuden, die wegrollen könnten, wenn es an der Zeit wäre.
Franziska erntet Amarant. Der ist ganz klein, weiß und kann auf groß gepoppt werden. Wem würde es in der Stadt auffallen, dass die dunkelrote „Blüte“ des Fuchsschwanzes, wie er im Volksmund heißt, zugleich ein Fruchtstand ist? Franziska kommt eigentlich vom Land, aber die Stadt ist doch ihr Leben. Sie arbeitet als Grafikerin in einem Verlag, der illustrierte Kunstbücher druckt. Deshalb auch München; der Beruf. Nicht hinter „sieben Bergen“, sondern dennoch mitten drin in München. Aber in einer klassischen Mietswohnung würde sie sich nicht leicht wohl fühlen. Hier hat sie in ihrem umgebauten Lastwagen zwar nur eine begrenzte Fläche; immerhin schon mal größer als die durchschnittliche Studentenbude. Eine Dusche zusätzlich zu Tisch und Bett hat sie nicht. Eine kleine Küche mit Gasherd muss ohne Leitungsanschluss auskommen. „Und die Toilette …?“
„Und die Toilette …?“
„Ein wenig nervt es schon“, sagt sie, „dass die Fragen von außen immer gleich darauf zielen, wo wir Pipi machen.“ Es gibt Toilettenhäuschen mit Kanalanschluss. Den hat die Gemeinschaft selbst bis zum nächsten Sammelschacht gegraben. Behördlich alles abgenommen und hygienisch in Ordnung. Auch der Sanitärbereich funktioniert einwandfrei, sagt Klaus. Dennoch schallt über den Zaun am Gelände zur scheinbar chaotischen Wagenburg herein schon mal das „Vorurteil der Unordnung“ in wenig feinen Worten, wenn ein Passant den Mund vor dem Hirn anknipst.
Ein paar Dinge laufen dennoch anders; wie beim Duschen. Franziska hat da eher das japanische Modell für sich entdeckt. Abends, wenn dafür Muße und Zeit ist. Nicht etwas genießen, was ohne Heizkeller mehr direkter Luxus ist als für den morgendlich Gehetzten. Wasser ist wertvoller, wenn es zweimal wöchentlich mühsam aus dem städtischen „Quellschacht“ in die großen Gemeinschaftstanks umgepumpt oder mit Kanistern in die individuellen Küchenvorräte geschleppt werden muss. Holz sowieso. Es heizt die Öfen, wenn es nötig wird. Franziska hat einen Herd im Wohnraum und wundert sich auch über die immer wiederkehrende „Winterfrage“. Ihr Heim ist isoliert. Die Türe schließt, der Grundofen mit viel Speichermasse hält drinnen konstant kuschelig warm, wenn draußen die Eisblumen blühen. Mit Pulli wird pragmatisch ausgeglichen, wo ein Lastwagen nicht selbst noch mehr ummantelt werden konnte. Das maximale Gesamtgewicht und bestimmte Maße dürfen nicht überschritten werden. Wenn wieder Umzug ansteht, ist TÜV nötig.
Der wird wieder kommen. Die Fläche nähe Ratzingerplatz ist nur befristet gemietet. Da will die Stadt bauen und es ist klar und akzeptiert, dass es dann wieder einmal heißen wird: ein halbes Jahr Vorbereitung für den Transport und ein halbes, bis alles wieder seinen gewohnten Gang geht. „Ein beschissener Zustand“, sagt Klaus. Wer von OLGA aus die Stadt durchradelt, der hat parallel immer schon ein Auge darauf, wo das nächste „Dorf auf Rädern“ aufgeschlagen werden könnte.
Vor gut sieben Jahren war an einen halbwegs festen Platz überhaupt noch nicht zu denken. „Da gab es einen kleineren Kreis aus fünf Leuten mit Wagen“, erinnert sich Franziska, die sich entschlossen, irgendwo was Gemeinsames zu machen, statt auf heimlichen Plätzen zu stehen und zum Duschen ins Hallenbad zu gehen. Aber da war die Stadt noch recht „unbemüht“ in ihrer Suche nach kommunalen Freiflächen für so ein Projekt.
Die Not-Option lautete damals: Eine Stadtbrache besetzen, die sowieso ungenutzt rum liegt. Nahe dem Olympiazentrum ging es aber damals schon nicht darum, sich wider geltende Bestimmungen zu stemmen, sondern auf sich aufmerksam zu machen: „Hey, wir wollen einfach nur etwas anders wohnen.“ Die Gruppe hatte mit dem Signal Erfolg und Aufmerksamkeit. In der Öffentlichkeit und auch bei einem Stadtrat mit starken grünen und roten Einflüssen. Wenn der stärker ins konservativere Lager kippen würde, davor hat „OLGA“ etwas Angst, sagt Franziska. Auch deshalb wird der Konsens gesucht, untereinander und nach außen. Für Bestand und gegen Vorurteile.
