München braucht mehr Lieblingsplätze! Zwischennutzungen sind eine Chance für kreative Freiräume.
Seit einigen Jahren fällt es auf, dass sich in Deutschland immer mehr Menschen zum Feiern und in ihrer Freizeit im Freien aufhalten. Sie treffen sich in Parks, auf öffentlichen Plätzen und in hochfrequentierten Straßen- und Wohnvierteln. Bisher kannte man das nur aus mediterranen Ländern.
In schnell wachsenden Städten wie München birgt das bei einer stetig zunehmenden Stadtbevölkerungszahl viel Potenzial für Konflikte. Der Bedarf an Konfliktmanagement wird immer größer. Zu sehr steht das Freiheitsgefühl beim urbanen Feiern im Widerspruch zu den Wünschen und Bedürfnissen der Anwohner nach Sicherheit, Wohnqualität und nächtlicher Ruhe.
Partyparadies zum Feiern mitten in München
Der Gärtnerplatz ist unbestritten einer der schönsten Plätze Münchens. Angelegt in einem Rondell mit bunten Blumenbeeten, Rasenflächen, Bänken zum Verweilen und einem Brunnen in der Mitte. Der Stufenbau des Gärtnerplatztheaters, die zahlreichen Cafés, Bars und Restaurants verleihen dem Platz, besonders in den Sommermonaten, eine mediterrane Atmosphäre.
In den sternförmig angelegten Straßen finden sich kleine, individuell gestaltete Mode- und Einrichtungsläden, Buchhandlungen und Galerien. Die Isar und der Viktualienmarkt sind nur einen Katzensprung entfernt. Man fühlt sich hier wie an einem schönen Urlaubsort in Italien oder Spanien. Ich selbst habe vor einigen Jahren in der Reichenbachstraße gewohnt und weiß, was dieser Platz und dieses Viertel zu bieten haben.
„In warmen Sommermonaten kommen hier bis zu 1500 Menschen pro Abend zusammen“
Kein Wunder, dass gerade der Gärtnerplatz zu einem besonders beliebten Szene-Treff geworden ist. In den warmen Sommermonaten kommen hier bis zu 1500 Menschen pro Abend zusammen, die gerne Freunde treffen, feiern und trinken.
Dass sich der Gärtnerplatz für die Feiernden zum Partyparadies entwickelt hat, ist für den Großteil der Anwohner des Viertels an diesen Abenden zum Albtraum geworden. Lärm, Müll, zerbrochene Flaschen, vollgekotzte und vollurinierte Straßen und Hauseingänge machen das Leben besonders an den Wochenenden unerträglich.
Es kostet schon Überwindung, nach der Vorstellung im Theater durch die feiernde Menge zur U-Bahn zu gehen und dabei über Erbrochenes und kaputte Flaschen zu steigen, sagt meine Freundin Sharzhad, Mitarbeiterin des Gärtnerplatztheaters. Die Feiernden sind nicht aggressiv, aber die Treppen des Theaters liegen voller Kippen, Flaschen und Müll. Das wird immer schlimmer und ist natürlich nicht schön.
„Ein Treffpunkt für alle, arm oder reich“
Nina, Anwohnerin der Corneliusstraße, geht an solchen Abenden nicht mehr allein über den Platz. Er ist ihr zu voll, zu laut, zu unangenehm. Mal gemütlich draußen in einer der Bars oder Cafés einen Wein zu trinken und den schönen Platz zu genießen, geht für sie schon lange nicht mehr. Für sie ist er mittlerweile zu einer „No-go-Area“ geworden. „Es wird auch viel geschrien, ich verstehe gar nicht, warum die Leute so viel schreien müssen, das nervt echt“, ärgert sich Nina.
Neben dem Gärtnerplatz gibt es natürlich auch noch andere sehr beliebte Orte, wo man sich trifft und feiert. Der Wedekindplatz hinter der Münchner Freiheit hat sich seit Corona zu einem zweiten Gärtnerplatz entwickelt. Am Abend gibt es kaum ein Durchkommen und am Ende bleibt alles voller Müll. Die Müllerstraße im Glockenbachviertel, die Gerner Brücke oder den Platz der Menschenrechte in Riem zählen Insider ebenfalls zu den Münchner Lieblingsorten.
