Grün, integrativ, urban: Der Freiluftsupermarkt in München-Freiham
Ein Interview über grüne Freiräume in der Großstadt mit Landschaftsarchitektin Julia Bleicher von bauchplan ).(.
Im Münchner Westen, genauer gesagt im Stadtteil Freiham, gibt es ihn noch: großzügigen, grünen Freiraum: Wohl mit den letzten seiner Art in Boomtown München. Aber nicht mehr lange. Zwischen Aubing und Germering soll in den nächsten 20 Jahren ein 250-Fußballfelder großes Wohngebiet für rund 20.000 Menschen mit Wohnblöcken, Bildungscampus und Quartierszentrum entstehen. Bis der Beton die Oberhand gewinnt, setzt die Stadt München auf integrative, grüne Zwischennutzungskonzepte wie den Freiluftsupermarkt. Was sich hinter diesem ungewöhnlichen Projekt verbirgt und wie grüner Freiraum in der Großstadt entstehen und funktionieren kann, erklärt die 29-jährige Landschaftsarchitektin Julia Bleicher vom Münchner Planungsbüro bauchplan ).( im Interview.
Ihr habt das Projekt Freiluftsupermarkt in Freiham betreut. Wie ist diese Projektidee entstanden?
Der Grundgedanke des Freiluftsupermarktes stammt aus unserem Agropolis Projekt. Mit Agropolis hatten wir 2009 den Open Scale Wettbewerb der Stadt München gewonnen. Ziel des Wettbewerbs war die Erarbeitung zukunftsweisender Ideen für die Münchner Stadtentwicklung. Kerngedanke von Agropolis ist die grüne Stadt samt eigener Nahrungsmittelproduktion. Im Jahr 2015 bot uns die Stadt München an, auf einer Fläche in Freiham einen Teil unseres Agropolis-Konzeptes temporär umzusetzen. Wir hatten uns spontan für den Freiluftsupermarkt entschieden. Erstens, weil wir dieses Projekt sehr gut in einem bestimmten Zeitraum umsetzen konnten. Und zweitens, weil ein Freiluftsupermarkt den von Ackerflächen geprägten Ort wunderbar aufnimmt und ihm ein neues Gesicht verleiht. Neben diesem grünen Aspekt wollten wir mit unserem Konzept aber auch einen integrativen Ansatz verfolgen. Die Anwohner sollten von Anfang an mit einbezogen und in Kontakt mit ihrer Nachbarschaft gebracht werden und dabei einen Zugang zur Nahrungsmittelproduktion bekommen.
„Anfangs gab es nur ein Feld.“
Erklär doch bitte mal, wie so ein Freiluftsupermarkt funktioniert.
Anfangs gab es nur ein Feld. Richtig los ging es im Frühjahr 2016, als wir mit Schülern, Freiwilligen und Flüchtlingen ein Feld anlegten. Wir haben den Boden beackerbar gemacht, einen riesigen Ring aus Stroh gelegt und die Gemüsepflanzen eingesetzt. Später kamen noch eine Bühne und ein Werkzeugcontainer dazu, alles immer in Gemeinschaftsarbeit, zum Beispiel mit dem Jugendtreff oder Helferinnen und Helfern der Unterkunft für Schutzsuchende. Das war der Anfang. Jeder, der wollte, konnte hingehen, garteln und natürlich ernten. Schilder an den Beeträndern gaben Auskunft über Pflanzen und deren Reifegrad. Der Freiluftsupermarkt hatte keine festen Öffnungszeiten. Wir von bauchplan ).( waren regelmäßig vor Ort. Durch die frühzeitige Einbindung verschiedener Institutionen hatten wir immer genügend Helfer zur Pflege der Anlage. Im Gegenzug durften sie sich etwas mitnehmen. Manche kamen auch einfach nur aus Spaß am Pflegen.
Das heißt, neben dem Ernten spielt vor allem Integration eine wichtige Rolle in Eurem Projekt?
Ja, genau. Unsere Intention war es, die Leute sehr früh einzubinden. Sie sollten vor allem miteinander in Kontakt kommen und sich gleichzeitig damit auseinandersetzen, wo ihre Nahrung herkommt und wie was wann angebaut wird. Deshalb führten wir regelmäßig Führungen mit Schulklassen durch oder arbeiteten direkt mit den Kindern auf den Feldern. Wir wollten die Bürger auf eine ganz niederschwellige Weise an den Stadtteil Freiham heranführen. Sie sollten wirklich begreifen und erfühlen, was dort noch entstehen soll.
Wie habt ihr den Freiluftsupermarkt finanziert?
Das Projekt war eine Non-Profit-Aktion, die durch die Stadt München und das Land Bayern gefördert wurde. Wir haben nach dem Vorbild der Selbst-Pflück-Blumenfelder eine Spendenbox aufgestellt, in die jeder nach eigener Wertschätzung die Menge an Geld einwerfen durfte, die er für sein Gemüse bezahlen wollte.
„Die Leute machten irgendwann einfach mit.“
Welches Feedback habt ihr von den Anwohnern erhalten?
