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Drei Sorten von Langeweile
In großen weiße Buchstaben
Fiktive Welten

Drei Sorten von Langeweile

Autos, Tennis, Rollenspiele. Eine Doku zeigt, warum der Anti-Journalist Tom Kummer die Nuller Jahre verpasste

Die obersten Gebote der Presse lauten gemäß Pressekodex, Ziffer 1: „Achtung vor der Wahrheit und wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit“. Im Film „Bad Boy Kummer“ (2010) geht es um: Tom Kummer, der diese Gebote missachtete.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass Kummer in der Doku in Los Angeles ausharrt. An diesem Schauplatz spielten seine Interviews, und hier hatte er – nach Meinung der Medien – gefrevelt. Die Verfremdung der Wirklichkeit durch das Fernsehen in dieser Stadt fasziniert Kummer. In einem Clip cruist er in einem Cabrio durch die Stadt, wo er mit seiner Frau und den Söhnen in der obersten Etage eines Art-Deco-Hauses lebt. Er redet über die Posen der Journalisten, die ihr Image verkaufen und am Ende ihren Mythos. Am Pool eines Motels hatte ihn Ende der Neunziger das Fax erreicht: Kummer ist zum Abschuss freigegeben.

Zweite Karriere: Pop-Tennis

Kummer hatte deutschsprachigen Magazinen in den Neunzigern fingierte Interviews mit Hollywood-Stars verkauft. In Sean Penns Mund hatte er Kierkegaards Theorie der Langeweile gelegt: die Überdrüssige des Erwerbsspießers, die Existenzielle vor dem Nichts und die Schöpferische des Künstlers. Bei Kummer geht es um den Letzteres. Damit man seine Sünden nachlässt, setzt er sich mit ehrlicher Arbeit in Szene: Pop-Tennis am Strand von Santa Monica.

 

Ein Mann und zwei Frauen mit ihren Rackets auf einem Tennisplatz

Tom Kummer gibt Tennis-Stunden. Foto: W-film

Die Reise in die Vergangenheit führt zum Popblatt Tempo

Der Filmemacher Miklos Gimes (1950) arbeitet beim Schweizer „Tagesanzeiger“. Einem der Blätter, die seinerzeit Kummers Reportagen mit Handkuss veröffentlicht hatten. Gimes, Sohn einer ungarischen Einwandererfamilie, wuchs von 1956 an in der Schweiz auf. In seinen beiden anderen Dokus über seine Mutter und die jugoslawische Fußball-Nationalmannschaft interessiert Gimes sich für Fragen der Moral und Politik.

Moralische Fragen prallen an Tom Kummer ab

Mit moralischen Fragen konfrontiert Gimes den Bad Boy. An Kummer frisst sich der Filmemacher einen Narren. Archivaufnahmen, von Kummer selbst mit dem Camcorder gedreht, wechseln sich ab mit aktuellen Szenen, in denen Gimes den Anti-Journalisten mit Medienverantwortlichen  zusammenbringt.

grüner Benz mit Haken im Vordergrund

Autos sind eine von Tom Kummers großen Leidenschaften. Foto: Botond Mihály

In Amman macht Kummer den Kriegsreporter für den Spiegel, in Berlin zündet er als Performancekünstler mit dem Benzinkanister die Berliner Mauer an, in Bern erzählt er, sein Vater sei Mudschaheddin. Markus Peichl, Rasurtyp Stahlborsten, war früher Chefredakteur von Tempo aus Wien. Beim Popblatt erlernte Kummer den subjektiven Journalismus. Peichl senkt angemiezt den Daumen über den Bad Boy: Der Journalismus sei zu wichtig, um kreativen Leuten wie Kummer überlassen zu werden.

Was bleibt nach dem Verbot?

Klar ist: Tom Kummer kann einem toten Kamel eine warme Cola andrehen. In Zeiten der Imageprobleme der Medien wirkt der Film zeitgemäß. Allein schon wegen des Schnitts ist er sehenswert.  Kummer stellt er als gespaltene Persönlichkeit dar, der in seiner  eigenen Anti-Mainstream-Blase lebt und Fragen der Moral durch Fitnessübungen überspielt. Gimes schafft ein spannendes Porträt eines Kreativen, der nicht so schwer an der eigenen Meinung trägt. Mal verzweifelt er an seiner Tat, mal zeigt er aus dem Nichts etwas Neues: den fiktiven Charakter der Realität.

Header-Bild: PatrickBlaise/Pixabay