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Lux lucet in tenebris – das Licht leuchtet in der Finsternis
Waldenserwappen - Leuchter auf Bibel
Vergangene Welten

Lux lucet in tenebris – das Licht leuchtet in der Finsternis

Die Waldenser – die bewegende Überlebensgeschichte einer religiösen Minderheit

Ich bin mit dem Schicksal der Waldenser aufgewachsen, weil mein Vater Waldenser ist. In den letzten Jahren habe ich mich verstärkt mit ihrer Geschichte beschäftigt und in den vergangenen Welten neue Zugänge entdeckt.

Die Geschichte der Waldenser beginnt vor mehr als 800 Jahren im französischen Lyon. Dort begründet im 12.Jahrundert der reiche Kaufmann Petrus Waldes nach einer religiösen Krise eine Laien-Reformbewegung. Er verschenkt seinen Besitz, organisiert Armenspeisungen und lässt Teile der Bibel aus dem Lateinischen in die Volkssprache übersetzen, damit sie  jedermann verstehen kann. Er will in der Nachfolge Christi nach dem Vorbild der Apostel in Armut leben. Waldes und seine Anhänger ziehen mit dem Evangelium in Händen als einfache Wanderprediger umher und predigen auf öffentlichen Straßen und Plätzen.

Kopf von Petrus Waldes am Lutherdenkmal in Worms

Petrus Waldes am Lutherdenkmal in Worms

Mit seiner Kritik an der reichen Kirche findet Waldes viel Zustimmung im Volk. Für viele hat die machtbewusste Papstkirche ihre Glaubwürdigkeit schon lange verloren. Die Zahl der „Armen Christi“ oder „Armen von Lyon“, wie sie sich nennen, wächst rasch an.
Den Namen Waldenser bekommen sie später von ihren Gegnern.

Waldenser als Ketzer exkommuniziert

Waldes will ursprünglich keinen Bruch mit der Kirche, sondern diese von innen heraus reformieren, um zu den Grundsätzen der Urkirche zurückzukehren. Aber er beharrt auf dem Recht, als Laie predigen zu dürfen, alle sollen predigen dürfen, auch die Frauen. Das gleicht einem Frontalangriff auf die Kirche, rüttelt er doch an den Vorrechten des Klerus. Nachdem sich Waldes und seine Anhänger mit dem Argument, man müsse „Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29), nicht an das Predigtverbot halten, werden sie 1084 als Häretiker, also als Ketzer, exkommuniziert und aus Lyon verjagt.

Dennoch verbreitet sich die Bewegung über fast ganz Europa. Auch in Deutschland entstehen zahlreiche Waldensergemeinden. Zunächst noch weitgehend unbehelligt predigen sie frei, gründen Bibelschulen und Versammlungszentren. Nach Beginn der Inquisition (um 1230) sind sie aber gezwungen, im Untergrund zu agieren. Das Rückgrat der waldensischen Untergrundbewegung bilden die Wanderprediger, „Barben“ (okzitanisch für Onkel im Gegensatz zu den katholischen “padres“) genannt. Sie haben die Evangelien studiert und auswendig gelernt, sind unverheiratet und leben von Almosen.

Zu zweit, als Händler oder Barbiere getarnt, ziehen sie von Gemeinschaft zu Gemeinschaft und predigen an geheimen Orten im Privaten. Richtschnur ihres Glaubens und Handelns ist die Bergpredigt. Sie soll wörtlich befolgt werden. Deswegen lehnen sie die Heiligenverehrung, das Fegfeuer, den Ablass, den Eid, die Gewalt, auch die der Obrigkeit, somit die Todesstrafe, und die Autorität des Klerus ab. Allein die Eidesverweigerung ist im Mittelalter von großer gesellschaftlicher Tragweite. Die feudalen Beziehungen jener Tage sind durch den Eid geregelt. Wer es ablehnt zu schwören, lehnt damit auch die bestehende Ordnung ab und stellt sich außerhalb des Gesetzes. Inquisition löscht Waldenser fast aus

Die Waldenser werden seit Mitte des 13. Jahrhunderts unerbittlich verfolgt, zum Abschwören gezwungen, eingekerkert oder hingerichtet. Allein der Inquisitor Peter Zwicker lässt 1397 im österreichischen Steyr 100 Waldenser auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Die Inquisition löscht die Waldensergemeinde nördlich der Alpen nach und nach aus. Ende des 15. Jahrhunderts werden die letzten deutschen Waldenser in Brandenburg hingerichtet oder zum Abschwören gezwungen. Andere überlebende deutsche Waldenser schließen sich den Böhmischen Brüdern an, die aus den Hussiten (Anhänger von Jan Hus, dem Prager Theologen, der 1415 in Konstanz als Ketzer verbrannt worden war) hervorgegangen sind. Zu denen bestanden seit Jahren enge Beziehungen.

