Stoff für Populismus
Ein Stück Stoff erhitzt die Gemüter deutscher Politiker. Wieder einmal wird das Kopftuch als Symbol für Unterdrückung diskutiert und wieder einmal werden Stimmen laut, die ein Verbot fordern.
FDP-Vorsitzender Christian Lindner tritt für ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren ein. Seiner Ansicht nach muss die individuelle Religionsfreiheit auch innerhalb der Familie verteidigt werden. Unterstützung erhält er vom nordrhein-westfälischen Integrationsminister Joachim Stamp, ebenfalls FDP. Stamp vertritt die Meinung, dass Kinder nicht dazu gedrängt werden dürfen, ein Kopftuch zu tragen. Es sei „leider notwendig“, so der Hinweis aus der Partei, religionsunmündige Mädchen zu schützen.
Schutz vor Eltern?
Vor wem eigentlich? Vor den eigenen Eltern, die diesen Mädchen seit Jahren ihre Werte vermittelt haben? Die jungen Mädchen werden im Regelfall die Ansichten ihrer Eltern teilen. Für die wenigen, die bereits im Grundschulalter ein Kopftuch tragen, wird das Verbot zum gewaltsamen Eingriff in ihr Wohlbefinden, der ihre Schamgrenze deutlich überschreitet. Fühlt sich das Kind nun von religiöser Doktrin befreit? Wohl kaum. Vielmehr erlebt es, dass die eigenen Eltern entmündigt werden und sich sein Bewegungsraum auf die eigenen vier Wände einengt. Freiheit, auch Religionsfreiheit, fühlt sich anders an.
Kein Kopftuch – keine Taufe
Die Argumentation, nur Erwachsene könnten ihre Religionszugehörigkeit selbstbestimmt entscheiden, stellt auch christliche Symbole infrage. Insofern müsste konsequenterweise nicht nur das Tragen eines Kopftuchs bei Kindern verboten werden, sondern auch das Zurschaustellen sämtlicher religiöser Symbole.
Wird das Argument der Selbstbestimmtheit umgesetzt, müssten auch Taufen im Kindesalter untersagt werden.Das wäre bedenklich: Sowohl bei einem Kopftuchverbot für Mädchen als auch bei einem Taufverbot für Kinder würde der Staat die Grenzen seiner Zuständigkeit überschreiten und in die Grundrechte seiner Bürger eingreifen, denn Religionsfreiheit ist ein Wert, den unsere Verfassung garantiert.
Der Stoff, der kleine Mädchen sexualisiert
Die nordrhein-westfälische Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) erklärt in einem Interview im ZDF-Morgenmagazin, dass es bei dieser Diskussion nicht um Religionsfreiheit gehe, sondern um die Frage des Kindeswohls. Nach gängiger islamischer Lehre, sollen Mädchen ihr Haar erst ab der Geschlechtsreife verbergen. „Dass Mädchen im Kita- und Grundschulalter die Reize vor Männern verhüllen müssten – genau das sexualisiert das Kind.“
Über wie viele Mädchen, die „geschützt“ werden sollen, sprechen wir? Zahlen gibt es nicht. Umso mehr Aufmerksamkeit richtet sich auf die Debatte. Güler argumentiert damit, dass die Zahlen keine Rolle spielten. Selbst wenn es nur 50 Mädchen seien, wären dies 50 zu viel. Warum? Selbst wenn es unter den wenigen Kindern, die Kopftuch tragen, einige gibt, die dazu gezwungen werden, stellt sich die Frage, inwieweit diesen wenigen ein Verbot des Kopftuchtragens hilft?
Wenn Eltern ein Mädchen dazu veranlassen, ein Kopftuch zu tragen, und dies in der Gesellschaft, in der die Familie lebt, verboten ist, führt das nicht dazu, dass die Eltern umdenken, sondern zu Abgrenzung und Ausgrenzung. Würde ein solches Verbot Realität, säßen junge Muslimas ohne Kopftuch in der Grundschule. Das Kopftuch verschwände allerdings nur im Schulranzen und würde nach dem Läuten der Schulglocke aufgesetzt. Dies unterstützt das Entstehen von Parallelwelten, nicht aber die Integration und schon gar nicht das Zusammenleben mit Andersgläubigen.
Brücken bauen statt Gräben buddeln
Diese Problematik sieht auch Bayerns Integrationsbeauftragte Mechthilde Wittmann (CSU). Sie hält ein Verbot, ausgeübt an den Schwächsten, für unsinnig. Damit hat sie recht. Die CSU Politikerin findet es wichtiger Aufklärungsarbeit bei muslimischen Eltern zu leisten. Aufklärung worüber? Dass sie ihre Kinder in ihrem eigenen Glauben erziehen? Oder soll Aufklärung darauf abzielen, dass muslimische Eltern liberalisiert werden? Geht es also im Grunde darum das Kopftuch durch Aufklärung aus dem öffentlichen Bild zu verbannen? Denn das wäre der falsche Ansatz.
Was die aktuelle Debatte zeigt, ist die Notwendigkeit des Dialogs – nicht über, sondern mit den Muslimen in unserem Land. Dass das schon einmal in der Diskussion über Religionsfreiheit funktioniert hat, zeigt das Beschneidungsgesetz, welches es seit 2012 in Deutschland gibt. In diesem Gesetz steht die Religionsfreiheit im Vordergrund, dementsprechend erlaubt das Gesetz, dass Eltern über die Beschneidung männlicher Kinder unter 14 Jahren entscheiden dürfen.
Gerade in einer Zeit voller Angst, Hass und Spaltung brauchen wir eine positive Politik. Eine Politik, die Brücken baut, nicht Gräben buddelt.
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