Sechs Fragen an Eigensinn-Experten

24. Oktober 2017
Sechs Fragen an Eigensinn-Experten

Der Eigensinn wird in unserer Gesellschaft eher negativ bewertet. Teilweise zu Unrecht, finden unsere Experten. Lesen Sie mehr in den folgenden Kurzinterviews….

„Wer aus Charakter oder Maxime beharrlich verneint, hat eine größere Gewalt, als man denkt“. Ob Johann Wolfgang von Goethe damit Kinder meinte, die wahre Meister im beharrlichen Verneinen sind? Oder Erwachsene, die diese „gewaltige“ Charaktereigenschaft auch besitzen? Der Eigensinn wird in unserer Gesellschaft eher negativ bewertet. Teilweise zu Unrecht, finden unsere Experten.


Sechs Fragen an die Realschullehrerin Dörte Beutler ^

„Eigensinn ermöglicht neue Sichtweisen und Innovationen, fordert heraus und macht das Leben spannend.“

Eigensinn: Dürfen Kinder eigensinnig sein?
Dörte Beutler:
Kinder sollen einen eigenen Sinn haben und diesen umsetzen wollen. Es wäre fatal, wenn Kinder nur das wollen würden, worin andere einen Sinn sehen. Irgendwann sollen sie mündige, selbst denkende Erwachsene sein. Wie soll das gehen, wenn sie als Kinder keinen eigenen Willen haben dürfen?

Wie zeigt sich Eigensinn bei Kindern?
Eigensinn zeigt sich dadurch, dass Kinder eigenständig denken und auch mal widersprechen, beginnen zu diskutieren und auszuhandeln.

Wo würden Sie die Grenze ziehen?
Grenzen liegen für mich dort, wo Kinder sich oder andere gefährden. Aber auch bereits dort, wo sie ihren eigenen Willen durchsetzen wollen, obwohl es das Wohl anderer einschränkt, das Wohl einer Gruppe. Kinder müssen lernen, dass es nicht bloß um ihren eigenen Eigensinn geht, sondern auch um den der anderen und dass man da Kompromisse finden und eingehen muss. Auch wenn es einen manchmal ärgert.

Bei den Diagnosen zu ADS/ADHS gab es in den vergangenen fünf Jahren eine signifikante Zunahme. Was meinen Sie dazu?
Da spielt einiges zusammen. Eine These ist, dass es aufgrund dieser Diagnose eine stärkere Aufmerksamkeit für darunter zusammengefasste Verhaltensweisen von Kindern gibt. Kinder bewegen sich weniger, weil sie viel Zeit mit digitalen Medien verbringen und weil es zahlreiche Ganztagsschulen gibt, die kein wirklich schlüssiges Konzept bezüglich der Bewegung umsetzen.

Der Tag ist nicht rhythmisiert: Das bedeutet, dass Schüler zu viel sitzen und ihren Bewegungsdrang nicht ausleben können. Deshalb fällt es Kindern, insbesondere Jungs – so meine bisherige Erfahrung – schwer, in der Schule ruhig zu sitzen. Sucht man nach einer einfachen Möglichkeit, diese Störung zu beheben, um die übliche Idee von Unterricht umzusetzen, bietet sich diese Diagnose an und als Folge sogar ein „Ruhigstellen“ mit entsprechenden Medikamenten.

Auch die Ernährung kann eine Rolle spielen. In vielen Familien wird selten gemeinsam gegessen, die Kinder kaufen sich selbst etwas, essen viele Süßigkeiten oder trinken zuckerhaltige Getränke, wodurch sie zu viel Zucker zu sich nehmen. Das kann die Unruhe verstärken.

Personalchefs fordern von Mitarbeitern Durchsetzungsstärke und einen „eigenen Kopf“. Kinder kritisiert man hingegen als „Dickkopf“. Warum gibt es diese unterschiedliche Bewertung?
Aus meiner Erfahrung ist der „eigene Kopf“ im Berufsleben nur begrenzt erwünscht, bezüglich der zugewiesenen Aufgabe. Das ist in der Schule nicht anders. Schüler sollen in einem gewissen Rahmen, bei der Lösung von Aufgaben, auch selbst denken. Sobald der „eigene Kopf“ ein System stört, wird es anstrengend. Denken fordert Aufmerksamkeit, man muss selbst umdenken, ob als Vorgesetzter im Beruf oder als Lehrer in der Schule. Oder auch als Elternteil. Das fordert Flexibilität, Zeit, Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, was nicht immer erwünscht und nicht immer möglich ist.