Durch das gemeinsame Arbeiten und die Gespräche im Freiluftsupermarkt habe ich sehr unterschiedliche Stimmungen wahrgenommen, überwiegend jedoch positive. Einige waren sogar euphorisch, einfach weil es dieses Projekt überhaupt gab. Manche Leute kamen von weit entfernten Stadtteilen extra nach Freiham rausgefahren, weil sie die Idee so toll fanden. Natürlich gab es unter den Besuchern auch ein paar Skeptiker: oft eingefleischte Gärtner, die uns zeigen wollten, wie man es richtig macht (lacht). Letztendlich konnten wir aber jeden auf unsere Seite ziehen. Die Leute machten irgendwann einfach mit. Um des Projektes willen. Und was unsere Zweigstelle, also die Freiluftbox am Westkreuz angeht, war das Feedback wirklich unglaublich gut. Die Freiluftbox hatte richtig viele Stammkunden, die jeden Donnerstag- und Freitagnachmittag vorbeikamen und einkauften. Als wir den alten Seecontainer auf die leere Wiese neben der S-Bahn-Station Westkreuz stellten und herrichteten, traten wir wieder in direkten Kontakt mit den Leuten aus dem Viertel. Wir haben mit dem Stadtteilladen, dem Altenheim und dem Kindertreff zusammengearbeitet. Es gab drei kleinere Veranstaltungen an der Freiluftbox, die immer gut besucht waren.
Gab es auch kritische Rückmeldungen?
Nein, nicht wirklich. Es gab anfangs höchstens Zweifel, ob das Projekt wegen Diebstahl- und Vandalismusgefahr überhaupt funktionieren würde. Für mich berechtigte Sorgen, aber tatsächlich kam es sehr selten dazu, dass etwas kaputt gemacht wurde. Etwas enttäuschend war es sicherlich, dass aufgrund der großen Nachfrage immer alles abgeerntet oder ausverkauft war.
Werden der Freiluftsupermarkt und die Freiluftbox auch 2018 fortgesetzt?
Den Freiluftsupermarkt in eine beständige Form überzuführen und dafür ein dauerhaftes Areal zu finden, ist im Gespräch. Auch die Freiluftbox soll weitere Saisonen fortbestehen. Ob das gelingt, wird sich noch zeigen.
Quelle: BR24 / YouTube
Was habt ihr deiner Meinung nach mit eurem Projekt bei den Leuten bewirkt?
Ich hoffe, dass wir den Kindern mit unserer Arbeit etwas mitgeben konnten, was sie langfristig bewahren und sogar an ihre Eltern weitergeben werden. Unsere Idee soll gesät, verbreitet und vielleicht sogar weiterentwickelt werden.
„Wenn der Freiraum funktioniert, ist er immer schön.“
Der zunehmende Bedarf an Wohnraum und grünem Freiraum in München stellt Städteplaner und Landschaftsarchitekten vor große Herausforderungen. Welche Lösungsansätze für grünes Wohnen auf engem Raum sind aktuell in der Diskussion?
Das kann man meiner Meinung nach schlecht verallgemeinern. Man muss jeden Fall einzeln betrachten. Insgesamt denke ich, dass der Trend hin zu einer multifunktionalen Nutzung von Flächen geht. Man denkt jetzt mehr darüber nach, wie man die Erschließungswege, beispielsweise in einer neu gebauten Wohnanlage, so legen kann, dass Freiraum erlebbar wird und man dennoch keinen Platz verschwendet. Eben auf engem Raum viel bieten, öffentlich nutzbare Sitzgelegenheiten schaffen. Die modernen Konzepte sollen möglichst viele Nutzergruppen ansprechen. Es sollte dahin gehen, weniger privaten und dafür mehr gemeinsamen grünen Freiraum nutzbar zu machen. Das soll aber nicht heißen, dass sich private Grünflächen komplett in öffentliche Freiräume verwandeln. Beispielweise könnte man sich als Hausgemeinschaft zusammenschließen und statt vieler kleiner privater Hecken eine große Grünfläche zur gemeinschaftlichen Nutzung gestalten. Damit hätten alle mehr davon.
Verrätst du mir zum Abschluss noch deinen grünen Lieblingsplatz in München?
Ich bin momentan ganz verliebt in den Luitpoldpark in Schwabing. Mit der Sonne, dem Schnee, den Hügeln und den schlittenfahrenden Kindern ist es wirklich toll dort. Eine lebendige Mischung aus Spaziergängern, Sporttreibenden und Biergarten. Genau so sollte meiner Meinung nach ein grüner Freiraum sein. Wenn der Freiraum funktioniert, ist er immer schön, auch wenn es vielleicht nicht an jeder Ecke perfekt aussieht.
Vielen Dank für das Interview, Julia.
bauchplan ).(
- Planungsbüro mit Sitz in München und Wien
- Entwickelt seit über 15 Jahren Identitäten und kultiviert offene Gestaltungsprozesse im transdisziplinären Kollektiv
- Wirkt an der Schnittstelle zwischen Raum, Gesellschaft und Umwelt, oftmals spielerisch und gerne mit dem strategischen Blick von außen
- Verfolgt das Ziel, vielschichtig angereicherte Möglichkeitsräume zu entwickeln und umzusetzen
- Ausgezeichnete Schlüsselprojekte in München: Genossenschaftliches Wohnbauprojekt wagnisArt im DomagkPark und Habsburgerplatz in Schwabing
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