Max, 24 Jahre alt, hält sich immer wieder gerne an einem der Plätze auf. Er sagt: „Die Stimmung, vor allem am Gärtner- oder Wedekindplatz, ist sehr besonders, ein Treffpunkt für alle, egal ob arm oder reich. Aber manchmal ist es echt zu heftig, fast wie am Ballermann. Dass sich die Anwohner aufregen, ist klar.“
Konflikte gemeinsam im Dialog lösen
Es gibt zwei unterschiedliche Möglichkeiten, auf solche Konflikte zu reagieren. Zum einen durch harte Maßnahmen wie Verbote, verstärkte Kontrollen, Räumungen, Sperrungen und Alkoholverbot. Diese führen zwar zu einer schnellen Lösung, verschlechtern aber die Qualität des Standorts.
Das Problem: Aufgrund des Fehlverhaltens Einzelner werden dabei alle bestraft, was neue Konflikte entstehen lässt, schlechte Stimmung erzeugt und keine dauerhafte Lösung schafft. Langfristig verdrängt das harte Durchgreifen die Probleme vom Gärtnerplatz lediglich in andere Gebiete der Stadt.
Die Alternative sind dialogorientierte Maßnahmen wie Prävention oder Mediation und Konfliktmoderation durch Konfliktmanagern*innen zwischen Anwohnern und Feiernden. Diese Maßnahmen sind nicht von schnellem Erfolg gekrönt und kosten die öffentliche Verwaltung zusätzlich Geld. Sie bieten aber die Chance, eine nachhaltige und langfristige Lösung für alle Beteiligten zu finden. Mit der Perspektive für die Zukunft: Eine Stadt wie München soll lebendig bleiben und für jede gesellschaftliche Gruppierung Raum bieten.
In Großstädten wie Amsterdam, New York oder London gibt es seit einigen Jahren den Nachtbürgermeister. Er vermittelt zwischen Clubs, Bars und deren Besuchern auf der einen Seite sowie den Anwohnern und der Politik auf der anderen. Er sammelt Anliegen und Beschwerden und trägt seine Verbesserungsvorschläge der Stadt vor.
AKIM sorgt für gutes Miteinander
In München gibt es zwar keinen Nachtbürgermeister, aber das allparteiliche Konfliktmanagement AKIM, eine Stelle, die im Sozialreferat der Landeshauptstadt München angesiedelt ist. Ihr Ziel ist es, dass öffentlicher Raum von allen Menschen genutzt und genossen werden kann. So soll ein gutes Mit- und Nebeneinander in einer eng bebauten Großstadt wie München gelingen.
Die Konfliktmanager*innen von AKIM sind Ansprechpartner*innen für Anwohner*innen und Feiernde im gesamten Stadtgebiet. Die Lebensqualität von Anwohner*innen soll verbessert werden, aber auch der öffentliche Raum für alle Nutzer*innen erhalten bleiben.
In Zweierteams und an den roten Westen erkennbar, sind die Konfliktmanager*innen und Honorarkräfte von AKIM auch am Gärtnerplatz unterwegs. Dort versuchen sie auf Augenhöhe mit den Feiernden zu reden und sie auf die Belange der Anwohner aufmerksam zu machen. „Um uns ein Bild zu machen und die Gruppen einschätzen zu können, sind wir an diesen Abenden schon vorzeitig am Platz“, erzählt Franziska Liegl, Konfliktmanagerin von AKIM.
„So können wir mit den Leuten noch im nüchternen Zustand ins Gespräch kommen und versuchen, Reibereien bereits im Vorfeld im Keim zu ersticken. Sie sind zwar oft auch verständnisvoll, wenn sie angetrunken sind, vergessen aber leider nach zwei Minuten wieder, dass sie leiser sein sollen. Dann muss man halt zwei bis drei Mal hin und sie daran erinnern.“
Dadurch erzielen wir immer wieder kleine Erfolge. Letztendlich können wir das Grundproblem nicht lösen, sondern nur die Lärmspitzen kappen und versuchen schlimmere Konflikte zu vermeiden, berichtet Dr. Eva Jüsten, Leiterin von AKIM.
Balance zwischen Wohnen und Feiern
Zur Ergänzung von AKIM wurde die Fachstelle „Nächtliches Feiern“ gegründet und im September 2019 vom Stadtrat bewilligt. Die Stelle ist bei AKIM im Sozialreferat angesiedelt und aus einem Strategieprozess der letzten Jahre entstanden. Die Stelle heißt MoNa „Moderation der Nacht“ und wird ab Juni 2021 ihre Arbeit aufnehmen.