Welchen Vor- oder Nachteil hat man als Erwachsener vom Eigensinn?
Eigensinn ermöglicht neue Sichtweisen und Innovationen, fordert heraus und macht das Leben spannend.

 

Sechs Fragen an einen Vater zweier Söhne mit AD(H)S
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„Eigensinn kann auch ein Botenstoffproblem sein und Kinder selbst quälen.“

Eigensinn: Dürfen Kinder eigensinnig sein?
Vater:
Klar. Das sollen sie sogar. Die Frage ist aber: Wie viel davon ist Individualität, die gefördert werden soll? Wie viel davon ist eine Belastung für Eltern, Kindergarten, Schule und schließlich für das Kind selbst? Wir haben zwei Söhne, einen mit ADS, einen Träumer also, und einen mit ADHS, einen Zappelphilipp. Da geht es nicht mehr um Eigensinn, weil es auch nicht mehr um selbst kontrollierbares Verhalten geht, das man fördern oder bremsen könnte.

Wie zeigt sich Eigensinn bei Kindern?
In einem selbstbewussten Auftreten, in einer Sturheit, selbst auch zu wissen, was sein soll und was nicht. Eltern werden da auch ab und an mal Grenzen ziehen müssen. Der Kompromiss will gelernt werden. Aber wenn ein Kind sich denkt: Ich werde jetzt Künstler, dann sollte man Block und Stift holen gehen und nicht alte Berufsbilder zitieren.

Wo würden Sie die Grenze ziehen?
Die liegt dort, wo ein Verhaltensbild aus einer Krankheit resultiert. Mich nervt es gewaltig, wenn Menschen ohne eigene Erfahrung meinen, mit der richtigen Erziehung kriege man das schon hin. ADS und ADHS haben viel mit Botenstoffproblemen zu tun. Da kann einiges mit Verhaltenstherapie erreicht werden, aber auch Medikamente können nötig sein und sollten nicht gleich als Drogen verteufelt werden.

Bei den Diagnosen zu ADS/ADHS gab es in den vergangenen fünf Jahren eine signifikante Zunahme. Was meinen Sie dazu?
Die Kinder haben sich nicht verändert. Die Bereitschaft, zum Kinderpsychiater oder Psychologen zu gehen, ist hingegen gestiegen. Früher wäre ein ADHSler eben als nerviger Versager irgendwann aus der Schule geflogen oder hätte sich frustriert und oft sozial unverträglich mit Jobs unter seinen Fähigkeiten durchgeschlagen. Der Träumer wäre vielleicht nicht angeeckt, aber dafür verkannt und depressiv gescheitert. Heute ist das Wissen vorhanden, dass auch Erwachsene damit ihre liebe Not haben können und Symptome oft erblich bedingt sind. Wir haben umgekehrt so von unseren Kindern auch einen neuen Blick auf uns selbst erhalten.

Personalchefs fordern von Mitarbeitern Durchsetzungsstärke und einen „eigenen Kopf“. Kinder kritisiert man hingegen als „Dickkopf“. Warum gibt es diese unterschiedliche Bewertung?
Hier gibt es auf der anderen Seite ja auch immer das Attribut Teamfähigkeit. Es betrifft Kinder und Erwachsene gleich, seine Potenziale auszuspielen und zugleich nicht zu überreizen. Wenn ein Erwachsener manische Züge annimmt, profitiert niemand mehr von seinem Eigensinn.

Welchen Vorteil oder Nachteil hat man als Erwachsener vom Eigensinn?
Da kann ich zunächst nur für mich sprechen. Ich wollte immer etwas bewegen, suchte Impulse und neue Denkansätze. Damit habe ich mein voriges Team wohl etwas auf die Palme gebracht, weil ich oft unzufrieden war und das als unfaire Kritik aufgefasst wurde. Es hat mir beruflich echt geschadet. Deshalb suche ich gerade eine neue Anstellung. Ich denke, dass der alte Trott für die früheren Kollegen jetzt zwar bequemer ist, das Unternehmen aber auf lange Sicht zugleich bremsen wird.

