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Der „Bus mit Füßen“ öffnet Kindern und Eltern neue Schulweg-Welten
Blick auf bunte Kinderschuhe
Heutige Welten

Der „Bus mit Füßen“ öffnet Kindern und Eltern neue Schulweg-Welten

Wie Erstklässler selbstbewusst, sicher und umweltfreundlich ihren Schulweg erkunden

An diesem Septembermorgen bin ich nach langer Auszeit zurück an Bord. Die Passagiere aus der zweiten Klasse begrüßen mich aber wenig begeistert. „Hey, Mama, du musst nicht mitlaufen“, sträubt sich mein Sohn Emil*. „Genau, wir laufen doch schon selber“, wirft sein Freund Theo ein. Doch ich lasse mich nicht abwimmeln. „Heute schon“, stelle ich klar. „Ein Kind ist heute zum ersten Mal dabei, und da muss jemand von den Eltern mitlaufen.“ Richtig überzeugt sind die beiden Jungs nicht. Clara, die bereits ungeduldig in der Hocke wartet, scheint meine Begleitung egal zu sein. Eine Mutter winkt uns vom Fenster zu, ein schnelles Hallo und Tschüss nach oben, weg ist sie. Der Bus mit Füßen setzt sich in Bewegung. An seiner letzten Haltestelle direkt vor einem Café irgendwo in München.

Welche Idee steckt hinter dem Bus mit Füßen?

Er funktioniert wie ein echter Bus ─ nur ohne Motor. Eine Gruppe von Kindern läuft gemeinsam zur Schule. Entlang einer im Vorfeld festgelegten Route, der sogenannten Buslinie. An den verabredeten Haltestellen steigen die Kinder zu. Zu Beginn begleitet immer ein Elternteil den Bus. Die Mutter oder der Vater ist Vorbild, macht auf gefährliche Stellen und Straßenüberquerungen aufmerksam und achtet darauf, dass die Kinder pünktlich an der Schule ankommen. Eine einfache Grundidee. Initiiert hat diese Schulwegbegleitung die Umweltorganisation Green City im Auftrag des Kreisverwaltungsreferats der Landeshauptstadt München.

Hier geht’s zum Video von Green City:

Bewegung, Konzentration und ein bisschen Spaß am frühen Morgen

„Jetzt“, sagt Clara bestimmt. Sie ist heute die „Busfahrerin“. Auf ihr Rufen schauen einige, nicht alle Kinder nach links und dann nach rechts. Der Bus überquert die Straße. Nach einigen Metern erhöht sich das Lauftempo. Eine kurze Pause zum Tollen ist in Sicht. Emil besteigt als Erster eine Bank. Die anderen Kinder folgen ihm sofort. Gelächter, Witzeleien. Die fünf Kinder tänzeln über die moderne, weiße Sitzmauer mit den integrierten Lichtleisten. Ein Sprung herunter und wieder hoch. Und dann noch ein kleiner Sprint um die Wette. Wir sind am großen Platz angekommen, dem Treffpunkt des Viertels. Pflastersteine, Grünfläche und keine Autos. Am Ende des großzügig gestalteten Platzes stehen sie wieder, die Autos und Wohnmobile, dicht hintereinander. Den Blick zur Straße versperren sie fast gänzlich. Ein vorsichtiges Herantasten, nun schwenken alle Kinderköpfe nach links und nach rechts. „Frei“, wieder ist es Clara, die das Kommando an dieser schwer einsehbaren Stelle erteilt.

Bus mit Füßen: Zwei Kinder auf dem Schulweg laufen auf einer Parkbank

Bewegung am frühen Morgen tut gut und macht Spaß! Foto: Juliane Weinig

Die letzte Ecke ─ und die Schule ist bereits in Sicht. Schulwegbegleiter in neongelben Warnwesten lotsen die Kinder über die letzte große Kreuzung. Immer mehr Kinderstimmen mischen sich unter den Verkehrslärm. Unzählige Autos und ein blauer MVG-Bus mit 23 Metern Überlänge rauschen vorbei. Es ist 7.50 Uhr, Rushhour in München. Auf den Bürgersteigen strömen aus allen Richtungen unzählige Kinder und einige Eltern auf den schmalen Haupteingang zu. Eine bunte Traube. „Tschüss“, rufe ich. Ein schneller Kuss für Emil. „Heute hole ich dich ab“, sage ich, aber das geht bereits unter. Ich sehe nur noch Hinterköpfe und Schulrucksäcke und seitlich baumelnde Turnbeutel, die sich den Weg durch den engen Haupteingang bahnen.

