„Ich möchte mein Ego loslassen!“
Start ins Sabbatical: Von einem, der aussteigt, um Freiraum zu leben.
Der Wunsch, das tägliche Hamsterrad für eine Verschnaufpause anzuhalten, ist weit verbreitet. Laut einer Studie der Personalberatung Heidrick & Struggles* träumen 69 Prozent der Führungskräfte von einer geplanten Auszeit vom Job, dem sogenannten Sabbatical. Aber nur vier Prozent der Arbeitnehmer jährlich nutzen diese Möglichkeit, die in vielen Unternehmen bereits zum Standardangebot der Personalentwicklung gehört.
Dazu zählt Sebastian Ascher, 44, Wirtschaftsingenieur und Gruppenleiter bei einem süddeutschen Automobilhersteller. Sein Sabbatical beginnt in vier Wochen. Im Dachzimmer seines Bauernhauses lehnt sich der Manager im Sessel zurück und erzählt, was ihn zu seiner Entscheidung bewogen hat, wie er sich seine berufliche Zukunft vorstellt und wie sich der neue Freiraum anfühlt.
Herr Ascher, ein sicherer Job mit guter Bezahlung bei einem etablierten Arbeitgeber: Was hat Sie bewogen, diese Komfortzone zu verlassen?
Das ist eine vermeintliche Komfortzone, denn es ist eigentlich ein goldener Käfig. Klar ist mein Job super und ich habe einen tollen Arbeitgeber, aber alles ist sehr egogetrieben. Jeder guckt, dass er seine eigenen Schäfchen im Trockenen hat.
Ich habe vor zweieinhalb Jahren zu meditieren begonnen. Das hat mich selbst massiv verändert. Es hat meinen Fokus verändert, mich weggebracht von diesem Karrierepfad. Der wurde eigentlich anerzogen: gute Schule, gute Ausbildung und ein Job, der schön sicher ist. Dann hat man‘s richtig gemacht. Oder nicht? Es war ein extrem spannender Prozess für mich zu sehen, wie viel von meiner Persönlichkeit dieser Job ausmacht. Wie sehr es Teil von mir ist, Manager zu sein. Es war erschreckend, wie stark man sich über den Job definiert!
Ich stelle jedoch fest, dass mir – nach der Gesundheit – die Freizeit das kostbarste Gut ist. Deswegen ist für mich der nächste Karriereschritt nicht vorstellbar. Ich müsste dem Unternehmen mehr Zeit geben, möchte aber eher weniger Zeit mit Arbeit verbringen und das Leben einfach genießen.
Sind Sie denn in Ihrem Job unzufrieden?
Ich bin sehr zufrieden! Ich habe eine ganz spannende Aufgabe, super interessant. Aber bei allen Jobs, die ich bis jetzt gemacht habe, war letztendlich das Hauptziel das Geldverdienen. Wenn ich die freie Wahl hätte, würde ich etwas deutlich Kreativeres tun.
Gab es einen konkreten Auslöser, über eine Auszeit nachzudenken?
Verändert hat mich meine neue Beziehung. Ich war zuvor mit jemandem zusammen, der auch sehr auf Karriere fokussiert war. Dabei haben wir uns beide ein bisschen verloren und schließlich getrennt. Dann habe ich eine Partnerin kennengelernt, die ein ganz anderes Leben führt, sehr viel freier und schöner. Dadurch, dass ich mich selbst veränderte, begann ich, alles in Frage zu stellen.
Ich überlegte: Was tut mir da eigentlich gut? Natürlich ist es erfüllend, eine Führungskraft zu sein, den Leuten etwas mitzugeben, aber für mich nicht erfüllend genug.
Ich bin sportbegeistert. Ich gehe sehr gerne Skitouren, ich fahre sehr gerne Fahrrad, bin wahnsinnig gern auf dem See mit Stand-Up-Paddels. Da geht mir einfach das Herz auf. Und zwar viel, viel mehr, als wenn ich arbeiten gehe.
Ihr Sabbatical beginnt in vier Wochen. Wie planen Sie es zu nutzen?
Ich habe mir eine Liste gemacht mit zwei Spalten: worauf ich Lust habe und To-dos, die ich schon immer mal machen wollte, für die ich mehr Zeit brauche. Es ist eine Ideensammlung. Wenn ich morgens aufstehe, schaue ich auf diese Liste und überlege, was ich heute so mache (lacht). Urlaube sind auf der Fun-Seite. Auf der anderen Seite steht zum Beispiel, die Apfelbäume im Garten zu schneiden.
Die freien Monate sind kostbar. Darf Zeit ungenutzt verstreichen?
Ich habe nicht den Anspruch, dass meine Liste erfüllt sein muss. Da käme ich ja wieder in den Stress, etwas erreichen, Ziele verfolgen oder Ergebnisse vorweisen zu müssen. Genau das will ich nicht. Ich würde sehr gerne surfen lernen oder mich aufs Fahrrad setzen und in irgendeine Richtung fahren. Das habe ich als Student schon gern gemacht. Einfach an einem Tag an den Gardasee radeln.
