Wo viele Menschen auf engem Raum leben, entstehen häufig Konflikte. Besonders in schnell wachsenden Städten wie München wird daher Konfliktmanagement immer wichtiger.
Dazu spreche ich heute mit Frau Dr. Eva Jüsten, Juristin, Mediatorin und Leiterin der Stelle AKIM (Allparteiliches Konfliktmanagement in München). Das ist eine Stelle, die im Sozialreferat der Landeshauptstadt München angesiedelt ist. Ich begrüße Frau Dr. Eva Jüsten. Schön, dass Sie sich Zeit genommen haben.
Frau Jüsten, wie ist AKIM entstanden?
AKIM ist aus einer Stelle entstanden, die sich ebenfalls bei mir im Sozialreferat befindet. Sie nennt sich SteG, Stelle für Gemeinwesenmediation. Diese mediierte ursprünglich im Bereich Nachbarschaft und Konfliktmanagement im öffentlichen Raum. Mit der Zeit stellten wir fest, dass im öffentlichen Raum noch etwas anderes als klassische Mediation gebraucht wird. Die Lösung war, Menschen einzusetzen, die versuchen, bestimmte Konflikte direkt vor Ort zu managen. So kam es zu AKIM.
Gab es für AKIM eine Vorlage oder wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Vorlage für diese Idee war sam (sozial, sicher, aktiv, mobil), ein Erfolgsprojekt aus Wien, das dort seit vielen Jahren umgesetzt wird. Als Team entwickelten wir anhand dieser Vorlage das Konzept für München und stellten dafür einen Antrag beim Stadtrat. Wir bekamen die Zusage und den Zuschlag und konnten vor sieben Jahren mit AKIM starten. Unser Team besteht mittlerweile aus fünf Konfliktmanager*innen, sehr vielen Honorarkräften, die wir zu zweit leiten.
Sie leiten AKIM. Was ist ihre Aufgabe?
Unsere Aufgabe, also die Aufgabe meiner Kollegin und mir, ist es, die zahlreichen Fall-Anfragen, die wir erhalten, zu analysieren. Wir prüfen, ob der Fall für AKIM geeignet ist oder ob er besser bei den Streetworkern, der Polizei oder dem Kreisverwaltungsreferat angesiedelt werden sollte. Wenn wir der Meinung sind, dass der Fall für uns geeignet ist, geben wir ihn im Team an unsere Konfliktmanager*innen weiter. Sie besprechen, wer sich vor Ort einen Einblick in die Situation verschafft und Anwohner*innen und Beteiligte befragt. Daraufhin entsteht eine Konfliktanalyse und wir überlegen, was man in diesem speziellen Fall anbieten kann.
Um welche Beschwerden oder Fallanfragen handelt es sich?
Es gibt zum Beispiel Beschwerden wegen Stammstehern, Menschen, die an ihren Stammplätzen stehen, Bier trinken und für Irritationen sorgen. Es geht um Obdachlose und Wohnungsflüchter*innen, die sich an bestimmten Orten im öffentlichen Raum aufhalten. Oder auch Konflikte in Grünanlagen beziehungsweise an öffentlichen Plätzen mit Jugendlichen oder Hundebesitzern sind nicht selten. Ein weiterer sehr großer Komplex sind Feierkonflikte an unterschiedlichen Münchner Plätzen, die wir immer wieder gemeldet bekommen.
Der Gärtnerplatz ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein beliebter Ort zum Feiern. Dort kommt es häufig zu Konflikten. Gibt es weitere Plätze, die hoch frequentiert sind?
Sehr beliebt sind der Wedekindplatz an der Münchner Freiheit, der Josephsplatz, die Gerner Brücke in Nymphenburg oder in Riem der Platz der Menschenrechte. Problematisch ist auch der „Hot Spot“ rund um die Müllerstraße. Dort kommt es sehr häufig zu Konflikten.
Wie sieht ein Einsatz von AKIM an einem Abend zum Beispiel am Gärtnerplatz konkret aus? Wer ist dabei vor Ort?
Zu Beginn von AKIM waren unsere fünf Konfliktmanager*innen mit Honorarkräften bei den Einsätzen vor Ort. Nachdem immer mehr Fallanfragen an uns gestellt wurden und unsere Konfliktmanager*innen zusätzliche koordinierende Aufgaben übernehmen mussten, war das nicht mehr zu bewältigen. Deshalb gibt es seit einigen Jahren einen Pool aus Honorarkräften, die wir selbst aussuchen und entsprechend ausbilden. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen. Dazu gehören Sozialpädagog*innen oder auch ehemalige Türsteher, Menschen, die Spaß an so einem Job haben.