„Zu einer lebendigen Großstadt gehört – für junge Leute – ein attraktives Nachtleben.“
MoNa soll die Interessen des Münchner Nachtlebens und seine Probleme vor dem Münchner Stadtrat repräsentieren. Eine Aufgabe, die in anderen Städten der Nachtbürgermeister übernimmt. Hierzu soll sie einen „runden Tisch Nachtleben“ leiten und koordinieren. Dort entstehen innovative Ideen, die die Bedürfnisse aller berücksichtigen.
„Ein längst überfälliger Schritt“, wie Dr. Florian Roth von der Grünen-Stadtratsfraktion am 24.09.2019 in einer Pressemitteilung urteilte. „Zu einer lebendigen Großstadt gehört – gerade auch als Angebot für junge Leute – ein attraktives Nachtleben.“ Die Grünen hatten bereits 2018 in einem Antrag einen Nachtbürgermeister mit ähnlichen Aufgaben gefordert.
Das gibt Hoffnung: Eines ist klar, das Münchner Nachtleben ist nicht wegzudenken und es gehört nun einmal zu einer Großstadt. Es sollte in der Stadtplanung verankert sein, damit schon im Vorfeld Lärmbelästigung vermieden werden kann. Es ist den Verantwortlichen der Landeshauptstadt wichtig, ein Gleichgewicht zwischen Wohnen und Vergnügen zu schaffen. Innenstädte sollen nicht zu entvölkerten Partyarealen werden.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 11. Juli 2020 forderte Dr. Eva Jüsten: „Wir brauchen mehr Räume, auch Räume, die konsumfrei sind“. Welche Orte dafür infrage kämen, um andere Plätze zu entlasten, das ist Sache der Bezirke. Da möchte sie nicht vorgreifen. In der Praxis würde es Jüsten schon reichen, die Plätze ansprechend zu gestalten, um Publikum anzulocken: „Die jungen Menschen eignen sich den Platz an, wenn sie den als cool empfinden“.
Sugar Mountain – Freizeit und Kunst für alle
Was könnten das für Orte sein? Wo können Menschen unbeschwert sein und feiern, ohne andere zu stören? Das Programm „Sommer in der Stadt“ soll, trotz Corona, auch in diesem Jahr wieder stattfinden.
Im letzten Jahr wurde es kurzfristig aus dem Boden gestampft. Es war erfolgreich und hat gezeigt, dass Kunst und Kultur mit guten Hygienekonzepten auch in Zeiten von Corona möglich sind. In diesem Jahr soll das gesamte Potential für dieses Projekt ausgeschöpft werden.
Ein weiterer Lichtblick könnte das alte Betonwerk in Obersendling sein. Dort soll ab Mitte Mai auf 7500 Quadratmetern mit Sugar Mountain ein Freizeit- und Kunstareal entstehen. Das Projekt ist als Zwischennutzung für mindestens zwei Jahre angelegt. Party soll dabei nicht im Mittelpunkt stehen, sondern für jeden sollte etwas dabei sein: Freizeit und Kultur für alle.
Hier entsteht im Idealfall ein „Happening Place“, als Experimentierfeld oder auch „wie eine moderne Kunst-Factory“. So wünschten es sich die drei Betreiber des Projekts Michi Kern, Lissie Kieser und Gregor Wöltje im Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 6. März 2021.
Wie schafft man ein gutes Miteinander im öffentlichen Raum? Die Landeshauptstadt München braucht Freiräume und Lieblingsplätze in der Stadt für alle Bürgerinnen und Bürger, jung und alt.
Mit Sugar Mountain als Erlebnisort könnte der Spagat zwischen Freiheitsgefühl beim urbanen Feiern und den Wünschen und Bedürfnissen der Anwohner nach Sicherheit, Wohnqualität und nächtlicher Ruhe gelingen. Und vielleicht gibt es dann bald viele neue Lieblingsplätze in der Stadt?
Interview zum Thema Konfliktmanagement in München mit Frau Dr. Eva Jüsten
Mit Mut und Herzblut durch die Krise – eine interessante Reportage über Münchner Gründungen während der Pandemie