Benedikt Toth – Gefangen in der Ohnmacht

Das Opfer: Die Münchener Millionärin Charlotte Böhringer. Der angebliche Mörder: Ihr Neffe Benedikt Toth. Wie fühlt sich ein Leben in Haft und ohne Zukunft an?

„Wärm schon mal die Suppe auf, ich bin gleich zurück“ – das sind die banalen letzten Worte in Benedikt Toths Leben. Also, in seinem alten Leben, damals im Mai 2006. In seiner Schwabinger Altbauwohnung, wo er mit seiner Verlobten lebte. Er ist auf dem Weg ins Münchener Polizeipräsidium, wo er eine Aussage zum Tod seiner Tante Charlotte Böhringer machen will. Doch Benedikt Toth wird nie wieder in sein altes Leben zurückkehren.

15 Jahre später. Graue Wolken hängen am niederbayerischen Himmel. Unweit der historischen Altstadt steht die JVA Straubing, ein Hochsicherheitsgefängnis mit über 800 Insassen. Hier sitzen nur die schweren Jungs. Mörder, Räuber, Entführer, Terroristen. Die Haupttorwache mit ihrem bayerischen Barock wirkt seltsam harmlos, geradezu pittoresk. Davor ein gepflegter Garten, sorgfältig beschriftete Pflanzen, Fontänen plätschern. Doch die betongraue Mauer, die sich links und rechts des Eingangs entlangzieht, verrät den Knast. Hinter den spiegelnden Scheiben der Wachtürme verfolgen aufmerksame Blicke das Geschehen vor und hinter der Mauer. Der Besucherbereich liegt unterirdisch. Die Wände sind bunt gestrichen. Grasgrün, leuchtend karminrot, wie auf der Kinderstation im Krankenhaus.

Der Mann, der von zwei Beamten in den Besucherraum geführt wird, ist mittelgroß, schlank. Die dunklen Haare sind kurz geschnitten, an den Schläfen ergraut. Seine Augen auffällig blau. Er trägt eine Trainingsjacke. Die Wärter verlassen das Zimmer, die Tür wird von außen verschlossen. Stille. Sein Händedruck ist fest, er lächelt herzlich. Benedikt Toth, der verurteilte Münchener Parkhausmörder. Der Mann, der auch nach 15 Jahren in Haft noch immer sagt: „Ich bin unschuldig.“ 

Hauottorwache der JVA Straubing mit Garten und Brunnen
Die Haupttorwache der JVA Straubing, Foto: Anna Junker

Zeit ad absurdum

Seit 15 Jahren in Haft sitzen. „Eingekastelt“, wie Benedikt Toth sich ausdrückt. Das bedeutet: Über 7000 Mal aufwachen in einer Zelle. Vier große Schritte nach vorn, zwei zur Seite. Das Fenster über Kopfhöhe. Eine festgeschraubte Pritsche, ein Tisch, ein Stuhl, ein Fernseher. Auf die Minute durchgetakteter, immer gleicher Ablauf. Anstaltskleidung. Alle zwei Monate 20 Minuten Telefonieren mit der Familie. Fünf Stunden Besuchszeit im Monat. Kein Internet.

15 Jahre im Lebens eines Menschen zwischen Anfang 30 und Mitte 40, normalerweise angefüllt mit … na ja: Leben eben. Sich verlieben, einen neuen Job beginnen, Vater werden, umziehen, reisen, Geburtstage feiern. Umarmungen. Sich auf Konzerten von der Musik tragen lassen. Nachts in den Himmel schauen und Sterne zählen. Der Geruch von Pommes und Sonnencreme im Freibad. Vorfreude aufs Wochenende. Auf einen hohen Berg steigen und den Blick ins Tal schweifen lassen.

“Alles, was einen zum Menschen machte, ist eh nicht möglich”

Benedikt Toth

Stattdessen: Um 06:05 Lebendkontrolle. 11:20 Mittagspause. 15:45 Hofgang. 17:30 Einschluss. Sein Job in der Anstaltsbibliothek – für Benedikt Toth „das Nonplusultra“. Einer der wenigen Arbeitsplätze in der Haftanstalt, an dem man eigene Entscheidungen treffen kann, wenn auch in überschaubarem Rahmen.

