Diversität: Im Idealfall kein Modewort

Ist der aktuelle Diskurs über Diversität eine Modeerscheinung? Oder ist Diversität viel eher Abbild einer gesellschaftspolitischen Entwicklung, an deren Ende Vielfalt selbstverständlich geworden sein wird? Ein Gespräch über Vorurteile, Vorbilder und Verbindendes mit dem Schauspieler Murali Perumal.
„Murali Perumal gehört zu den ersten Pionieren der Diversity-Bewegung, lange bevor es Mode wurde im Fernsehen und im Theater“, sagt Wikipedia über dich. Aber stelle dich unseren LererInnen und Usern doch bitte gerne selbst vor.

Mein Name ist Murali Perumal. Ich bin gebürtiger Bonner mit indischen Eltern und komme aus einem Nichtakademiker-Haushalt, das zu sagen ist mir wichtig. Ich war einer der ersten indischstämmigen Schauspieler Deutschlands und im deutschsprachigen Raum.

Warum und wofür engagierst du dich?

Seit vielen Jahren setze ich mich für Vielfalt und Diversität ein. Nicht als Mode, sondern als Selbstverständlichkeit, um in der Gesellschaft Vorurteile abzubauen und Vorbilder zu schaffen. Am Max Reinhardt Seminar in Wien habe ich Schauspiel studiert. Da war es naheliegend, mich im Bereich Theater, Film und Fernsehen zu engagieren. Ich halte Vorträge. Ich versuche, ein Bewusstsein für eine Gesellschaft aller marginalisierter Gruppen zu schaffen: Menschen unterschiedlichster Hautfarben, Herkünfte, sexueller Orientierungen, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Körperformen.

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Engagement

Neben seinem Engagement an der Deutschen Filmakademie sitzt er im Kuratorium von MORGEN München e.V., dem Netzwerk Münchner Migrant*innenorganisationen. Perumal studierte am Max Reinhardt Seminar in Wien Schauspiel.

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Filmpreisträger

Ein Höhepunkt seiner Karriere: Die Hauptrolle in dem mehrfach preisgekrönten Kinderkinofilm Träume sind wie wilde Tiger, der auch in Indien gedreht wurde. 2022 wurde der Film mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet.

Sieht sich als Mensch mit „internationaler Herkunft“: Murali Perumal
Bevor wir näher in das Thema einsteigen, greife ich eine typische Abschlussfrage vorweg: Hast du eine Vision?

Dass alle Gruppen friedlich miteinander leben und sich gegenseitig anerkennen. Das ist noch ein weiter Weg, aber wir sind auf einem guten Weg dahin. Das wäre mein Wunsch, dass wir alle miteinander friedlich zusammenarbeiten, zusammenleben, zusammenspielen – ohne, dass wir ständig die Menschen labeln. Dass wir nicht sagen, das sind wir, das sind die anderen. Sondern, dass wir im Idealfall für ein Wir sind. Das ist mein Wunsch.

Was ist deine Motivation, dich im Kuratorium von MORGEN e.V. zu engagieren?

Weil MORGEN die Menschen mit internationaler Geschichte, das sage ich ganz bewusst so, hinsichtlich Teilhabe, eines Gefühls der Zugehörigkeit und des Zusammenhalts fördert. MORGEN bietet den Menschen wahnsinnig viel, was sie im alltäglichen Leben nicht bekommen: Weiterbildungsmöglichkeiten, Gesprächsplattformen, Begegnungsstätten und Austausch.

Ich glaube, darauf kommt es im Endeffekt an: Dass die Menschen unterschiedlichster Generationen sich nicht so alleine fühlen in unserer Münchner Gesellschaft – in unserer deutsch-deutschen Gesellschaft, sondern dass sie mehr teilhaben am gleichwertigen Münchner Leben. Und gleichzeitig auch ihre eigene Kultur nicht verlieren.

Und da ist MORGEN einfach ein wahnsinnig wichtiger Anlaufpunkt in München.

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MORGEN e.V. 

MORGEN München e.V.  ist der Dachverband von Migrant*innenorganisationen in München, mit dem Ziel Teilhabe und Engagement von Menschen mit Migrationsbiografie zu stärken, zu fördern und sichtbar zu machen. MORGEN wurde 2013 ins Leben gerufen und umfasst über 105 Mitgliedsorganisationen mit mehr als 60 verschiedenen Sprachen.

Wodurch, denkst du, kann man gut auf dieses Thema aufmerksam machen? Was wäre dein Ansatz, um mehr Selbstverständlichkeit bei diesem Thema zu schaffen?