Von Verlängerungsvertrag zu Verlängerungsvertrag saß der Stadtpark stets auf gepackten Wägen. Immerhin; bisher waren nur zwei weitere Stationen nötig. Flexible Geister sind in der Olga ohnehin daheim. Aber längere Perspektiven wären schon schön, so Franziska. Nicht so wegen des Eigenheims. Das rollt ja. Aber der Garten daneben braucht mehr Verwurzelung, bis Kreisläufe mit Hochbeeten und Komposthaufen wieder rund sind. Kinder wechseln ungern Schulen und Freundeskreis. Und das große Gemeinschaftshaus, der „Glaspalast“, besteht zwar im Prinzip auch aus transportablen Bauelementen. Aber die dann erst wieder zusammen puzzeln …
Der Raum ist klein, man rückt zusammen. Sehr kommunal.
Hier haben die Konzerte, Kino und sozialen Engagements Platz, bei denen OLGA zugleich als Kulturprojekt jeden Donnerstag die Tore öffnet. Gerade war „El Caracol“ zum Kürbisschnitzen und Suppe-Kochen da. Die versuchen kommunale Leerstände aufzudecken und dort eine solidarische Wohnform über Generationen hinweg zu entwickeln; gemeinsam statt einsam. Man tauscht sich aus. Immer dienstags tagt das Plenum von „OLGA“ im schräg darüber gelegenen Nebenraum. Alle gemeinsamen Entscheidungen werden dort basisdemokratisch besprochen und entschieden. Der Raum ist klein, man rückt zusammen. Sehr kommunal.
Auch der Antrag wird hier geklärt, ob die Presse vorbeikommen kann. Sie durfte das nach einer vertrauensbildenden Vorstellungsrunde. Ansonsten bleibt die Gemeinde auch gerne für sich. Eine alte Fahrradglocke am Tor muss schon heftig „geringt“ werden, um diese Hürde zu nehmen. Hinter der Aufforderung, Privatsphäre zu achten, muss auf das Klingeln hin drinnen erst jemand aufmerksam werden und Besuch anbieten. OLGA will keine Sehenswürdigkeit sein, sondern ganz normaler Alltag. Darum ist der Web-Kontakt auch über die Information hinaus mit einer E-Mail-Adresse statt eiliger Telefonnummer verengt. Wer da rein möchte, muss sich schon etwas bemühen. Zuzug wäre schon gar nicht möglich. Kapazität voll, es gibt eher eine Warteliste bei geringem Mitbewohnerschwund. Das spricht fürs Konzept. Wer aufgenommen würde, nach Plenumsentscheid, ist meist schon lange zuvor ein guter Bekannter. Es soll ja auch passen.
Das gemeinsame Leben hält ohnehin auch hier die alltäglichen Konflikte bereit. „Abends mit Brummschädel vom Stress im Job oder Wetter; und der Nachbar flext noch an seinem Haus? Da klärt man sich das hier einfach im Gespräch.“ Im klassischen Wohnblock läuft das hinter Mauern und Türen seltener so. Da regiert die Hausordnung und schafft auch ein Stück geklärter Unfreiheit. „Das würde mir nicht gefallen“, sagt Franziska. Auch die Vorstellung, „dass der Eigentümer vielleicht einen Bautrupp los schickt und rum reißt, was für mich ohne Einfluss nur höhere Miete heißen würde.“ Hier geht es gerade ums Gegenteil. Um Freiheit. Ums Gestalten. Und zwar mit aller Verantwortung, die auch an so einem sozialen Miteinander hängt.
Gesellschaft ist doch sonst schon sehr oberflächlich.
