Für die klimarettende Agrarwende: Agroforstwirtschaft endlich auch in Bayern fördern!

Bayern blockiert den Agroforst, indem die Staatsregierung keine Förderrichtlinie für die EU-Subventionen herausgibt. Ein Kommentar

Titelfoto Gladbacher Hof: P. Weckenbrock

Seit 2009 gibt es in der GAP, der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, die Möglichkeit, für Agroforstsysteme EU-Subventionen aus der sogenannten „Ersten Säule“ zu beantragen. Agroforstwirtschaft bedeutet Gehölzstreifen auf Felder, Weiden und Wiesen zu pflanzen, die so angeordnet werden, dass landwirtschaftliche Maschinen zwischen ihnen fahren und wenden können. In Frankreich, Spanien und Portugal profitieren die Bäuerinnen und Bauern längst von den EU-Direktzahlungen für Agroforst. In Deutschland haben Landwirte zu diesen Geldern immer noch keinen Zugang.

Die einzige Ausnahme unter den Bundesländern ist Brandenburg, wo das neue Steppenklima kaum mehr zu ignorieren ist. Dort ist jetzt eine Förderung von Agroforst aus EU-Geldern möglich. Allerdings nur als Maßnahme aus der „Zweiten Säule“ zur Entwicklung des ländlichen Raums, die das Bundesland oder die Gemeinde mit 50 Prozent bezuschussen muss. Es ist Ländersache, jeweils eine neue Förderrichtlinie zu erarbeiten. Ohne diese bürokratische Voraussetzung werden Bäuerinnen, die auf ihrem Land Agroforstsysteme einrichten, finanziell bestraft. Auch die Bayerische Staatsregierung blockiert den Agroforst auf diese Weise.

Die Anfangs-Investitionen für die Heckenpflanzungen im Agroforst sind beträchtlich. Wenn die Bauern zusätzlich einen Teil ihrer bisherigen EU-Subventionen verlieren oder die bürokratischen Hürden zu hoch sind, lassen sie es lieber gleich bleiben. Bis auf einige wenige Idealist:innen. Abschreckend wirkt auch die Aussicht, die neu gepflanzten Hecken später nie mehr entfernen zu können. Wenn sie groß sind, können sie zum Beispiel unter Waldschutzgesetze fallen. Nur das Land Sachsen hat hier seine Hausaufgaben gemacht und neue Regelungen für Feldhecken erlassen, die den Bauern Planungssicherheit geben.

Bayern und der Agroforst: Verschleppen, vertrösten, bevormunden

Wenn ein relativ armes Bundesland wie Brandenburg sich die Zuschüsse zur Agroforst-Förderung über die Zweite Säule leisten kann – warum geht dann im reichen Bayern nichts voran? Im Sommer 2020 lehnte die Regierungsmehrheit aus CSU und Freien Wählern alle Anträge der GRÜNEN zur Förderung von Agroforstsystemen ab. Und das nach drei verheerenden Dürre-Sommern in Franken, die sich von denen in Ostdeutschland kaum unterschieden. Selbst nachdem die Bundesregierung im Januar 2021 die Förderung von Agroforstsystemen in Deutschland fraktionsübergreifend beschlossen hatte, änderte sich in Bayern nichts.

Die seit 12 Jahren überfällige Förderrichtlinie wurde nicht einmal in Aussicht gestellt. Nach Verlautbarungen des Landwirtschafts-Ministeriums ist der Sinn und Zweck von Agroforst auf bayerischen Fluren umstritten und ungeklärt. Die angeführten Gegenargumente sind jedoch nicht stichhaltig – etwa die These von den anspruchsvollen brennstofftechnischen Eigenschaften von Hackschnitzeln aus dem Gehölzaufwuchs.

Die technischen Probleme der Holzvergasung, auch der großtechnischen, hat die deutsche Ingenieurskunst längst gelöst. Entsprechende Anlagen werden in Deutschland produziert und verkauft. Energiegewinnung durch Holzvergasung ist sogar CO2-negativ. Das heißt, sie entzieht der Atmosphäre dauerhaft CO2. Durch das Restprodukt Pflanzenkohle wird CO2 nicht wie beim Verbrennen in die Atmosphäre entlassen, sondern dauerhaft im Boden eingelagert. Pflanzenkohle fördert dort den Humusaufbau. Trotzdem gewinnt man durch Holzvergasung nahezu genauso viel Strom und Wärme, wie wenn man das Holz verbrennen würde.