MORGEN bietet den Menschen wahnsinnig viel, was sie im alltäglichen Leben nicht bekommen. Ich glaube, es ist wichtig, dass es diese Feste gibt: Tanzveranstaltungen, Literatur- und Kulturveranstaltungen – die Bräuche der jeweiligen Kulturen. Und dass das nicht nur innerhalb der Community bleibt, sondern dass man auch deutsch-deutsche MünchnerInnen einlädt, dorthin zu kommen.

„MORGEN bietet den Menschen wahnsinnig viel, was sie im alltäglichen Leben nicht bekommen.“

Das ist immer mein Thema: Zusammenhalt zu stärken, Vorurteile abzubauen, Vorbilder zu schaffen – zum Beispiel für die Communities und dadurch ein Gefühl der Zugehörigkeit zu generieren. Ich glaube, dass auf diese Weise Trennendes langfristig überwunden werden kann. Und die Gemeinsamkeiten gefunden werden können. Dass man nicht sagt: Wir sind wir, und dahinten sind die anderen, und die machen ihre Kulturprogramme; sondern dass man irgendwo zusammenkommt. Ich glaube, das müsste langfristig das Ziel sein.

Du bist schon länger mit dem Thema in Kontakt und hast bereits mediale Aufmerksamkeit erlangt, wie beispielsweise im Jahr 2013 mit dem offenen Brief an die Süddeutsche Zeitung. Du nimmst hier kein Blatt vor den Mund. Was ist gesellschaftlich bereits erreicht oder muss noch getan werden?

Ich glaube, wir haben viel erreicht. Im Kulturbereich kann ich das bestätigen. Ob Theater, Film, Fernsehen: Literatur ist auch auf dem Weg dahin. Man sieht schon ein anderes Gesellschaftsbild im Fernsehen und in Filmen. Das ist noch längst nicht genug, man kann immer noch weiterkommen, aber es ist deutlich besser als früher. Es hat sich schon viel getan.

„Mein Thema: Zusammenhalt stärken, Vorurteile abbauen, Vorbilder schaffen.“

Es gibt immer noch Defizite. Es gibt immer mehr Gruppen. Diversität galt vor zehn Jahren als Forderung für Menschen mit sichtbarem Migrationsvordergrund. Mittlerweile sehen wir Defizite in allen Gruppen. Die größte Gruppe ist tatsächlich die der Frauen. Es gibt die älteren Menschen, die aufgrund ihres Alters diskriminiert werden. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, ob im Rollstuhl, ob gehörlos. Menschen mit unterschiedlichen Körperformen. Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen. Sie zählen alle zur Diversität dazu. Mir ist immer wichtig, alle zu erwähnen, sonst wird immer kritisiert, dass man jemand ausschließt.

Mir geht es nicht um mich, sondern um einen großen Teil der Bevölkerung, der lange entweder am Katzentisch saß oder gar nicht im selben Raum mitentschied oder teilgenommen hat – am Leben, am kulturellen Leben.

Murali Perumal

Da hat sich viel getan, aber es ist ein Prozess. Im Moment hat es sich etwas verkrampft, finde ich. Im Moment sagen viele, wir müssen jetzt divers sein. Es ist jetzt das andere Extrem. Aber ich sage, lieber so, als wenn es wieder wie früher wäre. Und irgendwann pendelt es sich in der Mitte ein, so dass Vielfalt selbstverständlich wird. Das, was ich in meiner Kindheit und Jugend in Bonn erlebt habe, damals noch Hauptstadt, war für mich das Ideal. Wir waren alle Bonnerinnen und Bonner.

 „Wir haben uns nicht als Ausländer gesehen, sondern als Bonner – und in erster Linie als Menschen.“

Das Wort Migrationshintergrund gab es gar nicht. Da gab es allenfalls die Ausländerbehörde. Rassismus habe ich damals nicht erlebt. Ich bin erst später von bestimmten Menschen zum Fremden gemacht worden. Ich habe für mich schon das Ideal gesehen:

Zusammenleben unterschiedlichster Menschen ist möglich, auch von Religionen, Hautfarben und anderen Gruppen. Wir müssen uns nur unsere Eigenheiten gegenseitig anerkennen.

Murali Perumal
Was könnte man noch in München tun, um ein gelebtes Multi-Kulti zu generieren?

Was MORGEN schon gelingt, ist, Bildungsprogramme für Jugendliche und junge Erwachsene zu fördern und auf den Weg zu bringen. Es ist verdammt wichtig, dass Menschen aus migrantischen Schichten mit dabei sind. Dass MORGEN und andere Programme dafür sorgen, Potenziale zu fördern, die sonst brach liegen. Und junge Menschen noch stärker zu fördern, da sie Zuhause die Hilfe nicht bekommen können, weil sie vielleicht nicht aus einem Akademikerhaushalt kommen.