Begleiten oder nicht? Wie mein Großstadtkind zur Schule kommt

Zum ersten Mal hörte ich vom Bus mit Füßen beim Schulinformationsabend für die zukünftigen Erstklässlereltern. Katharina Lindemann von Green City und selbst Mutter von drei Buskindern stellte das Konzept vor. „Bereits seit 17 Jahren läuft der Bus mit Füßen in München“, berichtete sie. „Und fast 50 Münchner Grundschulen beteiligen sich an diesem Projekt“. Am Schulinformationsabend war Katharina Lindemann so überzeugend, dass ich das Anmeldeformular gleich an diesem Abend mitnahm. Und ein dickes Infopaket. Darunter einen Schulwegplan, der die besonders gefährlichen Verkehrspunkte im Umkreis der Schule kennzeichnet. Mit all diesen Infos und Broschüren machte ich mir erstmals Gedanken über den Schulweg.

Radfahren zur Schule? Nicht ohne Radfahrausbildung

Liebgewonnene Gewohnheiten musste ich dabei abstreifen. Nicht mehr aus dem Kopf ging mir die eindringliche Warnung, Kinder nicht vor der schulischen Radfahrausbildung, also vor der vierten Klasse, mit dem Fahrrad fahren zu lassen. Vorbei war das gemeinsame Radeln auf den Bürgersteigen, meine unschlagbar schnelle Variante, mit dem Kind morgens zum Kindergarten und dann ins Büro zu kommen.

Ich habe verstanden, wie wichtig frühe Verkehrserziehung bereits im Kindergarten durch polizeiliche Verkehrserzieher und ehrenamtlich engagierte Schülerlotsen und Schulweghelfer ist. Viel zu oft passieren Schulwegunfälle. 2017 waren es 682 in Bayern, einer verlief sogar tödlich. Doch bei aller berechtigten Vorsicht musste ich abwägen. Es gibt Eltern, die ihr Kind jeden Morgen auf dem Schulweg begleiten. Zu Fuß oder auch mit dem Auto. Die ganze Grundschulzeit lang. Ich wollte und konnte keine ständige Schulwegbegleiterin sein.

Zusammen sind wir stärker! Die Vorteile der organisierten Schulwegbegleitung

Als ich Theos Vater frage, was er am Bus mit Füßen gut findet, antwortet er sofort: „Dass wir euch kennen gelernt haben!“ Er spricht einen wichtigen Punkt an, der für das Konzept des Busses mit Füßen spricht: den sozialen Aspekt. Die Gemeinschaft, die Freunde. Wir Eltern bauen Netzwerke im Viertel auf, unterstützen uns gegenseitig, nicht nur zu Bus-mit-Füßen-Zeiten. Nun haben wir alle morgens weniger Druck und mehr Zeit. Für uns selbst oder für die Arbeit. Theos Vater freut sich: „Ich finde es gut, dass die Kinder ohne Eltern, aber zusammen mit Freunden laufen. So haben wir das früher doch auch gemacht.“ Mein Kind lernt zusammen mit anderen, sich selbständig im urbanen Verkehrsdschungel zu orientieren.

Was hat mich darüber hinaus noch überzeugt? Der Bus mit Füßen ist umweltfreundlich. Und er ist sicher, weil die Kinder als Gruppe für andere Verkehrsteilnehmer einfach besser sichtbar sind. Außerdem macht er Spaß. Das Bewegen an der frischen Luft am frühen Morgen. Das Wechseln zwischen Konzentration bei den Straßenüberquerungen und Losrennen, im Winter auch gerne Losschlittern, genau auf der Mitte des Weges am großen, autofreien Platz. Lehrer berichten, dass Laufkinder morgens im Unterricht aufmerksamer und konzentrierter seien.

Bus mit Füßen: eine Gruppe von Kindern auf dem Schulweg

Zusammen sind wir stark ─ und besser sichtbar. Foto: Juliane Weinig

Vorbereitung, Begleitung und jetzt

Unseren Bus mit Füßen haben wir am 12. September 2017 gestartet. Zusammen mit drei weiteren Familien. Los ging es viel früher. Im Juli, kurz vor den Sommerferien, traf ich mich mit weiteren Eltern im Biergarten. Zu einem Kennenlernabend auf Einladung von Green City. 20 Mütter und Väter, die fleißig Fragen stellten und sich dann über farbig markierte Blätter beugten: die Busgruppen und Buspläne. An diesem Abend entstanden mehrere Busgruppen. Die Idee mit dem Busfahrer kam im Biergarten auch auf. Nicht täglich, aber doch oft spielen die Kinder dieses Spiel mit einem ausgewählten Busfahrer. In unserer Vierergruppe entschieden wir uns in der Eltern-Begleitphase für einen wöchentlichen Turnus. Jede Familie war im Monat eine Woche lang dran.

Wegbegleiterin war ich bis in den späten Herbst hinein. Davor bin ich auch schon immer ein Stückchen weniger mitgegangen. Und so läuft unser Bus schon ein ganzes Jahr. Unfallfrei, selbstbewusst, meist gut gelaunt, pünktlich und nun mit einem neuen Buskind mehr. Wie ich heute eindrucksvoll gesehen habe: wunderbar ohne mich. Deshalb bin ich jetzt kaum noch mit an Bord.

*Alle Kindernamen sind von der Redaktion geändert.

Header-Bild: Juliane Weinig


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