Wenn Max rennt, ist für mich jeder Versuch hinterherzukommen, aussichtslos. Max will auch nicht, dass jemand mithält. Er will der Schnellste sein. Über drei existenzielle Rennszenarien: das Rennen aus purer Lebenslust, das Aufmerksamkeitsheischende oder Aufreißerrennen und das Wegrennen.
Szene 1: Morgens in aller Frühe fetzt Max durch die hochstehende Wiese, stoppt, dass es grün staubt, schnuppert und sprintet dann wieder hinter mir her. Wenn ich stehenbleibe, die Arme hebe, rufe du! schnel! ler! Hund! und die Arme wieder nach unten fallen lasse, speeded er an mir vorbei. Ich stehe und staune, wie er über das Gras fliegt. Max schaut im Lauf, ob ich ihm zusehe. Morgens um halb acht mit einem begeisterten Hund als Kompagnon beginnt der Tag richtig gut.
Szene 2: Besuch kommt, alle reden. Der Hund spurtet in die Wiese und fängt an, Achter zwischen dem Holzstadl und der großen Lärche zu ziehen. Achter, die bereits wie in einem Geschwindigkeitscomic durch Blumenpflanzungen und hochwachsendes Gras hindurch als ausgepreschte Erdnarbe geprägt wurden.
Alle sonstigen Anwesenden unterbrechen ihre Gespräche, schauen zu und staunen, wie Max rennen kann. Wenn er hechelnd wieder den Hügel zu uns hinaufgesprungen kommt, sind alle voll des Lobes und bewundern ihn. So ist es gut. Denn hallo, Max will begrüßt, angesprochen, wahrgenommen werden. Er hat gezeigt, was er kann und setzt sich hoheitsvoll in sein Körbchen.
Variante Szene 2: Samstagsausflug in einem anderen Park. Erst mal Szene 1. Dann taucht eine kleine Hündin auf, die neben einer Frau auf einem Fahrrad herläuft. Max rennt geradeaus vorweg den Weg entlang. Dann eine Wende im akrobatischen Drehsprung und er schnellt den Weg zurück. Die Hündin versucht mitzulaufen, aber Max hat sie im Nu abgehängt. Die Frau steigt vom Fahrrad. Die kleine Hündin hechelt. Max zieht nun immer größere Spiralen um sein Publikum, Kopf und Schwanz gestreckt, der Körper waagrecht über der Wiese, die Beine wirbeln in der Luft und scheinen den Boden nicht mehr zu berühren. Wir drei Zuschauer rotieren auf der Stelle bis zum Drehwurm simultan um die eigenen Achsen, um nichts zu verpassen.
Ich bin noch nicht dahintergekommen, was eine tolle Hündin ausmacht, für die Max extra schnell unterwegs ist. Ob Größe, Rasse, Farbe – sein Rennverhalten erscheint mir divers, aber doch individuell gerichtet. Nur Hündinnen, die größer sind als er, ignoriert er zunehmend. Als ob er mit höherem Alter zunehmend auch der Größte sein will und alle anderen ausblendet – so weit als möglich. Denn, und das ist Szene 3: Vor Rüden, die größer sind als er, hat er Angst. Nichtsdestotrotz ranzt er sie im Vorbeirennen schnell mal an und rennt dann um sein Leben. Dabei blendet er aus, dass auch andere Hunde schnell rennen können. Und ihn einholen könnten, wenn er den starken Max markiert. Vor einiger Zeit hat ihn eine Bulldogge gebissen, die er vorher mehrmals überholt hatte. Mit einem Mal lag Max am Boden, … aber das und alle nachfolgenden Tierarztprozeduren mit schlotterndem Hund lasse ich hier aus.
Max rennt noch die Aufreißerspiralen um die kleine Hündin. Er ist kein Langstreckenrenner. Die Spiralen seines Schaulaufs werden wieder kleiner, bis er federnd vor mir stoppt und mich mit dem Ausdruck ansieht – na, wie war das? Die Frau mit dem Fahrrad sagt: So was hab ich bisher nur im Film gesehen. Ich bin stolz auf Max. Mein wunderbarer Hund! Er kann nicht nur rennen, sage ich. Er ist auch der Liebste und Schönste. Die Hündin findet das auch. Sie hat nur noch Augen für Max und will nicht weg. Ihr Frauchen nimmt sie an die Leine. Die Hündin geht notgedrungen vorwärts, aber mit dem Kopf nach hinten, die Augen auf Max gerichtet.
Max schnauft. Er ist nicht mehr ganz jung, auch wenn man ihm das nicht ansieht. Gemächlich federt er neben mir durch das Gras. Sein Schwanz pendelt, die Öhrchen flappen. Er wiegt sich in den Hüften, wie der siegreich überlebende Held am Filmende.
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