Der Hermoso-Kuss

Ein Kuss kann das ganze Leben verändern. Das zeigt der Fall des Ex-Präsidenten des spanischen Fußballverbandes Luis Rubiales.

Wenn es um den Kuss an sich geht, dachte man bisher an das berühmte Bild von Gustav Klimt, das eindeutig mit „Der Kuss“ betitelt ist. Das Paar, so scheint es, steht in inniger Umarmung. Der Mann hat den Arm um den Kopf der Frau gelegt, es schaut aus, als könne sie sich kaum rühren in dieser liebesstarken Umklammerung. Er küsst die Frau auf die Wange oder ist kurz davor, sie auf den Mund zu küssen, das bleibt etwas vage, und sie sieht aus, als sei sie kurz vor der Liebesohnmacht.

“Was hätte ich denn tun sollen?”

Aber nun hat der Präsident des spanischen Fußballverbandes Luis Rubiales die WM-Fußballerin Jenni Hermoso bei der Siegerehrung auf den Mund geküsst und soll ihr dabei den Kopf festgehalten haben, sodass sie nicht anders konnte, als sich küssen zu lassen. Da fragt sich doch, ob auf dem Bild von Klimt der Mann die Frau nicht eigentlich im Schwitzkasten hält. Der berühmteste Kuss der Welt – aber hat die Frau zugestimmt? Oder hängt sie in seinem Arm, weil sie anders gar nicht kann? Sie ist weitaus kleiner als er, kräftemäßig also unterlegen. Auch die Spanierin Hermoso sagte anschließend: „Was hätte ich denn tun sollen?“

Die Machtverhältnisse und das Gesetz

Wie es bei Klimt um die Machtverhältnisse der Porträtierten stand, ist ungeklärt. Im Fall von Rubiales und Hermoso waren sie eindeutig. Und auch wenn ihr der Kuss von Rubinales in Australien aufgedrückt wurde, gilt das spanische Gesetz, dass es nur dann Küsse, Sex oder Berührungen geben darf, wenn beide ausdrücklich ja sagen. Die Zustimmung steht im Mittelpunkt. Deshalb hat Rubinales auch zuerst abgestritten, dass der Kuss uneinvernehmlich war. Und der Verein schrieb vorsorglich: “Es war eine ganz spontane gegenseitige Geste aufgrund der großen Freude über den Gewinn einer Weltmeisterschaft“.

Wer unerwünscht küsst, lebt gefährlich

Dass so ein Kuss eine gefährliche Angelegenheit ist, die das ganze Leben verändern kann, zeigt der Literaturwissenschaftler Peter von Matt an sieben Beispielen aus der Weltliteratur in seinem Buch „7 Küsse“. Rubiales hätte da besser reingelesen, bevor er spontan drauflosküsste. Gestern Abend war klar, dass auch sein Leben nun eine dramatische Wendung nimmt. Er muss gehen. Der Trainer, der ihn unterstützt hat, auch. Obwohl die Frauen Weltmeisterinnen sind. Und obwohl Rubiales Mutter sich in der Kirche von Motril in Südspanien, wo er aufwuchs und sein Vater Bürgermeister war, eingesperrt hatte und in den Hungerstreik trat. Dort, wo sie Gott am nächsten ist. Auf dass er ihrem Sohn zur Seite stehe und ihn im Amt halte. Aber das hat auch nichts mehr genutzt. Da verstehe einer noch Gott, den Kuss und die Welt.

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