Der Historiker Christian Hartmann im Interview über seinen Bundeswehreinsatz in Mali
Interview von Thomas Vordermayer
Seit 2013 beteiligt sich die Bundeswehr an der EU-Ausbildungsmission im westafrikanischen Mali. Der Militärhistoriker und Reserveoffizier Dr. Christian Hartmann (59) hat sich dem Einsatz angeschlossen. Im Interview schildert er seine Erlebnisse und erklärt, wie sich sein Blick auf Deutschland dadurch verändert hat.
Herr Hartmann, 2016 haben Sie sich entschieden, eine Auszeit von der Wissenschaft zu nehmen und sich der Bundeswehr bei ihrem Auslandseinsatz in Mali zur Verfügung gestellt. Was hat Sie zu diesem ungewöhnlichen Schritt motiviert?
Christian Hartmann: Meine Motivation hatte zwei Facetten. Meine persönliche Motivation war es, eine Auszeit von der wissenschaftlichen Arbeit zu gewinnen und dabei etwas Sinnvolles zu tun. Gerade als Militärhistoriker habe ich es als große Chance empfunden, die Bundeswehr selbst einmal in einem Einsatz zu begleiten. Die allgemeine Motivation hing stark zusammen mit dem damaligen Aufstieg des IS. Der Islamismus schien damals Teile der Welt zu erobern. Das hat mich an meine eigenen Forschungen erinnert, und ich habe mir gesagt: Tu etwas! Leiste deinen Teil! Auch wenn ich in einem Alter bin, in dem man das eigentlich nicht mehr machen muss.
Sie waren sechs Monate in Mali im Einsatz. Welche Aufgaben hatten Sie?
Ich war Teil einer Gruppe von 30 Offizieren, die zur European Union Training Mission gehören. Diese Mission soll die malische Armee und Polizei aufbauen und vor Ort professionelle Verwaltungsstrukturen schaffen. Stationiert war ich in Bamako, der Hauptstadt Malis. Meine Aufgabe war die Beratung der dortigen Militärverwaltung. Konkret ging es in meinem Fall vor allem darum, Gesetzestexte zu verfassen und diese dann durch die malische Verwaltung bis hin zum Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta durchzuboxen. Das war eine sehr anstrengende Arbeit mit ganz unterschiedlichem Erfolg.
Mali ist für mitteleuropäisch geprägte Menschen gewiss eine zunächst sehr fremde, neue Welt. Versetzen Sie sich bitte nochmals in die Situation Ihrer Ankunft zurück: Was hat sich Ihnen persönlich besonders eingeprägt?
Die allererste Erfahrung für einen Mitteleuropäer ist natürlich die unendliche, meist sehr trockene Hitze. Das kann man sich hierzulande überhaupt nicht vorstellen. Teilweise hatten wir 45 Grad im Schatten. Besonders heftig wird es bei Wüstenstürmen. Sehr ungewohnt war auch das Chaos im öffentlichen Leben, verglichen mit Deutschland. Hinzu kommen die oft schmutzige Luft, das wenige Wasser und die große Armut. Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt. Ich habe Kühe gesehen, die sich von Plastikmüll ernährten und diese Kühe wurden dann gegessen. Das ist alles sehr anders. Und trotzdem war es eine faszinierende Welt, in die ich da abgetaucht bin. Die ganze Zeit war eine riesige Horizonterweiterung.
An der Trainingsmission der EU in Mali sind Kontingente aus zahlreichen unterschiedlichen Staaten beteiligt. Denken Sie, dass diese multinationale Dimension eine besondere Herausforderung darstellt?
In meinem Fall waren Vertreter aus 27 europäischen Nationen im Einsatz, von Irland bis Georgien und von Süditalien bis Finnland. Schon das war eine faszinierende Herausforderung. Obgleich alle ähnlich militärisch sozialisiert sind, bringt doch jeder auch seine nationalen Eigenheiten mit. Je nach Mentalität ist die Zusammenarbeit leichter oder schwerer. Ich muss sagen, ich bin in dieser Zeit zu einem echten Anhänger der europäischen Idee geworden. Wir haben wirklich als europäische Mission gewirkt. Bei Ordensverleihungen wurden immer zunächst die Nationalhymne Malis und dann die Europahymne gespielt. Das hat mich nachhaltig beeindruckt.
Die Mission hat vor allem im Norden Malis erbitterte Feinde. Wie haben Sie persönlich die Gefahrensituation während Ihres Einsatzes erlebt?
