Wie mich die Sonderausstellung „energie.wenden“ des Deutschen Museums München zum Politiker werden lässt und ich am Ende trotzdem richtig entscheide.
„Du glaubst an die Wissenschaft: Deine Energiewende rückt immer näher, sobald die Forschung weiter fortgeschritten ist“, steht auf der gelben Lochkarte, die der „Computer“ mir ausgespuckt hat.
57 Minuten zuvor: Ich stehe, besagte Lochkarte in der der Hand, in einem breiten Mittelgang. Es ist ein Dienstagnachmittag, erster Schultag, Traumwetter – der Andrang ist überschaubar. Links und rechts sind jeweils fünf Themenräume. Vor jedem Eingang gibt es einen Bildschirm, auf dem Lobbyisten und Branchenvertreter per Film ihre Standpunkte zum Thema „Energie“ und deren Nutzung vertreten. Da wenig los ist, bekomme ich eine exklusive Einführung: die gesamte rechte Seite des Korridors steht thematisch für die Energieproduzenten, von fossilen Brennstoffen über Atomstrom bis hin zu den erneuerbaren Energien. Auf der linken Seite finde ich die Energieverbraucher und verschiedene Energiespeichermethoden, die Privathaushalte ebenso beinhalten wie Hersteller von E-Autos.
Energiewende als multimediales Rollenspiel
Dieser Hauptkorridor bildet das Zentrum der Ausstellung, ein multimediales Rollenspiel, ab. Dieses „politische Parkett“ beinhaltet neun Themenfelder. Als „Entscheider“ informiere ich mich zunächst über die verschiedenen Aspekte der Energiepolitik, von Photovoltaik über Windkraft bis hin zu Mobilität. Dann soll ich die Interessen der einzelnen Interessensgruppen – vom Lobbyisten bis zum Wähler – gegeneinander abwägen und einen energiepolitischen Kurs festlegen.
Bevor ich einen Raum betrete, „begrüßt“ mich via Bildschirm ein Vertreter des entsprechenden Themenbereichs. Gleich beim ersten Raum ist das eine durch eine Schauspielerin dargestellte Lobbyistin für fossile Brennstoffe. In gespielt zickigem Ton erklärt sie mir die Vorzüge der Energiegewinnung aus Kohle.
Direkt am Eingang zum jeweiligen Raum gibt es interaktive Terminals. Dort stecke ich meine Lochkarte ein, und auf einem Monitor kann ich mich zwischen drei Kernaussagen zum relevanten Spezialgebiet per Knopfdruck entscheiden. In die Rolle eines Politikers geschlüpft, werden mir nun wiederum die Reaktionen dreier archetypischer Wähler präsentiert. Am Ende soll ich mich für die Aussage entscheiden für die ich einstehen möchte, indem ich – Las-Vegas-Profis fühlen sich gleich heimisch – an einem Hebel ziehe. Daraufhin stanzt die Maschine die entsprechende Antwort in meine Karte, die ich nun wieder entgegennehme.
Interaktive Veranschaulichung
Im Raum selbst sehe ich Exponate und Infotafeln, übersichtlich mit Informationen aufbereitet. Ganz wie man es vom Deutschen Museum gewohnt ist, gibt es viel Interaktivität. Knöpfchen drücken hier, Schalter umlegen da: die Thematik wird anschaulich vermittelt. Besonders beeindruckt mich, dass abstrakte Zahlen, wie das Verhältnis Kosten zu Ertrag der verschiedenen Energiegewinnungsarten bei fossilen Brennstoffen, „begreifbar“ gemacht werden.
Doch halt. Habe ich nicht gerade eine Entscheidung getroffen, bevor ich den Raum betreten habe? Ohne mich somit überhaupt mit dem Thema beschäftigt zu haben? So geht das natürlich nicht! Beim Thema Atomenergie nebenan mache ich es besser: Ich höre mir an, was die „Atomphysikerin“ zu sagen hat. Dann gehe ich in den Raum, sehe mich um, lese die Infotafeln. Meine Wählerbefriedungsentscheidung fälle ich erst, nachdem ich wieder voll informiert im Gang stehe. So hat das doch gleich mehr Gewicht: Antwort C, „auf Kernfusion setzen“. Klick, fertig.
Ich entschließe mich, weiter methodisch vorzugehen. Zunächst also die rechte Seite mit den Energieproduzenten abarbeiten, danach möchte ich die linke Seite erleben.
Information statt Erziehungsauftrag
Was mir sofort auffällt ist, dass die Ausstellung nicht versucht, den Besucher zu manipulieren oder zu „erziehen“. Die Mission lautet Aufklärung, die äußerst komplexe Materie plastisch und spielerisch auch und gerade jüngeren Menschen zu vermitteln. Die Ausstellung macht klar: Es gibt keine einfachen Lösungen. Vorteile und Probleme verschiedener Energiegewinnungsformen, Speichertechniken, Wärmedämmung und E-Mobilität werden nachvollziehbar vermittelt.
