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Kurdische Morgendämmerung in München
Heutige Welten

Kurdische Morgendämmerung in München

Ein Gespräch mit Friad Aziz über seinen Weg nach Deutschland und seine kurdische Trommelgruppe

Interview von Dominik Ramelsberger

Friad Aziz ist Bauleiter. Im Alter von 18 Jahren floh er vor der irakischen Armee vom Norden des Iraks nach Berlin. Später kam er nach München. Jetzt leitet er eine kurdische Trommelgruppe, die sich jeden Freitag in den Seminarräumen der Organisation MORGEN zum Üben trifft. MORGEN ist ein Netzwerk für Migrantenorganisationen in München, Friad Aziz ist Gründungsmittglied. Hier spricht er über kurdische Musik, seinen Weg nach Deutschland, sein Verhältnis zu München und MORGEN.

Friad Aziz, was macht Ihr Verein Sphede…?

Friad Aziz: Ein Verein ist Sphede eigentlich nicht. Eher eine Musikgruppe. Bei einem Verein muss immer eine Ideologie dahinter stecken, ein Ziel verfolgt werden. Unser Ziel ist es, Verständigung zwischen deutscher und kurdischer Kultur zu ermöglichen. Wir sind keine professionellen Musiker. Aber wenn es Veranstaltungen oder Aktivitäten von MORGEN gibt, dann treten wir auf. Jeden Freitag treffen wir uns zum Üben. Manchmal gehen wir auch einfach zum Abendessen und sprechen über Politik. Über deutsche Politik und über kurdische.

Woher kommt der Name Sphede?

Sphede ist kurdisch und heißt so etwas Ähnliches wie Morgendämmerung. Sphede findet noch vor der Dämmerung statt. Es handelt sich nur um eine knappe Stunde, vielleicht auch nur eine halbe, zwischen Dunkelheit und Aufhellung. In den Bergen gibt es dann diese bestimmten, schönen Momente. Die Momente, in denen man anfängt, wieder zu sehen: die Weite, die Landschaft und die Natur. Das alles zusammen heißt Sphede.

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Mit Musik habe ich erst seit drei Jahren zu tun. Für mich ist sie eine Entspannung, eine Meditation. Mein Großvater und mein Vater haben zu Hause gesungen und musiziert. Das ist wie in Bayern: Man pflegt die Tradition und singt und musiziert zu Hause. Nur die Instrumente sind andere. Wenn es in langen Winternächten nichts zu tun gab, dann saß die Familie zusammen, hat Geschichten und Märchen erzählt und Lieder gesungen. So wurde die Kultur von Mund zu Mund weitergegeben.

Bei Sphede trommeln wir hauptsächlich und singen dazu. Mit der kurdischen Dehol-Trommel entsteht eine ganz besondere Stimmung. Dem Publikum hat es bis jetzt meistens sehr gut gefallen. Es ist Musik zum Tanzen.

Welche Texte werden bei Sphede gesungen? Sind das traditionelle Texte oder wird improvisiert?

Die Texte sind teilweise improvisiert. Die Melodien der folkloristischen Lieder kommen von Sängern, die früher gelebt haben. Aber jeder Sänger hat ähnliche Melodien gesungen und so ist das weitergeführt worden. Wir verwenden alte Texte. Aber ich möchte jetzt versuchen deutsch-kurdische Texte mit diesen Melodien zu mischen. Wir müssen in allen Bereichen besser werden und viel üben. Schauen wir mal, was daraus wird.

Foto: ErikaWittlieb/Pixabay

Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Ich bin 1979 in Berlin angekommen. Ich komme aus dem irakischen Teil Kurdistans. Aufgewachsen bin ich an der Grenze zum Iran. In einem kleinem Dorf mit etwa 700 Einwohnern. Mittlerweile leben dort viel mehr Menschen. Ja, und dann bin ich geflüchtet. Zwischen 1974 und 1975 war ich bei den Partisanen. Wir kämpften gegen die irakische Armee und gegen die Unterdrückung. 1977 schloss ich mich dann während der Sommerferien in den Bergen den Kurden an (lacht). Also, es war immer Politik. Als die irakische Armee die Übermacht gewonnen hatte, konnten wir nicht mehr unbehelligt herumlaufen. Deswegen musste ich erst mal ein Dokument unterschreiben. Das Wort trifft es nicht genau, aber ich nenne es einen „Hinrichtungsbefehl“.

Einen was?

Einen „Hinrichtungsbefehl“. Wenn ich einmal verhaftet werden würde, sollte ich ohne jegliche Gerichtsverhandlung hingerichtet werden. Damit musste ich mich einverstanden erklären. Ich war noch in der Schule und wollte meinen Schulabschluss fertig machen. In der zwölften Klasse, kurz vor der Abschlussprüfung, haben die Iraker mich festgenommen. Es war bekannt, dass die Verhöre ziemlich brutal verliefen. Ich habe deshalb schnell versprochen, mich nicht mehr politisch zu organisieren, um meinen Abschluss machen zu können. Zwei DinA4-Seiten musste ich unterschreiben. Ich durfte nicht alles lesen, was darin stand. Erinnern kann ich mich an drei groß geschriebene Wörter: „Hinrichtungsbefehl ohne Gerichtsverhandlung“. Das habe ich also unterzeichnet. Ich dachte damals, ich wäre alleine mit diesem Schicksal. In Deutschland habe ich dann festgestellt, dass eine Menge Leute diesen Befehl unterschrieben haben.

Wie alt waren Sie damals?

17 Jahre.

Wurde gesungen bei den Partisanen?

