In Bayern wurden im Krisenjahr 2020 mehr Unternehmen als im Vorjahr gegründet. Trotz einem Rückgang zu Beginn der Pandemie trugen besonders von Frauen gegründete Einzelunternehmen im zweiten Halbjahr zu dieser Entwicklung bei. Drei Gründerinnen berichten über Risiken, Chancen und Krisenerfahrungen.
Es dämmert bereits und Schnee rieselt vom Himmel. Viele Stände auf dem Viktualienmarkt sind schon geschlossen, die Betreiber räumen gerade zusammen und nur ein paar Münchner eilen vorbei, um noch letzte Einkäufe zu erledigen. Vom Marienplatz her erklingt das Glockenspiel, aber sonst ist es auffällig ruhig für einen Freitagabend im Herzen der Stadt.
„Das geht jetzt schon seit Beginn des zweiten Lockdowns so“, erzählt Lea Zapf. „Sobald es dunkel wird, sind alle Leute verschwunden. Das ist manchmal richtig gespenstisch“. Auch bei Leas Stand Marktpatisserie sind schon die Rollläden unten, aber nach Hause gehen kann sie noch lange nicht. Bei unserem Gespräch stempelt sie Kaffeebecher mit ihrem Logo, denn „sonst bin ich vermutlich noch bis neun hier,“ bemerkt sie und lacht dabei.
Zu Beginn war sie jeden Tag von 6 bis 22 Uhr da und das sieben Tage die Woche. Auch jetzt freut sie sich jedes Mal aufs Neue, wenn sie morgens ihr Standl aufschließt. Lea Zapf ist Konditormeisterin und hat sich mit der Eröffnung ihrer Patisserie im letzten Juni einen Traum erfüllt und das mitten in der Corona-Zeit. „Pandemie hin oder her – du hast nie eine Sicherheit, wenn du dich selbständig machst“, meint Lea Zapf.
Erst mit 24 begann sie ihre Ausbildung zur Konditorin und schon ab diesem Zeitpunkt war für sie klar, dass sie sich später selbständig machen würde. Den Zuschlag für das Standl erhielt sie bereits 2019. Die Eröffnung ihrer Patisserie war schon viel früher geplant, doch der Umbau des Marktstandes verzögerte sich. Kurz vor der Fertigstellung kamen der erste Corona-Lockdown und mit ihm weitere Verzögerungen: Die Handwerker waren in Quarantäne und Geräte aus Frankreich konnten nicht geliefert werden. Natürlich sorgte das auch bei Lea Zapf für Verunsicherung, „aber wenn du schon so viel Zeit, Geld und Herzblut reingesteckt hast, gibst du nicht einfach auf“.
Dass Gründer keineswegs kapitulieren, bestätigen die Zahlen des Bayerischen Landesamt für Statistik. Demnach gab es im Krisenjahr 2020 in Bayern bei Unternehmensgründungen einen Zuwachs von plus 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Frauen sorgten vor allem im zweiten Halbjahr mit Neugründungen für einen wesentlichen Anstieg, auffällig viele davon im Bereich der Infektionsprävention, wie dem Nähen von Masken. Frauen holen damit bei Neugründungen auf, liegen aber absolut betrachtet immer noch deutlich hinter den Männern.
Nach drei Monaten Lockdown folgte bei Lea Zapf endlich die Eröffnung. „Eigentlich hatte ich ein Soft-Opening geplant, aber schon nach zwei Wochen war hier die Hölle los“, freut sich die Münchnerin. Kein Wunder, denn bei ihren liebevoll dekorierten Patisserie-Kreationen legt sie großen Wert auf Qualität und achtet sehr auf regionale und saisonale Zutaten – und das schmeckt man auch. Gebacken wird jeden Tag alles frisch, was am Abend übrig ist, verschenkt sie.
Aktuell produziert sie deutlich weniger, denn auch sie bekommt die Folgen des zweiten Lockdowns zu spüren. Zwar ist ihr Betrieb systemrelevant und darf weiterhin geöffnet bleiben, seit der Schließung des Einzelhandels im Dezember kommen jedoch spürbar weniger Leute in die Innenstadt und auf den Markt. Zum Glück hatte die Konditormeisterin ihren Gründungskredit nicht zu knapp kalkuliert, was ihr jetzt zu Gute kommt, da sie einen finanziellen Puffer hat. Denn Corona-Hilfe zu beantragen sei schwierig, wenn man ganz frisch angefangen hat und sich die Hilfen aufs Vorjahr beziehen.