In jedem Themenraum finde ich Zentral einen sogenannten „Knackpunkt“. Dieser veranschaulicht durch Interaktion die Vorzüge und Nachteile der vorgestellten Thematik. „Handlungen haben immer Konsequenzen“ ist die Botschaft dieser partizipierenden Elemente, egal wie „gut“ man es meint. Im Themenraum „Pflanzliche Rohstoffe“ lädt der Knackpunkt dazu ein, drei Rapsfelder auf je drei von neun unterschiedlichen Flächen anzulegen.
Aber: andere Felder müssen dafür überbaut werden. Je nachdem welches Feld ich wähle, zeigt ein Bildschirm die Folgen auf. Wähle ich ein Feld für Getreide, verliere ich neun Tonnen Brot. Überbaue ich Brachland, geht wertvoller Lebensraum für Tiere und Pflanzen verloren. Ich opfere ein Areal für Schnittblumen und Anbaufläche für Tabak. Baumwolle wird bei mir auch nicht angepflanzt. Das kostet die Allgemeinheit 580kg Kleidung und 2500 kg Zigaretten. Die Binsenweisheit „man kann es nicht jedem recht machen“ wird mir anschaulich vor Augen geführt. Die Energiewende hat definitiv ihren Preis.
Energienutzung ist ein Balanceakt
Auf der „Verbraucherseite“ erfahre ich viel Nützliches über die Probleme, die Lücken in der Energieversorgung für Industrie und Endverbraucher mit sich bringen. Energie speichern und sinnvoll zu nutzen ist ein ebenso komplexes Politikum wie das Erzeugen. Sollen wir Energie längerfristig in Pumpspeicherkraftwerken (Stauseen verändern die Alpenlandschaft) oder Power-to-Gas-Anlagen speichern? Oder doch auf bessere Akkus oder Redox-Flow-Batterien setzen? Oder vielleicht das Problem mit E-Mobilität lösen, indem Energieüberschüsse benutzt werden, um Elektroautos zu laden?
Ein Highlight der Ausstellung finde ich im Raum für Speicher und Netze: das „Energiespiel“. Es ist bei Schulklassen sehr beliebt. Hierbei geht es darum, verschiedene Energielieferanten und Speichermöglichkeiten zu koordinieren. Aus dem gesamten Energie-Mix verfügbarer Strom wird angezeigt. Dieser fluktuiert je nach Kapazität, zum Beispiel durch Schwankungen bei Sonneneinstrahlung oder Windstärke. Die Spieler müssen an separaten Stationen die notwendigen Einstellungen treffen, um den verfügbaren Gesamtstrom weder zu viel noch zu wenig werden zu lassen.
Ein Beispiel: Es geht plötzlich kein Wind mehr, die Gesamtstrommenge sinkt ab. Also müssen die Spieler mehr Energie aus Speichern freigegeben. Entweder aus längerfristigen Speicheranlagen wie Pumpspeicherkraftwerken, oder aus kurzfristigen wie Schwungmassespeichern. Jede Auswahl birgt wiederum Vor-und Nachteile, die angezeigt werden. Die Spieler drehen an den entsprechenden Knöpfen, und der Pegel auf dem Hauptbildschirm zentriert sich. Im Idealfall. Denn manchmal, so erzählt mir Bruno Kaukal, der im Deutschen Museum Rundgänge leitet, klappt es aber auch nicht: Wenn einer aus Fleiß nicht mag und den Strom partout nicht freigeben will.
„energie.wenden“ ist dank Hitzesommer ein großer Erfolg
Die Sondersaustellung ist laut dem Deutschen Museum mit ihrer über einer halben Million Besucher seit Mitte Februar 2018 ein voller Erfolg. Was treibt die Menschen dazu, sich bei Traumwetter mit diesem doch recht komplexen Thema auseinanderzusetzen? „In Zeiten wie diesen, mit Hitzesommer und Dürre in Deutschland, spüren die Menschen die möglichen Folgen des Klimawandels besonders deutlich. Auch in dem Zusammenhang rückt die Energiewende bei vielen noch stärker ins Bewusstsein“, sagt Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums. „Wir möchten mit dieser Ausstellung dazu beitragen, dieses Projekt voranzutreiben und die Herausforderung zu bewältigen.“
Sie wurde nun verlängert: Bis zum 4. November 2018 können Interessierte noch hingehen und diese „bespielen“.
Ich setze auf Zukunftstechnologie
Am Ende meiner Tour stehe ich wieder in der Haupthalle. Die mittlerweile voll bearbeitete Lochkarte muss nun zur Auswertung in den Hauptcomputer der Ausstellung gesteckt werden. Slot 1 liest die Karte aus. Slot 2 druckt die Auswertung auf die Karte und spuckt diese dann mit dem Ergebnis aus. Ich bin als „Politiker“ meiner Zeit offenbar etwas voraus, und setze teilweise auf Technologien, die noch nicht vollständig entwickelt wurden. Aber, so beruhigt mich der allwissende Computer, noch ist nicht aller Tage Abend. Es gäbe für jedes technische, politische und gesellschaftliche Problem eine Lösung. „Diese ist vielleicht heute noch nicht gefunden, was aber nicht heißt, dass es sie nicht gibt. Neue Denk-und Forschungsstrukturen helfen, die Energiewende zu meistern.“
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