Ich habe mir relativ wenig Sorgen gemacht. Meine ältere Tochter, die selbst ein Jahr in Afrika als Entwicklungshelferin gearbeitet hat, hatte mir vor dem Einsatz geraten: „Geh immer mutig voran und öffne dich!“ Und genauso habe ich es gemacht. Trotzdem war die Gefahr natürlich immer da. Während meiner Zeit in Mali hat sich die Sicherheitslage zunehmend verschlechtert. Zwei Wochen nach meiner Rückkehr gab es einen Anschlag auf unsere Gruppe in Bamako, bei dem zwei meiner Kameraden getötet und vier schwer verletzt wurden.
Der Deutsche Bundestag hat im April 2018 beschlossen, das Engagement der Bundeswehr in Mali weiter fortzusetzen. Künftig sollen bis zu 1.100 deutsche Soldatinnen und Soldaten bei der EU-Stabilisierungsmission eingesetzt werden, ursprünglich waren maximal 150 vorgesehen. Wie ist Ihre Einschätzung: Hat die Politik die Herausforderung anfänglich unterschätzt?
Das kann man sicher so sehen. Allerdings ist es in Mali bislang ziemlich gut gelaufen. 2012 stand der Staat kurz vor dem Kollaps. Jetzt geht es darum, Mali langfristig zu stabilisieren. Die Frage lautet vor allem: Was wäre die Alternative zu der französisch-afrikanisch-europäischen Intervention gewesen? Es musste verhindert werden, dass in Mali eine Art islamistisches Zentrum in Westafrika entsteht. Das war eine echte Gefahr. Wenn sich Europa und die Vereinten Nationen jetzt aus Mali zurückziehen würden, wäre der Staat in einer äußerst prekären Lage.
Der militärische Einsatz in Mali ist trotzdem umstritten. Neben den immer weiter steigenden Kosten verweisen Kritiker unter anderem darauf, das Land werde durch die EU-Mission im Süden und die gleichzeitige UN-Mission im Norden unter eine Art Vormundschaft gestellt. Was antworten Sie diesen Kritikern?
Zunächst einmal sollte man nie vergessen: 2012 hat Mali Frankreich und Europa um Hilfe gebeten. Natürlich ist Frankreich als ehemalige Kolonialmacht in Mali sehr stark präsent. Viele übersehen in ihrer europäischen Binnenperspektive jedoch, dass in Mali auch die USA, Russland und vor allem China sehr aktiv sind. Während der Krise haben diese Länder aber keine Hilfe geboten. Viele Länder verfolgen in Mali wirtschaftliche Interessen. Ich würde jedoch sagen, dass Frankreich gerade auch aus einem politischen Verantwortungsgefühl heraus interveniert hat. Wirtschaftlich gesehen ist es für die französische Seite natürlich wichtig, nicht von den afrikanischen Uran-Quellen abgeschnitten zu werden. Doch auch hier sollte man sich klar machen, was es bedeuten würde, wenn dieses Uran in falsche Hände fallen würde. Stichwort „Dirty Bomb“, die dann auch als terroristische Waffe denkbar wäre. Eine grauenhafte Vorstellung.
Wenn Sie jetzt, anderthalb Jahre nach Ihrer Rückkehr in die Heimat, persönlich Bilanz ziehen: Hat sich Ihre Wahrnehmung Deutschlands durch den Auslandseinsatz in Mali verändert?
Absolut! Es mag wie eine Floskel klingen: Wer länger im Ausland war, sieht die Heimat mit ganz anderen Augen. Es stimmt aber. Entscheidend ist aus meiner Sicht, bei einem Auslandsaufenthalt praktisch tätig zu sein und sich dabei auch in den Alltag zu integrieren. Um wirklich neu zu denken und neue Perspektiven zu entwickeln, muss man sich einmal für längere Zeit einer ganz fremden Welt aussetzen. Und zwar so, dass es vielleicht auch einmal unangenehm ist oder wehtut. Unsere Gesellschaft strebt und preist ja permanent „Veränderung“ an. Für meine Zeit in Afrika kann ich nur sagen: Da kann man sie sich wirklich holen. Das war und ist für mich der große Gewinn.
Zur Person:
Dr. Christian Hartmann ist seit 1993 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Von 1999 bis 2009 leitete er das Projekt „Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur 1933-1945“. 2009 erschien seine Studie „Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42“. Seit 2011 lehrt Hartmann im Rahmen der Ausbildung der Generalstabsoffiziere an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Von 2012 bis 2016 leitete er das Forschungsprojekt Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. 2016/17 war er zunächst als Major d. R. im Rahmen der European Union Training Mission (EUTM) in Mali Teil der in Bamako stationierten Advisory Task Force (ATF).
Header-Bild: 3dman_eu/Pixabay
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