Kreative Energie statt Krisenstimmung
Sonntagabend 17 Uhr in Stuttgart. Johanna Hellmich geht live mit ihrer Shopping-Show auf Instagram. Es gibt Prosecco, die Stimmung ist gut. Johanna und Mitarbeiterin Caro führen hübsche Outfits vor. Dabei geben sie Styling-Tipps und beantworten Kundenfragen aus dem Live-Chat.
Im Hauptberuf betreibt Johanna Hellmich ihre beiden Boutiquen Schmachtfetzen, in denen sie vintage-inspirierte, feminine Mode anbietet. Corona bedingt sind diese aber seit Mitte Dezember geschlossen. Gesendet wird heute aus der neuen Filiale, die sie erst letzten Oktober aufgemacht hat. Geplant war die Eröffnung des zweiten Ladens nicht. Er wurde ihr zufällig angeboten und das Angebot war zu interessant, um es trotz Krise nicht anzunehmen. Doch mit dem zweiten Lockdown kam das böse Erwachen.
„Wenn du nur noch einen Zehner in der Tasche hast und dich fragst, was mache ich damit? Das ist kein schönes Gefühl,“ erzählt Johanna. Der Januar war für sie richtig mies und die finanzielle Not groß. Ihr Mann ist Koch und arbeitet in Teilzeit, um sich mehr um die zwei gemeinsamen Kinder zu kümmern und ihr im Job den Vortritt zu lassen. Dafür ist sie ihm unglaublich dankbar, doch fallen Johannas Einkünfte weg, wird es kritisch.
Anstatt in so einer Situation den Kopf in den Sand zu stecken, hat die Krise bei ihr jede Menge kreative Energien freigesetzt: „Das ist genau der Motor, den ich brauche, um zu überlegen: Wie schaffe ich es, da wieder raus zukommen?“, erklärt sie. So entstand die Idee der Online-Shopping Events, die sie gerettet hat.
Das Konzept aus locker, flockiger Unterhaltung, gepaart mit Schnäppchen-Angeboten, geht auf. Vor allem die kleinen Showeinlagen kommen gut an: Ob zu viert, verkleidet als Boy-Band oder der Gastauftritt einer Burlesque-Tänzerin, die sich elegant mehrerer Lagen Outfits aus dem Laden entledigt, alles ist möglich. Überhaupt zeigt sich Johanna sehr positiv: „Ich denke immer an das was klappen könnte, anstatt an das, was nicht klappen könnte.“
Dass sie den zweiten Laden aufgemacht hat, bereut sie nicht, denn im schlimmsten Fall macht sie ihn einfach wieder zu. Sie hofft aber, langfristig gesehen in fünf Jahren zwei gut laufende Läden in Stuttgart betreiben zu können. Nur die Planung ist aktuell sehr schwierig. Gerade hatte sie Ordertermine für die kommende Wintersaison. Aber was soll sie ordern, wenn sie nicht weiß was im Herbst auf sie zukommt?
Die Unsicherheit hat laut Kfw-Förderbank wohl auch dazu geführt, dass viele für 2020 geplante Unternehmensgründungen vorerst auf Eis gelegt wurden. Zwar wurden im zweiten Halbjahr einige davon nachgeholt und letztlich doch realisiert, aber insgesamt erschweren die Corona-bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens die Kundengewinnung. Die Pandemie hat allerdings auch neue Bedarfe und dadurch neue Geschäftsgelegenheiten geschaffen.
„Der Trend zu mehr innovativen, digitalen und internetbasierten Gründungen ist positiv, denn sie kreieren neue Märkte, treiben den strukturellen Wandel voran und stärken die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft“, so Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW-Bankengruppe. Andere Branchen wie Gastronomie oder Kultur trifft es dagegen besonders hart. Hier ist die Geschäftstätigkeit gebremst oder teilweise ganz zum Erliegen gekommen.
„Es gehört ein bisschen Wahnsinn und Spontaneität dazu“
Auch das Münchner Theater Drehleier ist seit letztem November wieder komplett geschlossen. Trotzdem herrscht heute geschäftiges Treiben im Haus. Alle Tische im Besucherraum sind zur Seite gerückt, vier große Kameras und Monitore aufgebaut, am Boden liegen überall Kabel. Auf der Bühne wird geprobt, am Abend soll das neue Theater Stück „Mayer, Müller, Schulz“ gestreamt werden. Streaming-Shows sind aber die Ausnahme und „die Begeisterung der Leute dafür nimmt, je länger der Lockdown dauert, merklich ab“, bedauert Manuela Hoffmann. „Die Leute wollen endlich wieder Live und in Farbe dabei sein! Die Shows leben von den Zuschauern“.