Sie leben in einer festen Beziehung und haben Kinder. Wie war die Reaktion Ihres persönlichen Umfelds auf die Sabbatical-Idee?
Meine Partnerin hat mich sehr bestärkt. Meine Kinder haben gezögert. Aber ich habe ihnen gleich versprochen, dass jeder eine Exklusivwoche mit Papa kriegt, irgendwo auf der Welt. Damit war natürlich die Akzeptanz sofort größer.
Die Region München ist ein teures Pflaster. Welche Einschränkungen nehmen Sie für Ihr halbes Jahr Freiraum in Kauf?
Finanziell keine. Ich habe etwas angespart, und mein Bruttogehalt wird normal weiterbezahlt. Ich bleibe angestellt. Was während des Sabbaticals ausgezahlt wird, musste ich vorher zur Hälfte einbringen. Ich habe in dieser Zeit keine Sonderzahlungen bekommen (Anm. der Red.: Weihnachtsgeld, Boni), und mein Gehalt wurde für einige Monate etwas gekürzt. Nach dem Sabbatical finanziere ich den Rest über Ausbleiben meiner Gewinnbeteiligung. Ein Sabbatical ist sehr gut machbar, wenn man ein bisschen plant. Der Arbeitsvertrag läuft ja weiter. Mein Haus muss auch nicht morgen abbezahlt sein (lacht). Da bin ich sehr entspannt. Ich lebe heute.
Wesentlicher ist jedoch: Meine Position ist weg. Die aktuelle Stelle, die ich sehr attraktiv finde, ist weg. Ich habe sie schweren Herzens hergegeben. Das ist der Preis, den ich zahle: zurückzukommen und nicht zu wissen, was kommt. Ich finde das super spannend.
Thema Rückkehr: Haben Sie keine Bedenken?
Es wird in meinem Unternehmen grundsätzlich gern gesehen, wenn man sich nach einer gewissen Zeit verändert, eine neue Position annimmt. Deswegen ist es kein Beinbruch, mir etwas Anderes zu suchen. Was kann schon passieren? Die Rückkehr empfinde ich nicht als Risiko. Ich habe Anspruch auf meine Einstufung, also auf einen adäquaten Job. Vielleicht habe ich ein halbes Jahr lang eine Arbeit, die nicht so attraktiv ist. Derweil strapaziere ich mein Netzwerk, das ich mir in 15 Jahren gebildet habe und suche mir wieder etwas Interessanteres. Es ist eine meiner Stärken, ein Arrangeur zu sein, der sich in jeder Situation zurechtfindet und aus jeder Situation etwas Positives gewinnen kann.
Ist es dieser Charakterzug, der es Ihnen überhaupt ermöglicht, den Ausstieg zu wagen?
Ja klar! Um ehrlich zu sein, bin ich nicht sicher, ob ich überhaupt zurückkehren soll. Derzeit habe ich großes Interesse an Immobilien und überlege mir, auf diesem Sektor ein Einkommen zu schaffen. Die Idee birgt aber ein gewisses Risiko und kam bei meinen Eltern gar nicht gut an. Eltern lieben Sicherheit.
Sie würden also zugunsten von mehr Freiraum auch auf Geld verzichten?
Auf jeden Fall! Wobei ich zuversichtlich bin, dass ich das gar nicht müsste. Das Sabbatical ist perfekt, meine Idee einfach mal auszuprobieren. Funktioniert sie? Wenn sie nur teilweise klappt, könnte ich mir vorstellen, erst einmal in Teilzeit zurückzugehen.
Das wäre allerdings schwierig in meiner Position. Teilzeit-Führungskraft: Das geht gar nicht. Aber: Ich habe einem befreundeten Abteilungsleiter davon erzählt, und er sagte: „Ich nehme dich sofort als Teilzeitreferenten!“
Wie waren die Reaktionen, als Sie Ihr Sabbatical beantragten? Ging Ihr Arbeitgeber offen mit dem Thema um?
Es war ein Prozess, bis ich mich getraut habe, ein Sabbatical einzufordern. Damit signalisiert man ein gewisses Desinteresse am weiteren Karriereschritt. Und ganz ehrlich? Das ist es im Unternehmen auch! Wenn man vorwärtskommen möchte, macht man so etwas nicht. Es gibt diesen Baustein intern ganz offiziell. Man kann im Intranet „Sabbatical“ anklicken und es werden die nächsten Schritte erklärt. Das ist schon mal toll, eine erste Hilfe seitens des Unternehmens. Intern ist das Sabbatical trotzdem nicht komplett anerkannt, wie zum Beispiel in den skandinavischen Ländern.
