Freiraum öffnen

Vom Ghetto ins Museum

8. Mai 2018

Vom Ghetto ins Museum


Die Welt ist permanent im Wandel. Erst recht die Welt der Medien, die darstellt, wie sich alles um uns herum verändert. Dabei entstehen im Idealfall neue Freiräume.

 

          „Don´t push me, ´cause I`m close to the edge – I´m trying, not to lose my head“
„Stoß mich nicht, ich steh´ schon am Rand, versuch, nicht zu verlieren den Verstand”

 

Dieser Reim des Rappers Grandmaster Flash beschreibt die Realität in den amerikanischen Ghettos – und damit das Gegenteil von Freiraum. Rap hat die Grenzen und erbarmungslosen Regeln der Ghettos in New York und anderen amerikanischen Großstädten der ganzen Welt bewusst gemacht. Die Kriminalität dort hielt den Münchner Medienproduzenten Uwe von Schumann nicht davon ab, Anfang der 80er Jahre mit einem Koffer voller Bargeld nach New York zu fliegen und dort Grandmaster Flash und drei andere Big Daddies des Hip-Hop für eine gemeinsame Platte in einem Tonstudio zusammen zu bringen: Kurtis Blow, Melle Mel und Africa Bambaataa. „Die nahmen nur Bargeld – und immer nur im Voraus“, grinst Uwe von Schumann noch heute. Mit diesen vier Urgesteinen des Hip-Hop produzierte er vor über dreißig Jahren ein Album, dessen Musik beim Videospiel „Ultimate Mix“ zu hören ist. Damals Pionierarbeit. Heute leitet Uwe von Schumann die Produktionsfirma Inter/Aktion zusammen mit seinem Partner Jürgen A. Knoll. Das Unternehmen ist in der Fernsehbranche, für renommierte Konzerne und sogar im Museum oft eines der ersten, das Freiräume eröffnet – nicht zuletzt durch neue Technik.

Uwe von Schumann, Geschäftsführer der Produktionsfirma Inter/Aktion Foto: Heinz Hollenberger

Freiraum durch Medien in Rap-Videospielen und in digitaler Bildung

Interview mit Uwe von Schumann, langjähriger Pionier in der Medienwelt   

Heinz Hollenberger: Ihre Firma hat ja sogar eine eigene Sendereihe mit dem Titel „Freiraum“ produziert. Worum ging es dabei?
Uwe von Schumann: „Freiraum“ war eine Sendung für junge Leute und wurde auf BR Alpha ausgestrahlt. Sie war eine Neukonzeption einer vorhergehenden Sendereihe, die der BR in Eigenproduktion realisiert hatte. Unsere Firma wurde dann aufgefordert, ein Konzept dafür zu realisieren und so haben wir den Namen Freiraum entwickelt. In dieser Sendung haben wir erstmals über das Internet Skype-Interviews geführt. Wir hatten dafür 35 Skype-Redakteure weltweit: in Indien, in Frankreich, und in den USA. Überall hatten wir Skype-Redakteure sitzen, die mit den Moderatoren in der Sendung Kontakt aufgenommen und gesprochen haben. Die haben uns auch kurze Filmbeiträge zugeliefert. Zu Jugendthemen wie Musik, Sport, Mode, eben alles, was die Jugend interessiert.

Website Interaktion.com

Monetäre Grenzen

Freiräume in den Medien – wie haben die sich generell entwickelt?
Fernsehen kommt heute über das Internet, über Streamingdienste. Wir haben aber auch noch das klassische Fernsehen. Da gibt es natürlich eine Vergrößerung des Freiraums in den Medien – allein schon durch die Weiterentwicklung der Technik. Allerdings gibt es auch Begrenzungen bei der Finanzierung. Für das gleiche Geld muss ich heute alle Medien bedienen, Fernsehen und Internet. Da reduzieren sich dann die Möglichkeiten. Es heißt zwar immer, Geld sei nicht das Wichtigste, sondern die Idee. Aber unter gewissen Umständen ist es schon wichtig, entsprechende finanzielle Möglichkeiten zu haben, um die Inhalte auch so aufzubereiten, dass sie interessant sind und nicht zu begrenzt. Wenn ich nicht mehr so viel in andere Länder reisen kann, um zu zeigen, wie Menschen dort leben und mich nur noch auf das Regionale beschränken muss, weil das Geld sonst nicht reicht, ist das für mich eine Begrenzung des Freiraums.