Trotz der momentan prekären Lage der Kulturbranche, hat Manuela Hoffmann die Drehleier zum 1. Januar diesen Jahres als Geschäftsführerin übernommen. „Mein Herz hängt an dem Theater, es ist so charmant und plüschig. Ich wollte nicht, dass es sang- und klanglos einfach so verschwindet“, erklärt sie ihre Entscheidung. Gründer Werner Winkler hatte nach 44 Jahren beschlossen, sich zur Ruhe zu setzen, was auch das Aus für das Theater bedeutet hätte. Als er sie letztes Jahr fragte, ob sie das Theater übernehmen wolle, musste sie trotz Corona-Krise nicht lange überlegen.
Seit 13 Jahren arbeitet sie schon für die Drehleier, war zuletzt für die künstlerische Leitung und das Büro verantwortlich. „Es gehört vielleicht ein bisschen Wahnsinn und Spontaneität dazu“, sagt Hoffmann, „aber so eine schöne und große Bühne sollte nicht aufgeben und auch für Künstler unbedingt erhalten werden.“ Viele der Stammkünstler sind ihr dafür sehr dankbar und mehrere haben ihr bereits ihre Hilfe angeboten.
Bis vor der Pandemie lief das Theater gut. Aktuell hält sich die Drehleier mit den Spielstättenförderungen, staatlichen Hilfen und vereinzelten Online-Shows über Wasser. „Für die Politiker kommen wir (Kultur) ja sowieso am Ende der Nahrungskette“, klagt Hoffmann. Dabei stört sie nicht nur, dass die Kultur erst als letztes wieder öffnen darf. Problematisch sei vor allem, dass keiner Klartext redet, wann es weitergeht und sie überhaupt nicht planen kann.
Angst, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben hat sie trotzdem nicht. Solange sie ihre Existenz nicht aufs Spiel setzt, wird sie versuchen das Theater am Leben zu halten. Denn irgendwann muss die Kultur, wenn auch mit Einschränkungen, wieder hochgefahren werden. „Am meisten freue ich mich auf die Menschen! Darauf dass endlich wieder Leben in der Bude ist und Gäste mit strahlenden Gesichtern im Theater sitzen!“ schwärmt Manuela Hoffmann mit einem Lächeln im Gesicht. Trotzdem rechnet sie nicht damit, vor nächstem Jahr wieder zum normalen Betrieb zurückkehren zu können.
Mit Langmut und Leidenschaft zum Erfolg
Drei Frauen haben eindrucksvoll bewiesen, dass man trotz Corona-Krise eine Gründung wagen kann. Vieles läuft auch in normalen Zeiten nicht wie geplant. Deswegen sollte man zu hundert Prozent hinter der eigenen Idee stehen und Durchhaltevermögen beweisen, auch wenn es mal nicht so gut läuft. Der Schritt in die Selbständigkeit sollte gut überlegt sein. Doch wer etwas wagt, kann bekanntlich auch gewinnen.
Es ist Samstagmittag und auf dem Viktualienmarkt herrscht reger Betrieb bei strahlend blauem Himmel. Ein Hauch von Frühling liegt in der Luft, Leute trinken gut gelaunt Kaffee in der Sonne. Die Schlange vor Lea Zapfs Marktpatisserie ist lang. Jeder möchte eine ihrer feinen Patisserie-Kreationen ergattern, bevor sie ausverkauft sind. „Die Leute brauchen Zucker und gönnen sich was“, freut sich Lea Zapf und reicht mir ein hübsches Törtchen mit dem Namen Luftikus. Einen Augenblick später stelle auch ich fest, wie süß das Leben doch schmecken kann.
Mehr zum Thema Gründung finden Sie hier im Magazin in den Beiträgen „Das Gegenteil von Angst ist Lust – Zwei Gründerinnen machen Mut zur Selbständigkeit“ und in „Support für Existenzgründer„. Eine weitere Geschichte über neue Perspektiven für München lesen Sie in der Reportage „Vom Gärtnerplatz zum Sugar Mountain.“