Anonymisierte Antworten eines Vaters, um den Persönlichkeitsschutz der Kinder zu wahren. Aufmerksamkeitsschwächen werden immer noch gerne stigmatisiert und als „Benimm-Defizit“ interpretiert.

 

Sechs Fragen an die Kinderpsychotherapeutin Michaela Potter ^

„Ohne Eigensinn oder Trotz, wie er bei Kindern auch genannt wird, ist keine Autonomieentwicklung möglich.“

Eigensinn: Dürfen Kinder eigensinnig sein?
Michaela Potter: Ja, und das sollen sie auch, denn ohne Eigensinn oder Trotz, wie er auch genannt wird, ist keine Autonomieentwicklung möglich.

Wie zeigt sich Eigensinn bei Kindern?
Ab dem Alter von 16 bis 18 Monaten tritt erstmals Trotzverhalten auf. Trotz erklärt sich durch die neu gewonnene Kompetenz, sich vor Beginn einer Handlung das Ziel vorzustellen und sich selbst als Urheber wahrzunehmen. Wird die Durchführung behindert, haben Kinder zunächst keine Handlungsalternative parat und reagieren mit einem Trotzanfall. Die Dauer des „Trotzalters“ kann sehr variieren. Kinder brauchen eine einfühlsame Bezugsperson, die ihnen ihre Wut spiegelt und Alternativen aufzeigt. Mit zunehmender Sprach- und Handlungskompetenz nehmen die Trotzanfälle ab. Eine weitere Autonomieentwicklungsphase ist die Pubertät, in der sich die Jugendlichen von ihren Eltern abnabeln und ihren eigenen Weg finden sollen.

Wo würden Sie die Grenze ziehen?
Wenn ein Kind bei Trotzanfällen sich oder andere häufig verletzt oder sonstige Schäden verursacht, kann eine Vorstellung beim Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten weiterhelfen. Dies ist jedoch nicht der Regelfall, sondern die Folge ungünstiger Verstärkungen frühen Trotzverhaltens.

Bei den Diagnosen zu ADS/ADHS gab es in den vergangenen fünf Jahren eine signifikante Zunahme. Was meinen Sie dazu?
Zum einen werden mehr Kinder zur Diagnostik geschickt und daher mehr Fälle identifiziert. Zum anderen haben sich die Umstände zu Ungunsten der kindlichen Bedürfnisse verändert: Klassen werden größer, Ansprüche höher und Kinder bewegen sich weniger als früher, sodass lebhafte Kinder weniger Ausgleich erleben. So fallen die Symptome eines AD(H)S mehr auf und stören den Unterricht. Individuelle Betreuung von Kindern, die nicht dem Durchschnitt entsprechen, ist kaum mehr möglich.

Personalchefs fordern von Mitarbeitern Durchsetzungsstärke und einen „eigenen Kopf“. Kinder kritisiert man hingegen als „Dickkopf“. Warum gibt es diese unterschiedliche Bewertung?
Eigensinn von Kindern wird viel impulsiver durchgesetzt, da sie noch nicht über die Regulationsmechanismen von Erwachsenen verfügen. Von letzteren hingegen kann man die sozial verträgliche Ausübung von Eigensinn im Sinne von Kreativität oder Durchsetzungsvermögen erwarten. Zudem ist Eigensinn von Kindern für die betreuenden Personen anstrengend und fordert Zeit, die in unserem heutzutage viel stärker durchgetakteten Alltag nicht immer zur Verfügung steht. Beispielsweise, wenn das Kind morgens pünktlich in der Kita sein muss, auf dem Weg aber eine Baustelle bestaunen möchte.

Welchen Vorteil oder Nachteil hat man als Erwachsener vom Eigensinn?
Im Idealfall hat man ein klares Ziel und kann das für andere gut annehmbar, auch entgegen eines Widerstandes, durchsetzen. Im ungünstigen Fall ist man stur, lässt andere Meinungen nicht gelten und kann von einer einmal beschlossenen Linie kaum mehr abweichen. Die Grenze ist fließend und je nach Situation und beteiligten Individuen unterschiedlich.

 

Sechs Fragen an die Karrierecoachin Rosemarie Hegerl-Hösl ^

„Mit Eigensinn ecke ich an, das erfordert ein großes Selbstbewusstsein.“

Eigensinn: Dürfen Kinder eigensinnig sein?
Rosemarie Hegerl-Hösl:
Ja, auf jeden Fall.