Wir setzen die Honorarkräfte in Zweier-Teams von Anfang Mai bis Ende September in warmen Nächten freitags und samstags sowie vor Feiertagen zwischen 23 Uhr und 4 Uhr morgens vor Ort ein. Zu erkennen sind sie an ihren roten Westen. Wenn an so einem Abend Konflikte entstehen, versuchen sie, kommunikativ und auf Augenhöhe zwischen den Anwohner*innen und den Feiernden zu vermitteln.
Welche Konflikte sind das?
Der Großteil sind Lärmkonflikte. Aber auch der viele Müll, der liegen bleibt, und das wilde Urinieren in Hauseingängen oder Tiefgarageneinfahrten führen zu immer größeren Problemen.
Kommt es auch häufig zu Gewalt?
Gewaltkonflikte haben wir eher selten. Die Menschen, die sich an diesen Plätzen treffen, sind eher entspannt und wollen es sich gut gehen lassen, feiern und sind weniger auf „Krawall“ aus. Aber natürlich gibt es mitunter auch renitente Personen. Vor allem, wenn der Alkoholpegel steigt und die Nacht voranschreitet, kann es schon mal zu Gewalt kommen.
Was tun Sie, wenn es doch zu Gewalt kommt?
Wir haben eine sehr gute Kontaktmöglichkeit zur Polizei. Die Polizei ist immer informiert, wo und wann wir in der Nacht vor Ort sind. Kommt es zu polizeilich relevanten Problemen, rufen wir an und die Polizei ist sehr schnell vor Ort. Aber wie gesagt, das kommt eher selten vor. Vielleicht einmal pro Saison.
Haben Sie die Befugnis, Leute vom Platz zu verweisen, die nicht mit sich reden lassen und weiter stören?
Nein, AKIM hat keine ordungsrechtlichen oder strafrechtlichen Befugnisse. Wir dürfen die Leute nicht vom Platz schicken, wenn sie stören oder ihnen den Ghettoblaster wegnehmen, weil die Musik zu laut ist. Wir arbeiten sehr niederschwellig und versuchen, im Gespräch an die Vernunft der Feiernden zu appellieren. Manchmal müssen wir bis zu drei Mal zu einer Gruppe gehen, die die Musik wieder laut aufgedreht hat. Wir versuchen das Problem im Gespräch zu lösen.
„Es gibt einen öffentlichen Raum und der soll unter allen fair geteilt werden”
Sie haben öfter erwähnt, dass der Gärtnerplatz für Feierkonflikte bekannt ist. Woran liegt das?
Der Gärtnerplatz ist ein Platz, an dem es seit mehr als elf oder zwölf Jahren immer wieder Konflikte gibt. Ich beschäftige mich seit dem Start von SteG, der Stelle, die ich anfangs erwähnt habe, mit dem Gärtnerplatz. Das war auch der erste Feierkonfliktfall, der uns bekannt wurde.
Wir fragen uns natürlich, woran das liegt, dass besonders dieser Platz so konfliktreich ist. Junge Menschen suchen sich ihren Raum, an dem sie sich aufhalten und treffen, selbst. Die Lage ist sehr attraktiv, der Platz strahlt eine wunderschöne mediterrane Atmosphäre aus und dann liegt er in der Nähe der Isar. Jugendliche und junge Erwachsene verbringen dort gerne den Nachmittag oder Abend. Wenn es am Abend kalt und dunkel wird, ziehen sie weiter. Da bietet sich der Gärtnerplatz natürlich an. Man findet dort schöne Bars und Szenelokale oder kauft Getränke und Snacks in den umliegenden Supermärkten oder am Kiosk an der Reichenbachbrücke, der die ganze Nacht geöffnet hat.
Wahrscheinlich liegt es auch an den Reiseführern: Dort wird der Gärtnerplatz als pulsierender Mittelpunkt der Münchner Szene beschrieben. Das lockt zusätzlich viele Touristen an. Uns ist das gar nicht recht, weil er ja eh schon so voll ist. An manchen warmen Sommerabenden sind bis zu 1500 Leute dort, nur damit Sie sich das einmal vorstellen können. Das kann man nicht mehr bewältigen, auch nicht mit Konfliktmanagement. Für die Menschen, die dort leben, ist das schwer zu ertragen.
Gibt es Ideen oder Möglichkeiten, wie man die Ballung beispielsweise am Gärtnerplatz entzerren kann?