Wenn ich Menschen in Deutschland erzähle, dass München einen großen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund hat, können das viele nicht glauben. Das wissen auch viele Münchner nicht. Und da stimmt etwas nicht. Hier sehe ich: Menschen mit internationaler Geschichte sind oft auf wenige Viertel verteilt. Ist auch eine Preissache. Die Wohnungen sind allgemein sehr teuer in München. Aber man merkt, je mehr man in den Innenstadtbereich kommt, desto weniger Menschen mit Migrationshintergrund findet man.

„Ich war damals einer der wenigen mit dunkler Hautfarbe, die in Schwabing herumliefen.“

Und das hat mich schon gestört, ehrlich gesagt. Da müsste viel mehr Mischung stattfinden und es müsste mehr Möglichkeiten geben, damit die Viertel sich mehr mischen. Es gibt Familien, die sagen, an diese Schule schicken wir unsere Kinder nicht, da sind mir zu viele Migranten. Da lernen sie kaum Deutsch oder das Deutsch verschlechtert sich.

Ich bin damals in Bonn auf ein Gymnasium gegangen, an dem es einhundert Nationalitäten gab, da gab es alle Schichten. Mich hat das nur bestärkt. Und es hat mich in der Schule nicht schlechter gemacht.

Hattest du ein speziell schönes Erlebnis in Verbindung mit MORGEN e.V.?

Mich freut bei MORGEN, dass ich Menschen sehe, die genauso wie ich jahrelang in Deutschland leben und arbeiten, Steuern zahlen, Freunde hier haben, ein deutsches Leben führen und auch keine Anderen sind, zu denen sie gemacht werden und wurden. Ich muss immer wieder sagen, dass das alles Deutsche sind, mit ihrer internationalen Geschichte, aber ich muss nicht immer darauf herumreiten, da es genügend Menschen gibt, die sich engagieren. Ich bin froh, dass es diese Menschen aus den unterschiedlichsten Branchen gibt.

Es gibt Menschen, die mit ihrer Expertise etwas bewirken wollen: Zusammenhalt.

Murali Perumal

Im Kuratorium sind unterschiedlichste Menschen vertreten: aus der Politik, aus der Stadtverwaltung, aus der Wirtschaft, jetzt ich aus dem Kulturbereich. Vertreter aus dem Bereich Medien und aus dem Bildungsbereich. Das ist etwas, was mich freut und was mir zeigt: Es gibt Menschen, die mit ihrer Expertise etwas bewirken wollen und zum Zusammenhalt beitragen wollen; und dass das alles selbstverständlicher wird. Ich glaube, so können wir langfristig etwas erreichen und ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

Männlich, weiblich, divers. Die Gender-Debatte – mit oder ohne Sternchen – bekommt derzeit viel Aufmerksamkeit. Ist es wichtig, auch beim Thema Migration und internationale Herkunft eine Debatte über die Wortwahl zu führen? Ist hier vielleicht noch eine Stereotypisierung in der Sprache vorhanden?

Es ist wichtig, sich mit den Veränderungen in der Sprache auseinanderzusetzen, denn ich sehe immer wieder Abwehrreaktionen. Warum muss ich jetzt das mit dem Sternchen sagen? Jetzt heißt es Migrationssensibilität zu haben und das klingt alles so kompliziert. Diesen „Mensch mit internationaler Geschichte“ habe nicht ich erfunden. Das habe ich von einem Soziologen aus Dortmund übernommen und das klingt für mich am coolsten. Alles andere klingt für mich nach: das sind die anderen, die Migranten.

Auch die Menschen, die sich in den Migrant*innenorganisationen engagieren: Das sind Menschen, die teilweise seit 40 Jahren hier sind. Für mich sind das Deutsche. Sie haben ihren Hintergrund, ihren Vordergrund. Sie haben ihre Herkunft und die muss man nicht leugnen. Und die sollen, die müssen diese Menschen auch ausleben, so, wie sie es möchten – in ihren Vereinen, in ihrem Zuhause.