Der Gang zur Personalreferentin war nur für mich schwer. Sie selbst war total entspannt: „Kein Problem! Ihr Vorgesetzter muss grünes Licht geben.“ Das hat er sofort getan. Er fand die Idee sogar gut. Vielleicht war er froh, mich loszuwerden (lacht)?
Intern spricht sich so etwas schnell rum. Man kennt sich untereinander, mein Unternehmen ist wie eine riesengroße Familie. Ein ehemaliger Mitarbeiter hat mich beiseite genommen und fragte: „Du, ich habe gehört, du machst ein Sabbatical – geht’s dir gut?“ (lacht).
Ihr Unternehmen bietet das Sabbatical an, gleichzeitig verursacht es aber einen Karriereknick. Heißt das, ein Sabbatical wird als Signal für mangelndes Streben wahrgenommen?
Wenn man eine Führungskraft ist, für die es das Größte ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, größere Hebel in die Hand zu bekommen, dann vielleicht. Mir ist das nicht wichtig. Wenn ich zurückgehe, dann für den Broterwerb. Ich möchte mein Ego loslassen! Mein Eindruck ist, dass ein Sabbatical für den Arbeitgeber ein negatives Signal ist. Das ist aber meine Interpretation.
Es geht nicht mehr nur darum, Karriere zu machen und gut bezahlt zu werden. Das erkennen auch Unternehmen. So bieten sie das Sabbatical an, um ein Top-Arbeitgeber zu sein. Da muss Flexibilität her. Viele Kollegen, denen ich vom Sabbatical erzählt habe, meinten: „Das würde ich auch gern machen, aber ich kann es mir nicht leisten.“ Natürlich könnten sie das! Es fehlt eher der Mut, der Anstoß aus seinem Trott rauszugehen.
Raus aus dem Trott, ein halbes Jahr selbstbestimmt leben und persönlicher Freiraum: Wie fühlt sich das an?
Genau: komplette Selbstbestimmung, wie noch nie in meinem Leben! Ein ganz wichtiger Punkt. Ich war schulisch ein Spätzünder, habe eine Lehre gemacht, das Abitur nachgeholt und dann studiert. Es gab immer einen logischen Schritt nach dem nächsten. Ich fühlte mich immer getrieben, irgendwie weitermachen zu müssen. Jetzt habe ich zum ersten Mal die Möglichkeit, irgendetwas tun zu können. Das ist ein absoluter Traum, der perfekte Zustand. Wer weiß, ob ich in zehn Jahren schon unter der Erde liege?
Was, wenn die Rückkehr aus der Selbstbestimmtheit in die geregelte Arbeitswelt nicht klappt?
Ich habe einen Kollegen, der mich inspiriert. Er hat ein Sabbatical gemacht und ist mit der gesamten Familie sechs Monate im VW-Bus durch Australien gefahren, 24.000 Kilometer! Am ersten Tag, als er aus seiner Auszeit zurückkam, fragte er sich: „Was mache ich eigentlich hier? Ich bin hier total falsch!“ Dieses Gefühl hatte er zwei, drei Tage, und irgendwann war er wieder drin. Meine Schwester ist trotz enormer Karriere einfach ausgestiegen, nach Chile gegangen und Selbstversorgerin geworden. Sie lebt mit ihrer Familie in einer Hütte, ohne fließendes Wasser, ohne Strom. Ganz weg von allem. Das ist für mich ein konsequenter Schritt, um ganz auszusteigen. So lange ich noch in der „normalen“ Welt drin bin, in dieser Geschwindigkeit, glaube ich, dass ich es schaffe, wieder reinzukommen.
Bei Ihnen schwingt keinerlei Sorge mit, dass irgendetwas nicht aufgeht?
Null. Woran soll es scheitern? Man muss die Auszeit finanziell absichern, klar, weil man ja im Sabbatical mehr Zeit hat, Geld auszugeben. Aber das war‘s. Haken dran!
Sabbatical
Ein Sabbatical ist das Arbeitszeitmodell eines längeren Sonderurlaubs (hebräisch schabat: aufhören, ruhen). Unternehmen bieten Möglichkeiten, wie z.B. Langzeitarbeitskonten, Lohnverzicht oder Umwandlung von Sonderzahlungen, um Mitarbeitern die Finanzierung einer vertraglich geregelten Auszeit zu ermöglichen. Sie kommen damit der gestiegenen Nachfrage nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance entgegen.
Nach einer Studie des Institutes Fittkau & Maas aus dem Jahr 2016 (www.wimdu.de) wünschen sich 43 Prozent der Befragten eine Auszeit. Die Mehrheit (57 Prozent) gab an, Zeit für eigene Interessen zu brauchen. *Die Personalberatung Heidrick & Struggles ermittelte laut „Wirtschaftswoche“ unter Führungskräften sogar 69 Prozent Ausstiegswillige gegenüber nur vier Prozent Arbeitnehmern pro Jahr, die tatsächlich ein Sabbatical in Anspruch nehmen. (www.wiwo.de)