Wie zeigt sich Eigensinn bei Kindern?
Hauptsächlich durch Trotz. Eigensinn zeigt sich aber auch durch Willenskraft und Stärke.

Wo würden Sie die Grenze ziehen?
Die Grenze würde ich da ziehen, wo Eigensinn zu Unsinn wird, weil er für Machtspiele verwendet wird. Außerdem dort, wo Eigensinn gefährlich wird.

Bei den Diagnosen zu ADS/ADHS gab es in den vergangenen fünf Jahren
eine signifikante Zunahme. Was meinen Sie dazu?
Meiner Meinung nach liegt das an der Zunahme der medialen Reizüberflutung, die schon ab dem Kleinkindalter losgeht. Kinder müssen nur den Knopf vom Tablet, Auto-Monitor oder Smartphone drücken, um „bespielt“ zu werden, anstatt selbst zu spielen oder sich zu bewegen.

Personalchefs fordern von Mitarbeitern Durchsetzungsstärke und einen „eigenen Kopf“. Kinder kritisiert man hingegen als „Dickkopf“. Warum gibt es diese unterschiedliche Bewertung?
Weil Erwachsene als gleichwertige Gesprächspartner eingestuft werden. Mitarbeiter, die durchsetzungsstark sind, werden nicht von allen Personalchefs gesucht. Die Suche und Auswahl der Mitarbeiter ist abhängig von der vorherrschenden Firmenphilosophie, der Mitarbeiterzusammensetzung und vom Budget. Als Führungskräfte braucht man Macher mit Durchsetzungsstärke. Für andere Positionen braucht man Teamplayer, die gut Kompromisse eingehen können. Die Frage ist immer: Was braucht dieser Job für einen Menschen?

Welchen Vorteil oder Nachteil hat man als Erwachsener vom Eigensinn?
Wenn Eigensinn zum Starrsinn wird, dann ist das ein Nachteil. Oder wenn ich Dinge nicht erlebe, weil ich zu voreingenommen bin. Mit Eigensinn ecke ich an, das erfordert ein großes Selbstbewusstsein. Ein Vorteil ist, dass eigensinnige Menschen sich nicht verbiegen lassen, ziel- und ergebnisorientiert sind.

 

Sechs Fragen an den Kinderpsychotherapeuten Jürgen Fenk ^

„Aus Sicht der Psychologie ist Eigensinn ein Schutzfaktor.“

Eigensinn: Dürfen Kinder eigensinnig sein?
Jürgen Fenk:
Aus meiner Sicht dürfen Kinder eigensinnig sein. Was wäre, wenn sie es nicht sein dürften? Eigensinn ist eine Charaktereigenschaft eines Menschen. Aus Sicht der Psychologie ist er ein Schutzfaktor im Sinne der Resilienz, die Widerstandskraft der Seele. Somit kann Eigensinn ein schützender Faktor für die kindliche Entwicklung sein.

Wie zeigt sich Eigensinn bei Kindern?
Eigensinn kann sich durch eine klare und feste eigene Meinung offenbaren, etwa wenn ein Kind durchsetzen will, seine Lieblingshose anzuziehen. Er kann sich allerdings auch dadurch zeigen, dass sich ein Kind nicht davon überzeugen lassen will, im Winter eine Mütze aufzusetzen. Das zweite Beispiel kann und wird naturgemäß zu Konflikten mit seinen Eltern oder Erziehern führen.

Wo würden Sie die Grenze ziehen?
Grenzen ziehen ist immer dann wichtig, wenn die Gesundheit des Kindes gefährdet wird, oder die Grenzen eines anderen Kindes, Jugendlichen oder Erwachsenen überschritten werden.

Bei den Diagnosen zu ADS/ADHS gab es in den vergangenen fünf Jahren eine signifikante Zunahme. Was meinen Sie dazu?
Die Zunahme ist dadurch bedingt, dass Eltern, Erzieher und Lehrer besser über das Störungsbild informiert sind. Eltern suchen mehr als früher professionelle Hilfe auf. Zudem wurden die Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren verbessert.

