Alt werden, aber nicht alt sein

Ein langes Leben erscheint kaum erstrebenswert, wenn die Gesundheit nicht mitspielt. Ein Alternsforscher erklärt, worauf es ankommt.

Lang leben und im Alter fit sein: davon träumen viele. Die Realität sieht oft anders aus, wenn Krankheiten oder Altersbeschwerden die Lebensqualität einschränken. Deshalb forschen Wissenschaftler daran, wie sich der Alterungsprozess verzögern lässt.

Joris Deelen erforscht Faktoren für ein langes Leben. (Foto: Katharina Link)
Joris Deelen, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln
(Foto: Katharina Link)

Im Interview: Joris Deelen

Joris Deelen ist Molekular-Epidemiologe und leitet eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln. Er untersucht, warum manche Menschen gesünder altern als andere, mit dem Fokus auf Gene und Biomarker. Im Interview erklärt er, welche Faktoren ein langes und gesundes Leben begünstigen.

Lang leben: heute immer wahrscheinlicher

Die Menschen werden heute deutlich älter als vor 100 Jahren. Woran liegt das?

Joris Deelen: Im vergangenen Jahrhundert haben sich die Lebensbedingungen in Deutschland stark verändert. Beispielsweise ist die Gesundheitsversorgung heute deutlich besser als früher, es gibt genug zu essen und die Menschen müssen nicht mehr so hart körperlich arbeiten. Das führte zu einem kontinuierlichen Anstieg der Lebenserwartung bei Geburt.

Doch das Älterwerden hat seinen Preis.

Wir leben zwar länger, bleiben aber nicht länger gesund. Das ist die Kehrseite der Medaille. Die Mehrheit der Männer und Frauen leidet am Ende ihres Lebens an körperlichen Einschränkungen, etwa durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. In der Bevölkerung tauchen Krankheiten auf, die es zuvor kaum gab, Alzheimer zum Beispiel. Altersbezogene Erkrankungen bringen große Herausforderungen mit sich, nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft.

Der älteste Mensch der Welt, dessen Alter wissenschaftlich belegt ist, war die Französin Jeanne Calment. Sie wurde 122 Jahre alt und lebte von 1875 bis 1997.

Quelle: Robine JM, Allard M, Herrmann FR, Jeune B (2019): The real facts supporting Jeanne Calment as the oldest ever human. Journals of Gerontology, Series A, 74: S13-S20

Ihre Forschungsgruppe sucht in der DNA nach Merkmalen, die erklären, warum manche Menschen überdurchschnittlich lange leben. Ist die Lebenserwartung genetisch vorbestimmt?

Für die meisten Gene konnte bisher kein eindeutiger Zusammenhang mit dem erreichten Alter gezeigt werden. Nur wenige Genvarianten hängen mit der Lebensspanne zusammen, sie erhöhen etwa das Risiko für Herzkrankheiten oder Alzheimer. Doch das heißt nicht, dass Betroffene die Krankheit zwangsläufig entwickeln. Die Gene haben insgesamt einen vergleichsweise geringen Einfluss darauf, wie lange wir leben. Eine weitaus größere Rolle spielen die Lebensweise sowie Umwelteinflüsse.

Vieles haben wir selbst in der Hand

Was bedeutet das konkret für uns? Wie können wir diese Erkenntnisse nutzen?

Jeder kann selbst viel für sein Wohlbefinden und seine Gesundheit tun. Wir wissen aus Studien, dass eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität für ein langes und gesundes Leben wichtig sind. Außerdem sollte man nicht rauchen und den Alkoholkonsum einschränken. In bestimmten Regionen der Erde, den sogenannten Blauen Zonen, ist die Lebenserwartung vergleichsweise hoch. Die Menschen dort bewegen sich viel, bleiben auch im fortgeschrittenen Alter sozial aktiv und essen vorwiegend pflanzlich und kalorienarm. An dieser Lebensweise kann man sich orientieren.

Blaue Zonen

Die Blauen Zonen bezeichnen fünf Regionen, in denen die Menschen länger als der Durchschnitt leben. Dazu gehören Sardinien, die griechische Insel Ikaria, Okinawa in Japan, Costa Ricas Halbinsel Nicoya und Loma Linda in Kalifornien. Die Menschen in diesen Gegenden haben gemeinsame Lebensstilmerkmale, die für ein langes und gesundes Leben förderlich sind, etwa eine pflanzenbasierte Ernährung, regelmäßige Bewegung und soziale Interaktion.

Quelle: Buettner D, Skemp S (2016): Blue zones – Lessons from the world’s longest lived. American Journal of Lifestyle Medicine, 10: 318-321

Forschung für ein langes Leben

Im Alltag kann es schwierig sein, ausgewogen zu essen und Sport zu treiben. Gibt es Präparate, die helfen, das Leben zu verlängern?

Zu dieser Frage wird viel geforscht, doch ein gesunder Lebensstil lässt sich bisher durch nichts ersetzen. Tierstudien liefern Hinweise, dass zum Beispiel bestimmte Medikamente, die sonst zur Behandlung von Krebs oder Diabetes eingesetzt werden, die Lebensspanne verlängern können. Ob das auch bei Menschen funktioniert, muss noch untersucht werden.

Wie lässt sich das biologische Alter bestimmen?

Einer der ersten Biomarker in diesem Bereich war die Länge der Telomere, der Endkappen unserer Chromosomen. Inzwischen nutzen wir andere Merkmale, die besser darlegen, wie schnell die biologische Uhr tickt. Manche davon sind recht bekannt, etwa die Blutspiegel von Glukose, Triglyceriden oder bestimmten Aminosäuren. Auch die DNA-Methylierung, eine epigenetische Veränderung, kann die Lebensspanne gut vorhersagen. Vergleichen wir schließlich das biologische mit dem tatsächlichen Alter, können wir Menschen identifizieren, die von einer Lebensstiländerung besonders profitieren würden.

Liniendiagramm zur Lebenserwartung in Deutschland für Männer und Frauen. Quelle: Statistisches Bundesamt, 2023
In Deutschland hat sich die Lebens­erwartung bei Geburt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mehr als ver­doppelt.
(Quelle: Statistisches Bundesamt, 2023)

Wird unsere Lebenserwartung weiter steigen?

In manchen Ländern, wie den USA, scheint ein Plateau erreicht zu sein. Wir beobachten, dass die Lebensspanne dort im Vergleich zu vorherigen Generationen nicht weiter ansteigt. Die Frage ist: Wollen wir tatsächlich immer länger leben? Das ist auch ethisch zu diskutieren. Als Wissenschaftler verfolge ich nicht das Ziel, dass Menschen 130 oder 140 Jahre alt werden. Viel wichtiger ist, dass sie länger gesund bleiben und wir das Auftreten von Alterserkrankungen hinauszögern oder idealerweise ganz verhindern können.


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