Generation Fridays for Future: Glücksmomente und Zukunftsangst

Antonia Messerschmitt, die Initiatorin der Fridays for Future München, führt einen Demonstrationszug des Klimastreiks vom 29. November 2019 an
Antonia Messerschmitt, Initiatorin von Fridays for Future München, führt den Klimastreik vom 29. November 2019 an. Foto: Günther Strauß
Antonia Messerschmitt hatte 2018 die Fridays for Future München gegründet und dafür ihr Studium aufgegeben. Was macht sie heute?

Wachsen in 20 Jahren bei uns noch einheimische Bäume? Für Antonia Messerschmitt, 21 Jahre, Forstingenieursstudentin, ist das ein Luxusproblem. „Ich hänge nicht so sehr daran, ob auf tausend Metern Fichten oder Buchen stehen. Ich frage mich: Werde ich einen Planeten haben, auf dem ich leben kann? Auf dem ich atmen, trinken und essen kann?“

Antonia, eine der beiden Initiatorinnen von Fridays for Future München, sitzt mir im Münchner Umweltinstitut gegenüber. Einen Tag die Woche arbeitet sie hier als studentische Hilfskraft. Schlichter grüner Pulli, schwarze Hosen, blaue Augen. Eine Zeitlang war langes Haar, von oben durch eine dicke Wollmütze gebändigt, das Markenzeichen der Fridays-for-Future-Mädchen. Heute sind Antonias kastanienbraune Locken fast unsichtbar am Hinterkopf zusammengesteckt.

Ist sie noch Sprecherin der Münchner Fridays for Future? „Es gibt niemanden, der das Gesicht der Bewegung ist. Aber im Grunde spreche ich immer für Fridays for Future.“

Gewaltige Folgen spontaner Entschlüsse

Was bringt eine Erstsemester dazu, den ersten Münchner Klimastreik auf die Beine zu stellen? Drei günstige Geschicke trafen zusammen: Schon als Kind und Teenie war Antonia im Umweltschutz aktiv. Beim nächtlichen Twittern entdeckte sie Fridays for Future: „Cool, das brauchen wir in München auch!“ In der Mensa traf sie eine Freundin die ihre Meinung teilte.

„Ich habe die erste WhatsApp-Gruppe gegründet. Sie kannte ein paar Leute, die wussten, wie man eine Demo organisiert. Drei Tage später, am 14. Dezember 2018, standen wir zum ersten Münchner Klimastreik auf dem Max-Josephs-Platz.“ Nach der Weihnachtspause beginnen im Januar 2019 die wöchentlichen Streiks.

„Unser Aktivismus war nicht so richtig eine Entscheidung. Wir wussten ja vorher nicht, dass es so groß werden würde. Man macht mal kurz eine Aktion und plötzlich hat man Zulauf.“ Hunderte von Leuten fragen sie an und wollen wissen, wie es weitergeht. „So eine Situation kannten wir nicht, sie hat uns überwältigt. Wir wollten eine Demo machen und dachten: Vielleicht kommen 100 Leute. Und dann standen 1800 vor uns.“

Antonia Messerschmitt, Initiatorin der Fridays for Future München, hält eine Rede auf dem globalen Klimastreik vom 24. Mai 2019
Antonia Messerschmitt, Initiatorin der Fridays for Future München, spricht zu den Demonstranten des globalen Klimastreiks vom 24. Mai 2019. Foto: Christian Willner

Rasante Entwicklungen und mutige Entscheidungen

Von einem Tag auf den anderen bleibt keine Zeit mehr für Vorlesungen. Antonia Messerschmitt arbeitet 50 Stunden die Woche für Fridays for Future. Die Gruppe wächst auf 100 aktive Mitglieder. Davon gehören 30 zur Kerngruppe. Als damals knapp 20-jährige verantwortet Antonia immer größere Demos: Im September und November 2019 ziehen mehrere zehntausend Menschen durch die Münchner Innenstadt. Sie fordern sofortige Klimaschutz-Maßnahmen, damit die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt.

Antonia spricht mit der Polizei, mit der Presse, mit Ordner*innen und vor Demonstrant*innen. Als Delegierte der Ortsgruppe München nimmt sie an überregionalen Treffen teil. Sie baut ein Netzwerk auf. Für Vorlesungen hat sie keine Zeit mehr. Schließlich bricht Antonia ihr Forstwissenschaftsstudium an der TU München ab. Sie beginnt ein freiwilliges ökologisches Jahr am Umweltinstitut. Das lässt sich mit der politischen Arbeit besser vereinbaren.

Im Jahr 2019 brennt der Amazonas und der Zulauf von Fridays für Future wächst exponentiell. An globalen Streiktagen demonstrieren auf allen Kontinenten Millionen Jugendliche und Sympathisant*innen aus älteren Generationen. Im September hält Greta Thunberg ihre historische Rede vor den Delegierten der New Yorker UN-Klima-Konferenz. Sie kämpft dabei mit den Tränen. Während Donald Trump den Saal verlässt, sagt sie bebend vor Zorn: „Wenn Ihr entscheidet, uns im Stich zu lassen, werden wir Euch niemals vergeben.“

Den Erfolg von Fridays for Future feiern

Die Angst vor einer weltweiten katastrophalen Veränderung der Lebensbedingungen ist riesengroß. Auch bei Antonia. Eine berechtigte Zukunftsangst, die auf dem Boden harter Tatsachen steht. Der fieberhafte Aktivismus hilft ihr, damit fertig zu werden. Die Angst wird weggearbeitet. Und mehr noch: Sie findet Gleichgesinnte, Glücksmomente stellen sich ein.