„Alles, was einen zum Menschen machte, ist eh nicht möglich“, bringt Toth es auf den Punkt. Dazu Perspektivlosigkeit, keine konkrete Aussicht auf Strafaussetzung. Durchaus eine gerechte Strafe für einen manipulativen Lügner und Betrüger, einen kaltblütigen, geldgierigen Mörder, der ein Blutbad anrichtete. Jedoch ein unmenschliches Martyrium für einen unschuldig Verurteilten.

Schild auf dem Gelände der JVA Straubing, Foto: Anna Junker

Einer der umstrittensten Mordprozesse der letzten 50 Jahre

Das Verbrechen damals im Mai 2006 war spektakulär, so wie alles in diesem Fall. Ein brutaler Mord mit 24 Schlägen auf den Kopf des Opfers. Drei Tage später präsentiert die Mordkommission Benedikt Toth als Täter. Nach einem Jahr beginnt der Mammutprozess mit 93 Verhandlungstagen. Der Angeklagte beteuert seine Unschuld, prangert Verhörmethoden und den aus seiner Sicht ungerechten Prozess an, begibt sich in einen wochenlangen Hungerstreik, um auf seine Lage aufmerksam zu machen.

Tumultartige Szenen im Saal, als der Richter das Urteil spricht: Lebenslange Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Full House, wie es im Gefängnisjargon heißt. Toths Anwalt Peter Witting schleudert während der Urteilsverkündung wütend seine Robe auf den Boden und verlässt den Gerichtssaal. Familie und Freunde machen ihrem Entsetzen lautstark Luft. Götter in Weiß kennt man. Götter in schwarzen Roben haben gerade ein Leben zerstört. So sieht es zumindest Benedikt Toth.

Ein Prozess, so spektakulär wie umstritten. Denn Beweise gibt es nicht für Toths Schuld. Dafür einen Ring aus 14 Indizien, wie unter anderem ein angeblich vorhandenes Motiv. Oder die Tatsache, dass Toth die Gewohnheiten des Opfers kannte und für die Tatzeit kein Alibi hatte. Jedes Indiz allein für sich gesehen reiche zwar als Beweis nicht aus, räumten die Richter ein. Doch „in ihrer Gesamtschau“ überzeugten sie das Gericht davon, dass Benedikt Toth seine Tante aus Habgier ermordete.

„Die addieren Null 14 Mal und meinen, dass da plötzlich eine eins rauskommt“, lautet dagegen Toths Interpretation. Doch drei Richter und zwei Schöffinnen fällen einstimmig das Urteil, belegt mit einer der härtesten Strafen im deutschen Rechtssystem. „In dubio pro reo“ zählt in dem Moment nicht. Denn das Gericht hat keinen Zweifel an Toths Schuld.

Andere hingegen schon. „Das Urteil ist ein Phantasieprodukt. Man kann kaum glauben, dass das von Juristen geschrieben ist“, äußert sich der mittlerweile verstorbene Vorsitzende Richter am Bayerischen Oberlandesgericht und Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes Ermin Briessmann in Thomas Darnstädts Buch „Der Richter und sein Opfer: Wenn die Justiz sich irrt.“ (2013).

Und die Welt dreht sich weiter

Immer wieder wird deutlich, was Benedikt Toth in diesen 15 Jahren alles verpasst hat. Was alles in der Welt passiert ist, seitdem Bence, wie ihn seine Vertrauten nennen, sich zum letzten Mal im Auto mit seiner damaligen Verlobten wegen des Queen-Albums im CD-Wechsler gekabbelt hat: 

Als er verhaftet wurde, kurz vor Beginn des „Sommermärchens“, der Fußball-WM 2006, war Angela Merkel gerade ein paar Monate im Amt. 2006 – das war das Jahr von Vogelgrippe und Problembär Bruno. Natascha Kampusch tauchte wieder auf, Gnarls Barkley trieben alle mit ihrem Hit „Crazy“ in den Wahnsinn und im Kino lief „James Bond 007 – Casino Royale“. Damals gab es noch kein Instagram, kein Netflix, kein WhatsApp. Keine Alexa und keine Siri. Keine E-Autos, kein Tinder und so gut wie keine Smartphones.

Seine drei Nichten wurden in diesen 15 Jahren geboren. Beide Großeltern starben.