In diesem einen Jahr 1977, als ich in den Sommermonaten mit den Partisanen zusammen war, wurde schon gesungen. Damals konnte man sich in den Bergen und Dörfern noch frei bewegen. Aber man war sehr nah an der irakischen Armee, ständig in deren Nähe. Die Situation konnte jede Minute explodieren oder es konnte zu Kampfhandlungen kommen. Und wenn uns ein Schlag gegen die Armee gelungen ist, dann haben wir beim Rückzug alle gesungen.

Siegeslieder?

Ja, auch (lacht).

Foto: florencedidiot/Pixabay

Mancherorts ist es ja verboten auf Kurdisch zu singen. In der Türkei zum Beispiel…

Ja, mittlerweile ist die Zensur in der Türkei ein bisschen gelockert worden. Die können auch nicht immer dagegen halten, das geht nicht. Im Irak waren das Singen und die Sprache damals nicht verboten. Ich habe zum Beispiel die Grundschule in kurdischer Sprache absolviert. Nach der sechsten Klasse kommt man im Irak drei Jahre in die Mittelschule. Dazu musste ich in die Provinzstadt Sulaimaniyya. Der Unterricht war von da an in arabischer Sprache. Aber wir konnten gar kein Arabisch. Unsere Lehrer hingegen konnten teilweise kein Kurdisch, denn sie kamen meistens aus Ägypten. Sie haben nur gesagt: Wenn ihr ein Wort auf Arabisch nicht kennt – wir haben gar nichts gewusst auf Arabisch –, dann schreibt das Kurdische in Klammern hin. Wir haben immer am Anfang der Schulaufgaben eine Klammer auf und am Schluss wieder zugemacht. Die Lehrer haben dann immer geflucht (lacht).

Sind Sie in Deutschland schon einmal als Kurde angefeindet worden?

Bis jetzt habe ich persönlich keine Anfeindung erlebt. Bis auf einmal. Ich war Taxifahrer beim Oktoberfest, und ein Betrunkener hat erst mal so ins Auto geschaut und gesehen, dass ich Ausländer bin. Dann sagte er: „Mit dir fahr i net“ (lacht). Ich nahm das zur Kenntnis, aber das war keine Beleidigung für mich. Ansonsten habe ich keine schlechten Dinge erlebt, eher positive. Ich habe das Gefühl, dass ich als Bauleiter sofort überall anerkannt werde von den Deutschen, egal wo ich hinkomme.

Wie geht es Ihnen hier im Verein mit MORGEN? Was ist das besondere an dieser Organisation?

Wir haben drei bis vier Jahre gebraucht, bis MORGEN gegründet war. Da war ich von Anfang an mit dabei. Das ist für mich wie eine Heimat: MORGEN. Ich mag MORGEN, weil es diese Vielfalt gibt. Früher, als ich in Kurdistan war, fragte ich mich immer: Warum kämpfen wir gegen die, warum kämpfen die gegen uns? Es gab keine Smartphones. Der Blickwinkel, den wir auf die Welt hatten, war sehr eng. Es gab damals nur eine Denkschablone: Wir Kurden brauchen eine eigene Nationalität und werden unterdrückt.

Seit ich hier in Deutschland bin, also seit 39 Jahren, bin ich kulturell und politisch aktiv. Aber ich habe mich nie auf eine politische Richtung festgelegt. Bei uns Kurden hat mich immer die Feindschaft zwischen den Parteien am meisten gestört. Ich hab dann hier versucht, die Kurden immer an einem Strang ziehen zu lassen. Ich denke, wir Kurden können nur alle gemeinsam etwas erreichen. In München ist uns das gelungen, da gibt es keine Feindschaft.

Deshalb mache ich hier auch die Betreuung der Kulturvereine, da fühle ich mich sehr zu Hause. Ich denke, alle Menschen haben nur ein Land und ein zu Hause: die Erde. Die Aufteilung ist nur geografisch bedingt. Eigentlich wird man nur zufällig irgendwo geboren, aber die Welt gehört uns allen. Die Kurden sind nur ein Teil, ein Mini-Mini-Teil dieser Erde. Das Kämpfen mit der Waffe macht keinen Sinn. Es reicht, wenn ich die kurdische Identität leben und die Sprache sprechen kann. Deshalb habe ich zum Beispiel nie Hass auf Türken, Araber oder Perser. Jeder kocht seine Suppe. Ich kenne das aus meinem kleinen Dorf. Wenn man am Abend gemeinsam kocht und das Essen austeilt, dann gibt es auf einmal nicht nur eine Suppe, sondern zehn verschiedene Suppen zum Abendessen. Das hat mich sehr geprägt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von MORGEN und Sphede?

Mein Wunsch ist es, gemeinsam mit der Stadt München und den anderen Migranten gestalten zu können. Zum Beispiel wünsche ich mir dafür ein Tonstudio. Im Moment können wir unsere Musik nur mit dem Smartphone aufnehmen und nachhören, wie gut wir sind. Viele Vereine üben hier in den Seminarräumen. Deshalb ist es ein Ziel von mir und von MORGEN, dass wir irgendwann ein Tonstudio haben. Dort könnten auch andere kulturelle Gruppen Musik aufnehmen oder auftreten. Zum Beispiel auf Stadtteilfesten. Die Stadt München unterstützt ganz stark, dass auf diesen Festen auch viele ausländische Vereine und Gruppen dabei sind. Diese Förderung finde ich wunderbar. Vielleicht kann man da noch mehr machen. Ich erhoffe mir, dass auch MORGEN und seine Vereine teilhaben können an dieser Gesellschaft. Denn dann kommt man zu Gesprächen – und kann miteinander verstehen, warum und wieso man so ist wie man ist.

Header-Bild: florencedidiot/Pixabay