Ein Echo in Raum und Weiß
Frei-Raum wörtlich genommen: Erkundungstour durch das Museum Brandhorst.
Weiß. Licht. Stille. So überdimensional und raumfüllend, dass sie zum Greifen ist. Plötzlich viele laute Stimmen, ganz deutlich. Alle Stimmen verstummen gleichzeitig. Es ist nur die eine, die voluminöse Stimme von Museumswärter Stephan Rauch. Das Echo der Wände vervielfacht sie und trägt sie durch den riesigen halbrunden Saal: „Die Räume hier im Museum sind etwas Besonderes. Die Leute waren hier und haben sich das angeguckt, da hing hier noch keine Kunst. Da waren hier nur leere Säle! Architekturstudenten zum Beispiel.“
Genauso sieht das Helena Hubert, seine Kollegin. In sanftem Tonfall mit schüchternem Lächeln erzählt sie: „Hier ist ein toller Arbeitsplatz. Unseres ist das schönste Museum überhaupt. Großzügiger und gemütlicher als die anderen. Das Holz macht viel aus, es ist elegant. Und es dämpft die Schritte der Besucher.“
Beruhigend oder verstörend?
Mit 460 Quadratmetern Fläche und sieben Metern Raumhöhe ist das Patio im Souterrain der größte umbaute Saal des Museums Brandhorst in München. Kathedralenartig. Eine nahezu freischwebend konstruierte Treppe führt hinab. Es gibt viele kleinere Kabinette. In ein mittig gelegenes dringen diffus zwei Stimmen. Im Nachbarraum links findet eine Führung statt, rechts ebenso. Beide Experten sind lautstark zu hören. Die dazugehörigen Besuchergruppen nicht. Nahezu schweigend folgen sie ihrem Museumsführer von Raum zu Raum.
In den Räumen der aktuellen Sonderausstellung „Seth Price“ im Erdgeschoss ist die Geräuschkulisse ausgeprägter. Die Videoinstallation „Holes“ füllt den ersten Saal mit schrägen Tönen. In quäkendem Staccato begleiten sie den Besucher. Auch hier: viel Licht, Luft und „Frei“-Raum. Der in Karton verpackte Fernseher, Basis der Installation, ist einziger Gegenstand auf gut 100 Quadratmetern Bodenfläche. Konkurrenz an den Wänden gibt es kaum. Eine Wand ist leer, an der anderen hängen wenige Werke des Künstlers.
Tageslicht fällt durch die Seitenfenster in die Ausstellungsräume, zum Teil durch eine Lamellenkonstruktion an den Decken. Sie verteilt auch Kunstlicht gleichmäßig. „Das Haus ist toll! Die Beleuchtung ist super gemacht, die drei Ebenen gefallen mir. Alles ist wahnsinnig großzügig und aufwändig gestaltet. Ich mag diese lichte, ruhige Atmosphäre und das viele Holz“, schwärmt Besucherin Rita Kratzer. Sie ist das erste Mal hier. Einziger Wehrmutstropfen für sie: „Die Kunst hat mir nicht gefallen! Die Ausstellung fand ich einfach zu verstörend!“
Bühne für Cy Twombly
Helena Hubert mag ebenfalls nicht alle Ausstellungen in „ihrem“ Museum. Aber sie sieht sich jede neue Schau genau an. Ihr Lieblingskünstler? Natürlich Cy Twombly, dem im Obergeschoss des Museum Brandhorst mehrere Säle in einer Dauerausstellung gewidmet sind. Das hat sie mit ihrem Kollegen Stephan Rauch gemeinsam. Viel mehr nicht. Helena Hubert ist klein und zierlich. Sie arbeitet am liebsten unten, im Eingangsbereich. Da, wo die meisten Menschen sind. Sie kommt ohne Uniform aus.
Museumswärter Rauch ist ein großer Mann mit Vollbart. Eine stattliche Erscheinung in dunkelblauer Uniform mit einem offenen, begeisterten Gesichtsausdruck. „Cy Twombly ist mein Lieblingskünstler. Ich habe vielen Führungen zugehört, da kenne ich mich aus“, dröhnt Rauch stolz.
Er ist seit neun Jahren Wärter im Museum. Am liebsten leistet er seinen täglichen Dienst im lichten Obergeschoss des Baus. Sein Blick schweift durch den mit 450 Quadratmetern zweitgrößten Raum des Hauses. Textildecken verteilen hier das helle Tageslicht von oben gleichmäßig über Besucher und Kunst. Der Boden ist aus Holz. Massive dänische Eiche. Nichts lenkt den Blick von den neun Meter hohen Wänden ab. Hier wird der 12-teilige Gemälde-Zyklus „Lepanto“ des Amerikaners Cy Twombly präsentiert. Der Künstler hat ihn selbst arrangiert. Eine Seeschlacht, abstrakt und farbenfroh, mit heftigem Pinselstrich und verlaufenden Farben auf riesige Leinwände gebracht. Jede einzelne größer als zwei mal drei Meter. „Lepanto“ ist das Kernstück der Sammlung Brandhorst, für deren Inszenierung die Architekten Sauerbruch Hutton das Museum mit einer Vielfalt an Räumen entwarfen.