„Die Welt da draußen“ ist nur noch ein abstrakter Begriff für Benedikt Toth. Der Fernseher ist ein Fenster zu einer Welt, die für ihn nicht mehr existiert. Und ihm doch immer wieder vor Augen führt, was er verloren hat. Unter anderem deshalb reduziert er den TV-Konsum auf ein Minimum. 

“Ich war kurz davor aufzugeben”

Benedikt Toth

Das Scheitern des ersten Wiederaufnahmeantrags, die Trennung von seiner Verlobten – für Benedikt Toth einige der dunkelsten Momente seit seiner Inhaftierung. 11 Jahre waren sie vor seiner Verhaftung ein Paar. Im achten Jahr seiner Inhaftierung zerbrach die Beziehung. „Ich hatte schon Phasen, wo diese Verzweiflung oder diese Hilflosigkeit tatsächlich überhand genommen haben. Und ich war kurz davor, aufzugeben.“

Im Gegensatz zu vielen seiner Mitinsassen hat Toth noch Leute draußen, die ihn nicht vergessen haben und für ihn da sind. Seine Familie, alte Freunde. Wenn er von ihnen spricht, merkt man ihm an, wie wichtig diese Unterstützung für ihn ist. Regelmäßig besuchen sie ihn in der JVA. Zu sehen, wie die Freunde mehr oder weniger ihren normalen Alltag weiterleben, schmerzt ihn nicht. „Ich freue mich uneingeschränkt, wenn ich durch ihre Geschichten teilhaben kann. Nur weil mein Leben zwischen zwei Buchdeckeln stattfindet, heißt das ja nicht, dass die anderen auch aufhören müssen zu leben.“

Die Gefängnismauer der JVA Straubing, Foto: Anna Junker

Die sophoklesche Rollenverteilung

Die reiche, exzentrische Tante. Der verlogene, am Leben gescheiterte Lieblingsneffe, der aus Geldgier zum Mörder wird. Figuren wie aus einer griechischen Tragödie. 

Auf der anderen Seite Akteure wie Josef Wilfling, damals Leiter der Münchener Mordkommission, heute pensioniert und Bestsellerautor. Der SPIEGEL nennt ihn „Bayerns Colombo“, die BILD  den „Mörder-Jäger Nummer Eins“. Ein Star-Ermittler mit glänzender Aufklärungsquote, der in medienwirksamen Fällen wie den Morden an Walter Sedlmayr oder Rudolf Mooshammer ermittelte. Ein Hardliner, der in anderen Kriminalfällen auch nach erwiesener Unschuld eines Angeklagten noch an dessen Schuld glaubt. Und der über Benedikt Toth sagt: „Ich bin absolut sicher, dass der richtige Täter verurteilt wurde.“

Außerdem Richter Manfred Götzl, der später den Vorsitz im NSU-Prozess haben wird und teils „brilliant“ genannt wird. Aber auch als „harter Hund“ bekannt ist, wie die Augsburger Allgemeine titelt.

Auf der Bühne: Ein Indizienprozess, der so heißt, weil handfeste Beweise fehlen. Die Wahrheit wird zur Ansichtssache. Confirmation bias. Eine Hypothese wird unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt durch die Auswahl und Interpretation der Indizien bestätigt. Widersprüchliches im Zweifel auch mal ausgeblendet. Oder wie der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817 – 1862) schrieb: „Die Frage ist nicht, worauf Du schaust, sondern was Du siehst“.

Manchmal enden solche Indizienprozesse nach endlosen Wiederaufnahmeverfahren mit einem Freispruch: Amanda Knox, Harry Wörz, Jörg Kachelmann. Doch davon kann Benedikt Toth momentan nur träumen. 

Ein Apfel der Hoffnung

In der trüben Routine des Gefängnisalltags gibt es kleine Lichtblicke, die Benedikt Toth Halt geben. Seine drei Zeitungs-Abos: Die FAZ, die linksangehauchte konkret und Sinn & Form, eine Literaturzeitschrift. Oder wenn er als „Freizeitkursteilnehmer“ die Möglichkeit hat, Saxophon oder Klarinette zu spielen, Jazz, Folk, Klezmer. Oder wenn ein Mitgefangener ihm seinen letzten Apfel schenkt, das bedeutet etwas. Denn Freundschaften sind selten. „Es handelt sich hier um eine Zwangsgemeinschaft.“ Aus Rudelbildungen hält sich der Einzelgänger raus. Er möchte weder ein Hells Angel sein, noch ein Bandido. Möchte sich weder mit den russischen, noch mit den tschetschenischen Gangs verbrüdern. Menschen, die nur reden weil sie die Stille nicht ertragen, meidet er. Immerhin, zwei Mitgefangene hat er gefunden, von denen er sagt, der Kontakt würde möglicherweise auch außerhalb der Gefängnismauern bestehen.