Hier leben ganz einfache Leute. Vom Handwerker bis zum Akademiker, der Künstler neben der Lehrerin, der Single hat auch Familienanschluss, weil die Kinder hier nicht auf vier Wände begrenzt sind. Hier liegt ein Grund, warum die „Lenkradlosen“ so leben wollen. Klaus sagt: „Es gibt 1000 weitere; und bei jedem ist das etwas anders.“ Da gebe es den Peter-Lustig-Typ ebenso wie den politisch Aktiven. Der Sparfuchs, der Ökobewusste. Es ist Individualität in Gemeinschaft. „Nicht so wertend“, sagt Franziska. „Gesellschaft ist doch sonst schon sehr oberflächlich. OLGA ist ein guter Ort, um genauer hin zu schauen.“
OLGA ist deshalb auch alles andere als unpolitisch. Teilnahme an Demos gehören dazu. „Antidiskriminierend und antisexistisch“ versteht sich OLGA, so Klaus. Er ist Goldschmied und verdient sich in seinem Brotjob das Nötige. Den gewonnenen Freiraum kann er als Künstler nutzen. Der Platz reicht dafür auch. Auf dem Weg zum Diplom hat er den Raum in seinem Lastwagen neu definiert. Der ist Schlafraum, Wohnzimmer, Küche, Bibliothek und Atelier zugleich. Das verlangt schon mal eine ausgeklügelte Stauraumlogistik. Ein altes Sofa hat er millimetergenau passend in die Nische über dem Schrank geschoben. Zu gemütlichen Zeiten kommt es dann auch wieder raus. Einfach wegwerfen, das ist selten eine Option. Fast alles hat wieder einen Sinn, wie Holzplanken, die zu Wegen zwischen den Wagen werden, wenn das Wetter den Boden morastig macht.
Kein Platz für unüberlegten Luxus
Ansonsten muss sich hier auch keiner groß den Kopf zerbrechen, was für ihn Luxus bedeuten könnte. Zu wenig Platz, um sich sein Leben voll zu stellen, sich das Wesentliche zu verstellen. Die Straßenverkehrsordnung gibt in etwa 2,5 Meter maximale Breite und eine Gesamtfahrzeuglänge von 12 Metern vor. Da bleibt die Konsumwut schmal. Franziska hat ein paar Möbel, die sie liebt, bei den Eltern untergestellt. Ansonsten ist sie fokussiert auf das Wichtige und Nötige. Eine Bettecke mit Schrank darunter, eine Kochgelegenheit mit Tisch und zwei Stühlen. Das Wohnzimmer aus Ofen und Plüschsessel ist sehr gemütlich. An der Stirnseite befindet sich unter schmalen Fenstern die helle Kreativecke mit PC und darüber ein über drei Seiten laufendes Regal, auf dem sich schwer Kunst-und Künstler-Bücher reihen. Sie geht in den Verlag zum Arbeiten. Moderne Ausstattung und Austausch mit Kollegen ist auch wertvoll. Fünf Arbeitstage zu je zehn Stunden, Erfolg, Karriere, Spitzeneinkommen muss sie aber nicht mehr haben.
OLGA bietet Freiräume zu eigenbestimmterem Arbeiten. Die Platzkosten teilen sich doch günstiger auf als klassische Miete. Aber dafür braucht jeder immerhin auch einen geeigneten Wagen. Das kostet anfangs nicht wenig. Und der will instand gehalten werden. Nebenan klopft Peter gerade ein neues Dach drauf. Das alte war morsch geworden. Das verlangt Hinlangen. Wo nötig, wird geholfen. Und es verlangt, sich mit dem auseinanderzusetzen, was der Mensch wirklich braucht. Regenwasser, um den Garten zu gießen. Sonne, um Strom zu erzeugen. Und dazu ein ressourcenschonender Verbrauch. Klaus: „Wir sind auch ein nichtkommerzieller Raum.“
Das ist auch alles andere als easy
Klaus sagt: „Selbst wenn Miete günstiger wäre, würde ich es trotzdem so machen.“ Er möchte sein Umfeld selbst gestalten können. „Das ist auch alles andere als easy“, sagt er. „Viele meinen, das wäre ein Leben ohne Verpflichtungen.“ Aber gerade das Gegenteil sei der Fall. Franziska ergänzt: „Dein Leben verändert sich krass. In der Gruppe gibt es ganz andere Themen.“ Eine Hierarchie wie in der klassischen Familie, mit einem, der das Sagen hat, die wollen sie nicht. „Da muss man auch schon überlegen, was man sagt und wie man es sagt“, so Franziska. Wenn die Gruppe auch gewachsen ist. „Mit 19 besten Freunden“: So ist es ja auch nicht immer. „Wir setzen uns intensiv auseinander. Ich bin jetzt viel reflektierter, geduldiger.“
Ich bin jetzt viel reflektierter, geduldiger.
„Es fällt auch manchmal schwer, die Verschiedenartigkeit der Leute auszuhalten“, fügt Klaus dazu. „Aber das macht die Gruppe einzigartig und cool. Viermal blau und einmal rot ist auch viel interessanter.“ Als der erste Platz besetzt wurde, hatten vier Leute des künftigen Wohnstadtparks einen Lastwagen mit Lenkrad. Die hätten gleich weiter ziehen können. Nur ein Mitglied hatte keinen Motor und kein Steuerrad nach anderswo. Aus Solidarität wuchs der Name, dass es ohne Lenkrad auch gehen müsse. Ein Bleiben, dessen Fundament halt mehr aus gemeinsamen Zielen besteht als aus Beton.
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