„Ich war Versammlungsleitung am 29. November 2019. Es war der vierte Großstreik. Da hatte ich schon ein bisschen gelernt mit diesen Menschenmassen umzugehen. Es war das erste Mal, dass ich es richtig genießen konnte. Die Abschlusskundgebung endete mit einem Live-Konzert von Moop Mama. Das ist eine Band, die ich total gern mag. Der ganze Stress war weg. Der Moment war da, den Erfolg der Bewegung einfach mal zu feiern.“

Dann kommt Corona. Dann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Bundesregierung ist jetzt verpflichtet, die Freiheitsrechte künftiger Generationen durch Klimaschutz zu sichern. Dann kommt nach drei Dürre-Sommern ein Flutkatastrophen-Sommer. Eine neue Bundesregierung wird Deutschland regieren.

Wie geht es Antonias Ängsten jetzt?

Antonia Messerschmitt: Das entscheidende Jahrzehnt ist jetzt

„Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist unglaublich stark. Es ist ein Meilenstein. Doch bei Katastrophen wie dem Hochwasser merke ich: Es ist alles viel schlimmer als man es sich vorstellen kann. Dabei sind das nur die Vorbeben.“

Die Bundestagswahl war für sie mehr als eine Jahrhundertwahl: „Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend dafür, wie es mit der Erde weitergeht. Wenn die neue Bundesregierung abtritt, ist schon die Hälfte dieser zehn Jahre vorbei. Danach kann man nicht mehr viel retten.”

“Darum ist die neue Bundesregierung für meine, aber auch für die Generationen der kommenden Jahrhunderte wichtig.” Antonia sieht der neuen Regierung mit Bangen entgegen: „Keine einzige Partei hat ein Programm präsentiert, mit dem man das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen könnte. Aber ich will nicht aufhören zu kämpfen. Ich habe keine andere Wahl.“

Mit Wissen und Ausdauer gegen die Zukunftsangst

Hat Antonia Messerschmitt schon einmal an Auswandern in nördlichere Gefilde gedacht? Einfach so als Träumerei: Ja. Weil sie Kälte gut verträgt, Hitze jedoch schlecht. Aber nicht ernsthaft. „Es gibt keinen Ort auf diesem Planeten, wo wir uns vor krassen Klimaveränderungen verstecken könnten. Zum anderen bin ich aktuell sehr glücklich hier.“

Seit Beginn der Pandemie trifft sich Antonia seltener mit ihren Mitstreiter*innen. Und lange nur in kleinen Gruppen. Sie musste eine neue Strategie gegen die Angst entwickeln. „Was sich für mich verändert hat: Am Anfang war es ein Sprint. Weil wir immer dachten: Der nächste Freitag ist der letzte Freitag. Inzwischen habe ich verstanden: Der Aktivismus, wie ich ihn betreibe und betreiben will, wird ein Marathon. Weil die Probleme sich leider nicht so schnell lösen. Einen Marathon muss man anders laufen. Sonst ist man irgendwann fertig.“

Antonia Messerschmitt, Initiatorin der Fridays for Future München und Studentin des Forstingenieurswesens, begutachtet im Wald einen abgestorbenen Baum. im Wald
Für ihr Studium Forstingenieurswesen begutachtet Antonia einen abgestorbenen Baum, den sie gleich fällen wird. Foto: A. Messerschmitt
Antonia Messerschmitt zerteilt mit der Kettensäge einen Baum
Im Studium lernt Antonia auch den Umgang mit der Kettensäge. Foto: Peter Männer

„Ich arbeite noch immer viel für Fridays for Future,“ betont Antonia. „Außerdem arbeite ich für eine Umweltschutz-Organisation. Das hilft.“ Statt Forstwissenschaften an der TU München studiert sie jetzt Forstingenieurswesen an der FH Weihenstephan-Triesdorf. Das Anwendungsbezogene liegt ihr mehr als der Vorrang der Forschung: „Ich lerne viel schneller noch viel mehr über den Wald. Letzte Woche habe ich zum Beispiel einen Kettensägen-Lehrgang gemacht. Er berechtigt mich, beruflich Baumfällungen durchzuführen. Auch das gehört zu einer verantwortungsbewussten Waldbewirtschaftung. Ich möchte verstehen, worüber ich rede.“

Wie leben, wenn die Welt aus den Fugen gerät?

Besonders die Biodiversitätskrise will Antonia verstärkt ins Gespräch bringen. Immer mehr Tiere und Pflanzen sterben aus, der Iltis genauso wie die Heidelbeer-Weide. „Dem wird zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Obwohl das Artensterben unser Leben genauso bedroht wie die Klimakrise.“

Antonia Messerschmitt steht im Bergsteigerdress über schneebedeckten Alpengipfeln
“Einmal den Kopf von allem frei bekommen”: Antonia beim Bergsteigen. Foto: A. Messerschmitt

Antonia liebt das große Draußen. Ihre Augen leuchten, wenn sie davon spricht. Vor allem den Wald möchte sie verstehen lernen. Sie geht leidenschaftlich gern Wandern und Bergsteigen. Auch dazu reist sie möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. „Man könnte mir vorwerfen, dass ich das einfach zu meinem Vergnügen unternehme. Aber ich muss Wege finden, meinen Kopf einmal von allem frei zu bekommen.“

Ihren eigenen Lebensstil kann sie verantworten: „Ich lebe in einer kleinen WG und wir heizen eigentlich nicht.“ – Auch nicht im Winter? – „Möglichst nicht. Unser Haus wäre mit Erdgas beheizt. Das ist nicht unbedingt klimafreundlich. Zwei Decken, drei Pullis und eine lange Unterhose den ganzen Tag – das ist in Ordnung.“ Dann lacht sie: „Ich habe es ja schon gesagt: Ich bin recht kältetolerant.“


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