“Das Gefängnis ist eine Art Gefühlsverstärker”

Benedikt Toth

Die meiste Zeit widmet sich der überwiegende Teil der Inhaftierten sowieso der Sedierung, um die schmerzhafte Realität nicht ertragen zu müssen. Sei es mit durchgehendem TV-Konsum, maßlosem Essen oder der Betäubung mit Psychopharmaka. Abstumpfen, um nicht fühlen zu müssen. „Das Gefängnis ist eine Art Gefühlsverstärker“, sagt Benedikt Toth. „In jegliche Richtung. Wenn ich sonst etwas nicht gemocht habe, verachte ich es jetzt. Wenn ich zu etwas positive Gefühle hatte, dann liebe ich es. Und vorherige Indifferenz ist jetzt ‚voll wurscht‘.“ 

Schild am Eingang zur Haupttorwache, Foto: Anna Junker

Oberbayerische Basar-Taktiken

Benedikt Toth könnte längst wieder frei sein. Und wieder Teil seines gemütlichen, bürgerlichen Lebens, das er früher führte. Mit großem Freundeskreis, Motorradtouren ins Fünfseenland und Feierabendbier im Pacific Times. „Es ist mir [während des Prozesses] ausgerichtet worden, dass sich die Staatsanwaltschaft bei einem Geständnis anfreunden könnte mit ‚Affekt‘, so das konkrete Angebot.“

Eine Affekttat statt Mord – der Strafrahmen bei einem solchen ‚Totschlag in minder schwerem Fall‘ wie es im Juristendeutsch heißt, liegt bei einem bis 10 Jahren. Gute Führung vorausgesetzt könnte Toth also möglicherweise schon seit mindestens sechs Jahren wieder in Freiheit sein. Doch dafür hätte er eine Tat gestehen müssen, von der sagt, er habe sie nicht begangen.

Benedikt Toth hat den Deal seinerzeit ausgeschlagen. „Ich hatte damals alles, was ich wollte, alles wovon ich geträumt habe. Und ich habe es riskiert, mit dieser Entscheidung alles hinfort zu geben. Jetzt habe ich das alles nicht mehr. Aber ich habe diese Entscheidung nie bereut. Was ist das überhaupt für eine Möglichkeit so mit dem Recht umzugehen?“

Er bleibt dabei: „Ich bin unschuldig“, sagt der 46-Jährige bestimmt. Sein Blick ist eindringlich während er diese Worte ausspricht. Im Gespräch sinkt er mal völlig in sich zusammen, wirkt gebrochen. Dann offenbaren sich wieder Anspannung und Verzweiflung in wütenden Monologen. Seine gespreizten Finger presst er auf den Tisch, als suche er nach Halt. Dann ist er wieder locker, lustig, fast fröhlich.

Gegen den Strom

Im Alltag versucht er es mit Ablenkung. Den Kopf beschäftigen mit Philosophie und Mathematik. Russisch und Japanisch lernen. „Alles, was im Kopf weh tut ist gut.“ In der Anstaltsdruckerei nimmt Benedikt Toth einmal mit Zustimmung des Betriebsleiters Papierabfall mit. Er will sich einen Karteikasten für seine Kanji, die japanischen Schriftzeichen, basteln. Doch bei einer Zellendurchsuchung fällt auf, dass der anstaltseigene Supermarktzulieferer keine solchen Karteikarten im Sortiment hat. Beschlagnahmung, Disziplinarverfahren. „Besitz illegaler Gegenstände“, steht in seiner Akte. 16 solcher Disziplinarverfahren hat er angesammelt.  