Personalchefs fordern von Mitarbeitern Durchsetzungsstärke und einen „eigenen Kopf“. Kinder kritisiert man hingegen als „Dickkopf“. Warum gibt es diese unterschiedliche Bewertung?
Die erwünschten Ziele der jeweiligen Altersgruppe sind unterschiedlich. Ein Mitarbeiter mit Durchsetzungsstärke und einem eigenen Kopf kann bessere Arbeitsergebnisse erzielen, als jemand, der Eigensinn nicht zu seinen Charaktereigenschaften zählt. Ein Kind mit Dickkopf wird die Eltern, Erzieher oder Freunde öfter an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringen, wenn es seinen Kopf durchsetzen will, aber aufgrund der Entwicklungsphase fremdgestellte Aufgaben wie Hausaufgaben, erledigen soll.

Welchen Vorteil oder Nachteil hat man als Erwachsener vom Eigensinn?
Wenn man als Erwachsener einen Eigensinn hat, der sich durch klare und feste Meinungen äußert, dabei aber anderen Meinungen gegenüber aufgeschlossen wie auch kritikfähig bleibt, ist er von Vorteil. Sollte der Eigensinn jedoch pathologisch sein, im Sinne von Starrsinn, Sturheit, Dickköpfigkeit und Unbelehrbarkeit, wird er für den Menschen und seine Umwelt zum täglichen Problem.

 

Sechs Fragen an einen Gymnasiallehrer mit den Fächern Physik und Mathematik ^

„Es unterstützt die psychische Stabilität, wenn man klar weiß, was man will.“

Eigensinn: Dürfen Kinder eigensinnig sein?
Lehrer:
Natürlich dürfen Kinder eigensinnig sein. Die Frage stellt sich bei gesunden Kindern nicht: Sie sind es einfach!

Wie zeigt sich Eigensinn bei Kindern?
Kinder haben Vorlieben und Abneigungen, eigene Ideen und Vorstellungen – einen Eigensinn eben. Genauso wie wir Erwachsene, nur noch weniger gebändigt und oft weniger unter Kontrolle.

Wo würden Sie die Grenze ziehen?
Die Grenze der eigenen Freiheit ist immer dort, wo die Freiheit der anderen dadurch verletzt oder beschränkt wird. Beim Zusammenleben muss man Kompromisse finden. Das gilt in altersgemäßer Form auch für Kinder.

Bei den Diagnosen zu ADS/ADHS gab es in den vergangenen fünf Jahren
eine signifikante Zunahme. Was meinen Sie dazu?
Kinder haben heute viele Ablenkungsmöglichkeiten, sodass sie nicht mehr so gut lernen, sich auf eine Sache zu konzentrieren, also ihre Aufmerksamkeit zu halten. Dabei spielen elektronische Medien wie Handys, Computer, Spielekonsolen, Fernseher und MP3-Player eine problematische Rolle, vorwiegend bei jüngeren Kindern und besonders dann, wenn diese Medien gleichzeitig konsumiert werden.

Personalchefs fordern von Mitarbeitern Durchsetzungsstärke und einen „eigenen Kopf“. Kinder kritisiert man hingegen als „Dickkopf“. Warum gibt es diese unterschiedliche Bewertung?
Durchsetzungsfähigkeit und ein gutes Selbstvertrauen sind für jeden Menschen hilfreiche Eigenschaften. Gleichzeitig profitiert man auch stark von Kompromissbereitschaft, Teamfähigkeit und Empathie. Kinder müssen das Gleichgewicht zwischen diesen Polen oft erst lernen, weswegen diejenigen, die zu sehr auf die Durchsetzung ihrer eigenen Vorstellungen fixiert sind, von anderen gerne als Dickköpfe bezeichnet werden.

Welchen Vorteil oder Nachteil hat man als Erwachsener vom Eigensinn?
Ganz ohne Eigensinn, also völlig ohne eigenen Willen, kann man kaum leben. Etwas Eigensinn kann dabei helfen, dass man das eigene Leben so gestaltet, dass es für einen angenehm ist. Es unterstützt die psychische Stabilität, wenn man genau weiß, was man will.
Gleichzeitig ist es sehr wichtig, auf andere zugehen zu können und nicht zu sehr an den eigenen Vorstellungen zu hängen. Man läuft sonst Gefahr, sich von seinen Mitmenschen zu isolieren und sich über alles, was anders läuft als geplant, unnötig stark zu ärgern.

 

Titelbild: © pixabay

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