Ein Kirschbäumchen blüht auf dem neuen Agroforst-Streifen eines Ackers in Erbenheim bei Wiesbaden
Ein junger Agroforst-Streifen auf einem Acker in Erbenheim bei Wiesbaden. Foto: Noemi Stadler-Kaulich

Agroforst könnte der Schlüssel für eine klimagerechte Agrarwende sein

Im Ergebnis werden die Bäuer:innen von der Staatsregierung bevormundet. Statt ihnen eine Agroforst-Förderrichtlinie zu geben und sie selbst entscheiden zu lassen, werden sie hingehalten. Im September 2021 präsentierte das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ein neues Feigenblatt: Unter 28 geförderten Forschungsvorhaben sollen auch zwei zum Agroforst finanziert werden.

Warum immer weiter forschen, wenn eiligste Umsetzung geboten ist, weil Deutschland anderenfalls seine Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutz-Abkommen nicht erreichen wird? Es existiert bereits eine Fülle wissenschaftlicher Literatur zur Agrofortwirtschaft, auch für die gemäßigten Breiten. Sie belegt, dass ökologischer Agroforst die Schlüsseltechnologie schlechthin wäre, um die Landwirtschaft klimarettend umzubauen. Laubfall, tiefere Durchwurzelung und Pflanzenkohle aus dem Gehölzaufwuchs könnten die agrarindustriell zerstörten Humusschichten regenerieren. Neue Habitate für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen würden helfen, das Artensterben zu stoppen.

Ein Beispiel ist die Kemennaya-Steppe, eine Region mit fruchtbarer Schwarzerde in Westrussland. Dort fand vor 120 Jahren ein dokumentiertes Langzeit-Experiment mit Agroforstwirtschaft statt. Es beweist ihre Wirksamkeit für die Wiederherstellung abgerissener regionaler Wasserkreisläufe. In dieser Zeit plagten jahrelange Dürren und Missernten die Region. Auf den Rat eines Gelehrten hin vernetzten die Bäuer:innen 17 Prozent ihrer Ackerflächen mit Bäumen und Sträuchern. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten normalisierten sich daraufhin die Niederschläge und der Grundwasserpegel.

Warum blockiert Bayern den Agroforst?

Die Stellungnahmen des Landwirtschaftsministeriums und die Liste seiner Forschungsprojekte sprechen eine deutliche Sprache: In Bayern soll um jeden Preis die Digitale Landwirtschaft durchgesetzt werden. Und der Agroforst wäre ihr Konkurrent, weil er billiger, ökologischer und landschaftlich schöner ist. Und vor allem: Weil er das regionale Klima abkühlt und abgerissene regionale Wasserkreisläufe wieder in Gang setzt. Ist es dann nicht am einfachsten für die Staatsregierung, wenn die Öffentlichkeit diese unliebsame Konkurrenz gar nicht erst zu Gesicht bekommt?

Die Forschungs- und Agrarpolitik der Bayerischen Staatsregierung strebt das vollautomatisierte „Smart Farming“ auf leergeräumten Ackerflächen an. Berufe, in denen Menschen in direktem Kontakt mit der nicht-menschlichen Natur arbeiten und dabei lokales Erfahrungswissen anhäufen, sollen endgültig der Vergangenheit angehören. Bauer und Bäuerin werden nicht mehr gebraucht.

Stattdessen sollen IT-versierte Agraringenieur:innen über Bildschirme, die auch in Peking stehen könnten, Drohnen-Geschwader und Roboter-Kolonnen in Marsch setzen. Zusammen mit ferngesteuerten Agrarmaschinen sollen sie die notwendigen Daten aufnehmen und das menschenfreie „Precision Farming“ in die Regie der Künstlichen Intelligenz stellen.

Die falsche Agrarwende: Digitale Landwirtschaft verschärft die Klimakrise

Neue Klima-Hecken, bewohnt von Vögeln und Niederwild, würden dabei gewaltig stören. Sie könnten die ferngesteuerten Maschinen behindern, deren Sensoren und Algorithmen für jeden Ackerfleck die passende Menge an Glyphosat (oder seinen Nachfolgeprodukten) und Kunstdünger bestimmen. Dadurch spritzen sie insgesamt ein bisschen weniger. Doch am Grundprinzip ändert sich nichts: Krebserregende Ackergifte, Gülle und fossile Mineraldünger dürfen weiterhin die Gesundheit von Menschen, Tieren und Bäumen schädigen. Es bleibt bei der bisherigen Form industrieller Agrikultur, die Boden, Grundwasser, Artenvielfalt und das Klima grundsätzlich und systematisch schädigt und zerstört. Sie wird lediglich auf High-Tech-Niveau gebracht. Dann muss sich niemand, der darin verwickelt ist, weiterhin dem sinnlichen Eindruck des eigenen Zerstörungswerkes aussetzen, weil er oder sie alles im Büro vom Bildschirm aus erledigen kann.