Drohnen statt Kräne

Haben sich die physikalischen Freiräume bei der Produktion erweitert?
Wir haben heute ganz andere Möglichkeiten in der Produktion und der Technik: Drohnen oder auch die Beleuchtungstechnik, die sich auch wesentlich verändert hat. Das ist alles komfortabler geworden. Wir können heute ganz anders arbeiten, wesentlich schneller, und wir können auch viel spannendere Bilder machen. Früher hat man einen Kran eingesetzt, auf dem eine Kamera montiert war. Für eine Kamerafahrt musste man diesen Kran mit mehreren Menschen bewegen. Da konnte der Kranführer einen Fehler machen. Oder der Kameramann hat sich verschwenkt, dann hat es gewackelt. Es gab unendlich viele Fehlerquellen. Heute dagegen nimmt man eine Drohne, programmiert sie und die macht dann einen Flug. Bei Bedarf immer wieder den gleichen, von A nach B. Wir bekommen die saubersten und schärfsten Bilder, für ein ideales Ergebnis. Oder wir arbeiten mit einem Lichtballon und leuchten so eine ganze Fläche in der Natur aus. Früher musste man aufwändige Generatoren hinstellen, um diese Beleuchtungsstärke zu erhalten. Bei der Technik hat sich wahnsinnig viel geändert, auch die Kameras sind kleiner und leichter geworden. Wir haben keine Bänder mehr, die man schneiden muss, heute speichern wir alles auf kleinen Chipkarten. Ob das jetzt so viel besser ist, ist eine andere Frage. Wenn man früher weniger Material dabei hatte, also Aufnahmematerial, das man bespielen konnte, musste man sich ganz genau überlegen, welche Einstellung mache ich jetzt – und wie mache ich die.

Wie viel inhaltlichen Freiraum lässt denn ein Produktionsauftrag vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu?
Wenn wir den Auftrag von einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bekommen, eine Produktion oder Sendung zu realisieren, dann ist es oft so, dass wir natürlich das Konzept dafür vorher entwickelt haben, die Idee erbracht haben. Dann sind da ja schon unsere Grundgedanken drin. Die Redaktionen greifen eigentlich sehr selten ein, nur wenn kleinere formale Fehler drin sind oder wenn inhaltlich etwas wirklich nicht stimmt. Aber letztlich hat man uns immer große Freiheiten in der Umsetzung gelassen.

Auslaufmodell Smart Phone?

Inter/Aktion realisiert neben Fernsehproduktionen auch Multi-Media-Projekte, z.B. in Museen. Wie kamen Sie zu dieser Pionierrolle?
Unsere Firma heißt ja nicht zufällig Inter/Aktion. Wie der Name schon sagt, bedeutet Interaktion den Austausch zwischen einem Betrachter und – in diesem Fall, also im Museum – einem Medium, einem interaktiven Medium. Früher waren das die Bildplatte, die CD-Rom oder eine mit einem PC gekoppelte Station mit einem Touch-Screen, auf dem der Besucher seine Information abrufen konnte oder Inhalte konfigurieren konnte. Mit dieser Idee waren wir sehr, sehr früh dran. Wir hatten Anfang 1990 ein großes Museumskonzept erstellt, das Aquarius-Wasser-Museum, für das wir dann später auch ein komplettes Museum interaktiv aufbereitet haben. Die Inhalte dafür haben wir in Spiele, Grafiken und Filme gepackt, alles zum Thema Wasser. Dafür haben wir den European Multi Media Award bekommen. Die Digitalisierung schreitet voran, auch im Museum. Jetzt wird ja schon wieder davon gesprochen, dass das Smart Phone ein Auslaufmodell wäre. Ganz einfach, weil bald sämtliche Funktionen des Smart Phones in allen Objekten um uns herum eingebaut sind: in der Kleidung, in den Möbeln usw. Auch im Museum wird sich das fortsetzen, dass wir haptische Exponate vor uns haben, die uns direkt in eine andere Welt katapultieren. Aber Kulturräume wie Museen brauchen wir auch in Zukunft, die werden nicht im Internet verschwinden.