„Das finde ich das Schockierende. Dass man noch immer sagt: Das sind die Ausländer.“

Das finde ich das Schockierende. Dass man noch immer sagt: Das sind die Ausländer. Die passen sich nicht an, die integrieren sich nicht. Und das ist etwas, das in meiner Arbeit wichtig ist. Den Menschen in Deutschland zu zeigen, die Leute wie mich nicht kennen, oder nur in negativen Zusammenhängen aus Nachrichten, aus Talkshows. Dass man auch diesen Menschen zeigt: Es gibt Menschen, die einfach Deutsche sind. Die zwar so und so aussehen, aber sich hier jahrelang für ein gutes Miteinander engagieren. Das kann man mit Medien, mit Kultur sehr gut machen, weil das Bilder und Geschichten sind, die wirken und die im Idealfall Millionen von Menschen sehen.

Ist im kulturellen Bereich, im Schauspiel, in Besetzungen ein Trend zu beobachten, der weggeht von der Stereotypisierung?

Es tut sich was hinsichtlich der fiktionalen Geschichten, hinsichtlich der Filme. Weil die Redakteure und Filmemacher endlich realisieren, warum eine selbstverständlich erzählte Wahrheit wichtig ist. Es tut sich was. Man sieht mehr Diversität im Film.

Wir dürfen Vielfalt nicht nur für die Jugend erzählen. Wir müssen es auch für die Erwachsenen und älteren Personen.

Murali Perumal

Ich glaube, hier können wir Vorurteile abbauen und langfristig ein anderes Bild entstehen lassen. Um diese Vorbehalte im Unterbewusstsein zu bekämpfen. Aber auf eine gute Art, nicht mit dem Zeigefinger. Sondern dass man ein selbstverständliches Zusammenleben zeigt. Und das kann man auf verschiedene Arten. Das kann man über Humor und über andere Arten von Filmen. Und so letztendlich Vorurteile bekämpfen, aber auch Vorbilder schaffen. Damit auch deutsche Zuschauer aus anderen Ländern Vorbilder sehen und sagen: Kuck mal, der ist Staatsanwalt. Kuck mal, der ist Manager in dem Film. Und unterbewusst sagt das vielleicht: Wir können das auch schaffen.

Wenn wir aber nur als Kriminelle dargestellt werden – also entweder als Kriminelle oder überhaupt nicht auf der Leinwand auftauchen, dann entsteht ein Bild der Fremdheit bei den Menschen. Jahrelang war das so im Fernsehen. Und das hat Millionen von Menschen beeinflusst, tut es heute noch.

„Und wenn du dann siehst, du tauchst nicht auf in dieser Gesellschaft, dann gehörst du nicht dazu.“

Deshalb ist mein Bereich enorm wichtig, um den Menschen zu zeigen: Ihr gehört dazu, ihr könnt es schaffen und anderen Menschen zu zeigen – kuck mal, da gibt’s die. Die reden Kölsch, die gehören dazu. Die reden Sächsisch, sehen aber ganz anders aus und sind Sympathieträger. So kannst du zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, das war mir immer wichtig. Es ist damals nicht verstanden worden, es ist viel versäumt worden von Seiten der Filmemacher, der Redaktionen, der Produzenten. Aber zum Glück haben sie eingesehen, dass es wichtig ist. Im Idealfall ist Diversität kein Modewort, sondern langfristig eine Selbstverständlichkeit. Und man muss nicht dauernd darauf hinweisen.

Wenn du Richtung Zukunft blickst, hast du eine persönliche Vision? Eine, die vielleicht auch zusammen mit MORGEN zu verwirklichen ist?

Wenn all die Veranstaltungen, die MORGEN mitinitiiert und organisiert, unterschiedlichste Menschen in München anziehen, aller Hautfarben, aller Herkünfte, Münchnerinnen und Münchner verschiedenster internationaler Herkünfte, wenn die Veranstaltungen sich noch mehr mischen, dann glaube ich, sind wir angekommen. Ich glaube, dass wir so langfristig Rassismus bekämpfen.

Damit die Menschen sehen: Wir haben mehr Gemeinsames als Trennendes.

Murali Perumal

Das ist auch das, was MORGEN von Anfang an in seinem Leitbild hat. Es ist noch ein weiter Weg, aber im Idealfall reden wir irgendwann nicht mehr über Herkünfte, über Religionen. Ich will nicht sagen, dass das unwichtig ist. Man kann auch stolz sein, man kann auch gläubig sein, aber trotzdem soll das die Menschen nicht zu weit voneinander trennen.

Menschen sollen sich als Menschen begegnen. Als Persönlichkeiten. Und als der Mensch, der man ist. Und nicht als der Mensch mit der Geschichte und der Herkunft, von dem man nur diese Hülle sieht. Im Idealfall sprechen diese Veranstaltungen alle Menschen an. Im Idealfall ist das alles eine Party mit allen Menschen.

Weiterer Beitrag der Autorin: Podcast AmMeerSee Rudern