Wir suchen immer wieder nach neuen Ideen und Möglichkeiten, wie wir diesen Platz entlasten können. Wir überlegen, wo es weitere Feierorte gibt, die für das Gärtnerplatzpublikum interessant sein könnten. Bisher ist es uns noch nicht gelungen, eine Alternative zu finden. Der Platz hat einfach eine magische Anziehungskraft.
Wir führen seit ein paar Jahren einen Strategieprozess zum Thema „Nächtliches Feiern“ durch. Beteiligte sind die Stadtverwaltung, Vertreter*innen des Bezirksausschusses und Vertreter*innen besonders betroffener Bezirke, sowie die Polizei, Wirte und Clubbetreiber. Ziel ist es, das Münchner Nachtleben attraktiver, verträglicher, kreativer und offener für alle zu gestalten. Dabei geht es um Überlegungen, wohin man hochfrequentierte Feierorte verlagern kann und was es für Möglichkeiten gibt.
Eine Idee war zum Beispiel, einen Bus an den Gärtnerplatz zu stellen, der in regelmäßigen Abständen 30 Personen von dort an andere, nicht so überfüllte Plätze oder in die Fußgängerzone fährt. Es gibt viele Ideen, die man weiterdenken kann und dann in den entsprechenden Gremien abstimmen würde. Entsprechende Plätze müssten erst einmal gefunden werden, attraktiv sein und einige Menschen und eine gewisse Lautstärke vertragen können. Oder dass wir Ampeln aufstellen, die rot werden, wenn es zu laut wird. Deshalb gründen wir eine Fachstelle „Nächtliches Feiern“. Sie wurde bereits vom Stadtrat genehmigt.
„Ab Juni 2021 wird es in München eine Fachstelle „Nächtliches Feiern“ geben.“
Wann wird es diese Stelle geben? Übernimmt die Fachstelle vergleichbare Aufgaben wie in anderen Städten der Nachtbürgermeister?
Die Stelle wurde im September 2019 beschlossen. Ab Juni 2021 wird es in München eine Fachstelle „Nächtliches Feiern“ geben. Sie heißt „MoNa – Moderation der Nacht“. Die Leitung von MoNa wird nicht wie der Nachtbürgermeister von den Bürger*innen gewählt und muss nicht aus der Szene kommen. Sie übernimmt unter anderem aber vergleichbare Aufgaben wie etwa die Repräsentation des Nachtlebens. Sie soll enge Kontakte zu Wirten und Clubbetreibern pflegen, bei Konflikten zwischen Betreibern*innen, Partygästen und Anwohner*innen vermitteln, aber sie wird auch einen „Runden Tisch Nachtleben“ koordinieren und leiten.
Der „Hot Spot“ rund um die Müllerstraße dient dabei als Modellregion. Neue, ungewöhnliche und innovative Ideen, wie man das Lärm- und Müllproblem verringern kann, sollen dort getestet werden. Nach zwei Jahren soll dem Stadtrat dargestellt werden, welche Effekte und Ziele tatsächlich erreicht wurden. Zeigen diese Erfolg, könnte man die Maßnahmen nach Abstimmung mit dem Stadtrat auch auf andere Stadtteile übertragen.
Gibt es Vorschläge oder Ideen, wie man das Problem in Zukunft angehen kann?
Erste Vorschläge sind zum Beispiel Schulungen für Türsteher oder „Silencer“, um den Lärm zu verringern oder die Entwicklung eines Pfandsystems für Cocktails im Bereich Müllerstraße und Gärtnerplatz, um Müll zu vermeiden.
Man könnte auch versuchen die Betreiber der Lokale rund um den Gärtnerplatz für die Öffnung ihrer WCs zu gewinnen, um wildes Urinieren zu verhindern.
Was wünschen Sie sich in Zukunft für den Öffentlichen Raum in München?
Ich wünsche mir, dass eine Nutzung der Feierorte weiter möglich ist, denn junge Menschen brauchen ihren Raum. Sie brauchen einen Raum, der sozialpädagogisch nicht betreut und nicht kommerziell ist, wo man sich einfach nur aufhalten kann. Schön wäre es, wenn es viele solcher Orte in München gäbe, die auf mehrere Stadtviertel verteilt sind, damit einzelne Plätze, wie der Gärtnerplatz nicht so massiv belastet sind. Auch soll es für alle Gruppen, auch Randgruppen wie beispielsweise Stammsteher*innen, einen Platz geben, an dem sie sich aufhalten können. Nach dem Motto „Leben und leben lassen“. Wir von AKIM sagen: Es gibt einen öffentlichen Raum und der soll unter allen fair geteilt werden.
Vielen Dank für Ihre Zeit und das interessante Gespräch!