Typische Stille
Zwei Besucher betreten den Saal. Sofort dämpfen sie ihre Gesprächslautstärke. Ihre Schritte werden langsam. Die hohen Absätze der Dame sind kaum zu hören, so vorsichtig schleichen beide über die riesige leere Fläche. Sie bleiben stehen, wirken unschlüssig, sehen sich um. Schließlich schreiten sie die Gemäldereihe ab. „Das ist typisch“, plaudert Stephan Rauch fröhlich. „Dieser Raum macht Eindruck auf die Leute. Wer hier rein kommt, muss das auf sich wirken lassen. Alle werden irgendwie ruhiger.“ In der Stimme des Museumswärters schwingt Enthusiasmus. Er gestikuliert ausholend.
„Hier im Museum ist es immer angenehm ruhig. Richtig zum Wohlfühlen“, bestätigt Helena Hubert. Die schmale Frau ist vom ersten Tag an dabei. „Ich bin richtig eine Verbindung eingegangen mit diesem Haus“, beschreibt sie ihr Glück.
Kein Gegensatz: Weiß und Bordeauxrot
Künstler greifen das reine Weiß der hohen Wände im Museum Brandhorst gerne für ihre Arbeiten auf. SethPrice ist einer von ihnen. Einige seiner Werke, großformatige flache Wandinstallationen, sind Silhouetten. Das eigentliche Motiv ergibt sich durch das Fokussieren der umgebenden weißen Wand.
Cy Twombly reflektiert das gleichmäßige Weiß von Decke und Wand in einer Skulpturengruppe. Deren Farbe: Weiß.
Gemächlichen Schrittes schlendert eine Gruppe Damen im Erdgeschoss an Helena Hubert vorbei ins Museumsfoyer. Ihr entgeht hier nichts. „Das war eine berühmte Schauspielerin, haben Sie gesehen?“
Das Foyer ist hell und ruhig. Ausladende Fensterfronten lassen Licht in den Raum, der das Museumscafé beherbergt. Viele Tische sind besetzt, das Foyer ist belebt. Kellner und Gäste scheinen dennoch gelassen: Die Ruhe des Raumes entfaltet ihre Wirkung. Ein dunkles Bordeauxrot an Wand und Decke löst das Weiß der Ausstellungsräume ab. Die Damengruppe nimmt Platz. In ihrer Mitte tatsächlich Schauspielerin Michaela May, enspannt mit ihren Begleiterinnen ins Gespräch vertieft.
Beruhigend kindlich
Hektik und Lautstärke existieren im Museum Brandhorst nicht. Nicht einmal, wenn Kinder das Museum besuchen. „Kindergruppen sind toll. Kinder bremsen sofort, wenn sie hier hereinlaufen. Sie gucken sich alles genau an, Bild für Bild.“ Stephan Rauch spricht von „Lepanto“, CyTwomblys Gemäldereihe, für die sein Herz schlägt. Erzieherin Nicola Lauthil ist erstmals mit einer Kindergruppe im Museum. „Wir sind schon eine Stunde mit den Kleinen hier und alle sind immer noch fasziniert“, schwärmt sie. Die Gruppe verweilt im Rosensaal. „Kinder, die sonst unkonzentriert sind, werden hier viel ruhiger und konzentrierter.“ Als Grund vermutet sie eine Kombination aus Kunst, der Leere des freien Raumes großer Säle und dem diffusen, gedämpften Licht. Die Kinder im Kindergartenalter flüstern. Sie sitzen aneinandergelehnt auf einer gepolsterten Bank. Einige lassen sich rücklings auf das weiche Kissen fallen und sehen sich um. Andere kuscheln sich an Lauthils Kollegin. „Das sind große Rosen auf einem sehr steilen Berg, die werde ich nachmalen“, murmelt ein Knirps seinem Sitznachbarn zu.
Kindermund tut Kunst kund
Das Einfühlungsvermögen der Kinder für die museale Situation, die Wirkung der Räume und Werke, überraschen Stephan Rauch immer wieder. „Kinder sind vernünftiger als Erwachsene! Wenn deren Finger zu nah an die Werke kommen, ermahnen die Kleinsten ihre Eltern: ‚Das darfst du nicht!‘ Das ist toll.“ Rauch dreht sich in seinem Lieblingssaal und schaut auf die Seeschlacht. „Neulich blieb ein kleiner Junge vor dem mittleren Gemälde stehen und meinte: ‚Na, das ist ja mal schlecht!‘ Seine Mutter hätte ihm am liebsten den Mund zugehalten.“ Stephan Rauch lacht schallend. Die Wände lachen wider. „Ich finde, Kinder können sagen, was sie meinen. Die sehen mit ganz freiem Blick. Da sind die Schiffe hier zugeklappte Augen mit langen Wimpern dran – oder schwimmende Bratwürstchen mit Senf!“
Ausstellungen im Museum Brandhorst
Museum Brandhorst
Theresienstr. 35a
80333 München
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