“Ich gehe ihnen maximal auf die Nerven”

Benedikt Toth

Irgendwie exemplarisch für Toth. Er mag es nicht, sich zu streiten. Doch er ist ein sperriger Charakter, der auch mal Zähne zeigt: „So, das langt jetzt, die Larmoyanz. Jetzt habe ich wieder genug geheult. Dann ärger ich sie halt. Ich gehe ihnen maximal auf die Nerven.“ Ihnen – den Justizvollzugsbeamten, der Anstaltsleitung. Anstrampeln gegen das System. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Für ihn vielleicht die einzige Möglichkeit, zu spüren, dass er noch am Leben ist. Auch seine Sprache, die Ausdrücke, die er benutzt, wirken eigentümlich: Suada, hallodriesk, insinuiert – Wörter, die irgendwie aus der Zeit gefallen sind. Für Benedikt Toth eines der wenigen Dinge die ihm bleiben, um seine Persönlichkeit auszudrücken.

Wachturm der JVA Straubingin der Benedikt Toth einsitzt, im Vordergrund Bäume
Wachturm der JVA Straubing, Foto: Anna Junker

Ich, der Mörder

Wie fühlt es sich an, das Label „Mörder“ zu tragen? „Grausam“, sagt Benedikt Toth. Vor allem in dieser direkten Verbindung mit seiner Tante. „Wenn ich das im Bezug auf mich höre, zucke ich immernoch zusammen.“  

Der Tod der Tante, eines Familienmitglieds, für das er und sein Bruder Mate wie eigene Kinder waren und das von einem Tag auf den anderen gewaltsam aus dem Leben gerissen wird – für Toth ein unverarbeitetes Trauma. Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse hinsichtlich seiner Verhaftung war kein Raum für Trauer. An Charlotte Böhringers Beerdigung saß er bereits in Haft. 

Charlotte Böhringer – das Opfer in dieser ganzen Geschichte. Eine extreme Frau. Wankelmütig und cholerisch. Einsam. Fürsorglich bis an die Grenze des Übergriffigen. Aber auch großzügig und vertrauenswürdig, voller Energie. Mit einer engen Bindung zu ihren Neffen. Lautstarke Auseinandersetzungen, die nach wenigen Minuten wieder vergessen sind, gehören zum Alltag. „Das ist unser ungarisches Temperament“, erklärt Benedikt Toth.

Leben ohne Zukunft?

Lebenslange Freiheitsstrafe heißt in Deutschland: Auf unbestimmte Zeit. Eines der wenigen Rechtsmittel, das Benedikt Toth noch Hoffnung gibt, nicht als alter Mann hinter Gittern zu sterben, ist die Gefährlichkeitsprognose. Laut Bundesgerichtshof also „die begründete bzw. naheliegende Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Straften, wobei die Frage der Wiederholungsgefahr aufgrund einer umfassenden Gesamtabwägung zu beantworten ist.“ Der Blick in die Glaskugel. Zusammengefasst: Welche Gefahr geht vom Gefangenen Toth noch aus für die Gesellschaft? 

Doch für welchen Benedikt Toth wird so ein Gutachten erstellt? Für den eiskalten Mörder, der seiner Tante auflauerte, sie erschlug und dann mit blutigen Fingern im Testament nachschaute, ob sein Name noch immer drin steht, wie es das Gericht darstellt? Oder für einen harmlosen Zeitgenossen, dessen einziges juristisches Vergehen in seinem Leben bisher darin bestand, dass er nachts nach einer Party betrunken mit dem Fahrrad heimfuhr und erwischt wurde? 

Ob Benedikt Toth wirklich der Mörder seiner Tante ist, weiß nur er selbst. Eindeutige Beweise dafür fehlen. Die Frage, ob er wirklich schuldig ist oder nicht rückt fast schon in den Hintergrund. Sollte die Frage nicht viel eher lauten: Darf in einem Rechtsstaat ein Angeklagter aufgrund einer solchen Indizienlage verurteilt werden?

Zumindest die Richter des Landgerichts München I waren davon überzeugt. Deshalb ist Benedikt Toth an diesem Mittwoch im Mai 2006, als er nur kurz seine Aussage machen wollte, von der Bildfläche verschwunden. Es war der Abschied von seinem Leben, wie er es bisher kannte. Ein Trauma für ihn, seine Eltern, seinen Bruder, seine Freunde. Und der Anfang vom Ende einer großen Liebe.

Mauer der JVA Straubing in der Benedikt Toth einsitzt mit Blumen im Vordergrund
Gefängnismauer der JVA Straubing

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