Quelle: interaktion/youtube.com

 

Motion Ride „Alaska Ice Adventure“ – Die Münchner Produktionsfirma INTER/AKTION hat den motion ride „Alaska Ice Adventure“ entworfen und realisiert. Als zentrale Attraktion innerhalb des Bereichs „Alaska“ der ZOOM Erlebniswelt im Zoo in Gelsenkirchen. Der motion ride erfüllt gleichzeitig die Funktion, die Besucher vom arktischen Bereich in den südlichen Küstenregenwald Alaskas zu „transportieren“. Der motion ride ist in einem Zeremonieniglu der Inuit untergebracht. Dem Besucher wird die Anlage als Ausgrabungsstätte eines historischen Iglus präsentiert, der in den Bergen im Norden Alaskas unter einer riesigen Schneewehe ausgegraben wurde. Im Anstellbereich erzählt eine alte Inuit-Frau über die Geschichte des Iglus. Nachdem die maximal 50 Besucher sich im Iglu versammelt haben, wird das Gebäude von einem Beben erschüttert, die Eisschichten vor den Eiswanddurchbrüchen bersten und geben den Blick auf die Berglandschaft Alaskas frei. In diesem Moment kommt der gesamte Iglu ins Rutschen und stürzt über eine Gletscherrinne ins Polarmeer. Nach abenteuerlichen Begegnungen mit einem Fischtrawler, Robben und Orcas kracht der Iglu schließlich in ein Bootshaus im Süden Alaskas, die Reise ist zu Ende. Die Präsentation findet mittels 3 HDTV-Projektionen (je 450 cm x 250 cm) im 210°-Winkel statt. Aktuatoren unter den Füßen, kalter Wind und 6-Kanal-Ton machen das Alaska Ice Adventure zu einem Rundum-Erlebnis. Die Produktion besteht aus 3D-Animation, realen HDTV-HighSpeed- und SFX-Aufnahmen. In einem aufwendigen Compositing-Prozess wurde alles zu einer Einheit zusammengefügt – immer unter Beachtung der besonderen Erfordernisse eines motion rides und in enger Abstimmung mit dem GU und Hersteller des motion ride Systems, der Fa. Simtec GmbH aus Braunschweig. Kommentiert wurde die Animation von Heinz Hollenberger. Quelle: www.interaktion.com

Die ersten Touchscreens in München

Sie konzipieren Ausstellungen nicht nur für Museen, sondern auch für Unternehmen. Wie kann man sich das vorstellen?
Wir haben 1989 z.B. für die Allianz eine Ausstellung mit konzipiert und den Medienpart übernommen. Titel:„100 Jahre Allianz – Menschen machen Geschichte“. Dafür haben wir die ersten interaktiven Stationen entwickelt mit Inhalten über diese ganzen 100 Jahre hinweg, zu den verschiedenen Dekaden. Da waren wir wirkliche Pioniere, weil wir die Grafik-Overlay-Karten damals noch aus England beziehen mussten. Wir waren richtige Beta-Tester. Mit dieser Technik konnten wir Videos erstmals in ein grafisches Umfeld einbetten und über diese Grafikelemente, die z.B. Buttons waren, die man berühren konnte, über Touchscreen Informationen abrufen. Touchscreens waren Ende der 80er Jahre richtig innovativ und ganz, ganz weit vorne.

Uwe von Schumann

  • Jahrgang 1956
  • Studium der Medientechnologien an der Hochschule der Medien in Stuttgart,
  • Nach dem Studium freiberufliche Arbeiten als Cutter, Tonmann, Multimann und Regisseur für Kurzfilme, Tanztheater, Dokumentationen, TV, Wirtschaftsfilme und Spielfilme.
  • 1985 Gründung der TARGET Film & Video Produktion GmbH mit Jürgen A. Knoll. 1988 Gründung der INTER/AKTION Gesellschaft für interaktive Medien als Arbeitsgemeinschaft (1991 Umwandlung in GmbH)
  • seither Geschäftsführender Gesellschafter bei der INTER/AKTION GmbH als Creative Producer und damit inhaltlich verantwortlich für alle Projekte
  • 2006 Gründung der ContentCrew als Webcast-Agentur mit Jens Jacobsen und Jürgen A. Knoll Quelle: www.onlinefilm.org

 

Ganz weit vorne wird die Firma Inter/Aktion sicher auch in Zukunft mitspielen, denn die Ideen gehen den Geschäftsführern und etwa 85 Mitarbeitern nicht aus. Die Digitalisierung eröffnet ständig neue Wege, auf die sich Pioniere zuerst wagen. Auch Heinz Hollenberger hat Pionierarbeit geleistet. Als einer der ersten Videoreporter in Bayern hat er an die 5.000 Fernsehnachrichten produziert. Dabei ist der Diplom-Journalist gleichzeitig Kameramann, Reporter, Redakteur, Texter, Cutter und Sprecher. Natürlich auch für Kanäle im Internet.