Schon klar: Die Wende zur Digitalen Landwirtschaft soll das Wachstum des Wirtschafts- und Technologie-Standorts Bayern voranbringen. Worüber niemand spricht: “Smart Farming” ist nur mit enormen Server-Kapazitäten und einer flächendeckenden Errichtung von 5G-Funkmasten denkbar. Beständig müssen riesige Datenmengen übertragen werden. Das ist unverantwortlich, denn der globale CO2-Ausstoß durch Computer und Internet ist bereits heute größer als der des weltweiten Flugverkehrs.

Der Wachstumszwang unseres zerstörerischen Wirtschaftssystems bewirkt, dass wir gerade live den Zusammenbruch unserer lebenserhaltenden Ökosysteme erleben. Nur noch 20 Prozent der Bäume in Deutschland sind gesund. Nur noch 3 Prozent der Erdoberfläche kann als ökologisch intakt gelten. Wer die kritische Forschung zur Kenntnis nimmt, weiß: Es gibt kein „grünes Wachstum“. Der digitale Hype erzeugt mehr Probleme als er löst. Aber die Bayerische Landesregierung will nichts davon hören.

Agroforst-System aus Frankreich, in dem sich Maisreihen und Obstbaumstreifen abwechseln
Mais und Obstbäume auf einem Agroforst-Acker in Frankreich. Foto: Shutterstock/ Philippe Montigny

Solar-Äcker statt Klima-Hecken?

Wenn erhitzte Äcker mehr Schatten brauchen, dann soll in Bayern die Agri-Photovoltaik dafür sorgen. In den Stellungnahmen der CSU-Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber gilt sie als vielversprechend und förderungswürdig. Unter etwas höher angebrachten Solarpanelen, die Ökostrom produzieren, sollen gleichzeitig Nutzpflanzen gedeihen, zum Beispiel Beerensträucher.

Dass Agrarkulturen unter Solarpanelen weder die toten Böden, noch die regionalen Wasserkreisläufe, noch die Artenvielfalt wiederherstellen, ist der Konzerne-hätschelnden CSU egal. Die Staatsregierung boykottiert aktiv die Agroforstwirtschaft, die all das leistet: Die CO2-negativ Strom erzeugt, unter trockenen Bedingungen höhere Erträge pro Fläche aufweist als die baumlose Landwirtschaft und die Erde abkühlt.

Zweitens scheint die bayerische Agrarpolitik darauf abzuzielen, die Bevölkerung an eine vollständig technifizierte Landschaft zu gewöhnen – auch außerhalb der Städte. Sie soll aus Windrädern und Solaranlagen bestehen, unter denen in baumlosen Agrarwüsten artifizielles Grünzeug wächst. Es wurde mit Gentechnik gegen Agrargifte, Trockenklima und saure Böden resistent gemacht . Der in Jahrhunderten gewachsenen, einst artenreichen Kulturlandschaft gibt das den Rest. Wenn sie völlig entstellt und leblos ist, wird sich niemand mehr darüber aufregen, wenn sich dort nur noch Agrar-Roboter bewegen. Wenn keine Bäume mehr rauschen und keine Vögel mehr singen. Wenn eine tödliche Stille herrscht, unterbrochen vom Sirren der Drohnen.

Wir brauchen die Agroforst-Förderung JETZT

Noch ist es nicht soweit. Aber lang hin ist es auch nicht mehr. Noch können wir unseren Bäume umarmenden fränkischen Ministerpräsidenten fragen: Wie wäre es, Bruder Markus, wenn bayerische Bäuer:innen Geld vom Staat bekommen würden, um auf 17 Prozent ihrer Ackerflächen Klima-Hecken zu pflanzen? Wäre es nicht praktisch, Franken durch den Regen, der dann binnen 20 Jahren zurückkehren würde, vor Versteppung und Trinkwassernotstand zu bewahren? Wäre eine artenreiche Agrarlandschaft voller Baumstreifen und Feldgehölze, aus der Vogelschwärme in den Himmel steigen, nicht ein Segen?

Die Klimaforschung hat die Flurbereinigung als Fehlentwicklung erkannt. Wie wäre es, wenn wir Wege eröffnen, sie rückgängig zu machen?

Im entscheidenden Jahrzehnt der planetaren Klimakrise gibt es keinen guten Grund, Bauern und Bäuerinnen, die hier vorangehen wollen, eine Agroforst-Förderrichtlinie vorzuenthalten. Damit könnten sie wenigstens die Mittel abschöpfen, die die EU seit 12 Jahren für Agroforstsysteme zur Verfügung stellt. Das reicht zwar für eine ökologische Agrarwende in Bayern nicht aus. Aber es wäre ein erster, vielleicht entscheidender Schritt in die richtige Richtung.

Agroforst-Streifen mit Forstbäumen, Obstbäumen und Bananenstauden
Ein Agroforst-System mit Forstbäumen, Obstbäumen und Bananenstauden. Foto: Shutterstock/ Henrique Ferrera

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