Waldenserfrauen werden verbrannt

Waldenserfrauen auf dem Scheiterhaufen. Abbildung aus: „Die Waldenser“ von Albert de Lange

Anschluss an die Reformation calvinistischer Prägung

1532 schließen sich die Waldenser in einer historischen Versammlung der Reformation Calvins an. Ihre Strukturen ändern sich damit radikal. Die ehelosen Wanderprediger werden nach und nach durch verheiratete Gemeindepfarrer ersetzt. Im Zentrum steht nicht mehr die Bergpredigt, sondern die Lehre der Rechtfertigung aus Glauben. Nach fast 400 Jahren können die Waldenser zum ersten Mal öffentlich Gottesdienst feiern, Kirchen bauen und stehen in Verbindung mit der restlichen protestantischen Welt Europas. Sie treten erstmals aus ihrer jahrhundertelangen Verborgenheit in die Öffentlichkeit und erheben ihre Stimme.

Dieser öffentliche Anschluss der Waldenser an die Reformation hat seinen Preis und löst im Zuge der Gegenreformation heftige Reaktionen der katholischen Machthaber aus. Die Waldensergemeinden in Frankreich und Kalabrien werden ausgelöscht. Im 17. Jahrhundert gibt es die Waldenser nur noch in den schwer zugänglichen Gebieten der Cottischen Alpen im westlichen Piemont. Hier wechseln Phasen relativ freier Religionsausübung mit schärfster Verfolgung ab – abhängig vom jeweiligen Bündnispartner Savoyens. Am Karsamstag des Jahres 1655, am sogenannten „Pasque Piemontesi“, dem Piemontesischen Ostern, werden 6000 Waldenser niedergemetzelt. Das Blutbad löst in ganz Europa Empörung aus.

Aufhebung des Ediktes von Nantes

30 Jahre später widerruft Ludwig, der XIV, das Toleranzedikt von Nantes und verbietet damit den Protestantismus. Die Hugenotten, die französischen Protestanten, fliehen zu Hundertausenden in verschiedene protestantische Länder. 1686 wird das Verbot auch im mit Frankreich verbündeten Fürstentum Savoyen-Piemont gültig. Die Waldenser leisten Widerstand. Vergeblich. Wer nicht getötet wird, landet im Kerker. Etwa 4000 Waldenser werden in die calvinistische Schweiz abgeschoben. Die Täler bleiben verwüstet und entvölkert zurück. In den Wohngebieten der Waldenser werden Katholiken angesiedelt. Die beispiellose Überlebensgeschichte der Waldenser scheint hier zu Ende. Aber im Schweizer Exil sammeln sich die Überlebenden und wollen nicht aufgeben.

Die glorreiche Rückkehr

Drei Jahre später gelingt das Unglaubliche: Der Pfarrer Henri Arnaud und tausend Waldenser und Hugenotten erkämpfen sich in einem Marsch über die Alpen mit Waffengewalt zurück in ihre Täler. Dieses Unternehmen geht als „Glorioso Rimpatrio“ (Glorreiche Rückkehr) in die Geschichte der Waldenser ein und spielt bis heute eine wichtige Rolle im Bewusstsein der Waldenser. Weil sie dadurch im Piemont überlebt haben.

Denkmal von Henri Arnaud

Henri Arnaud Denkmal in Torre Pellice

Das Ghetto

Die nächsten 150 Jahre erleiden die Waldenser keine blutigen Verfolgungen mehr. Aber sie können ihren Glauben buchstäblich nur in eng gesteckten Grenzen leben. Es ist eine Art Ghetto. Sie dürfen keine Schulen und Universitäten besuchen, keine öffentlichen Ämter bekleiden und kein Land kaufen oder bewirtschaften, das außerhalb des vorgeschriebenen Gebietes liegt. Erst 1848 werden den Waldensern nach 700 Jahren Verfolgung als Ketzer alle politischen und religiösen Rechte zugebilligt.

Die Waldenser heute

Bis heute ist die Region um Torre Pellice, sechzig Kilometer südwestlich von Turin, das kulturelle und religiöse Zentrum der Waldenser. Sie ist eine lebendige Minderheitenkirche mit rund 30 000 Mitgliedern in etwa 100 Gemeinden. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist traditionell die Diakonie, die sich in zahlreichen sozialen Einrichtungen wie Waisen- und Altersheime, Krankenhäuser, Gästehäusern und in der Flüchtlingsarbeit niederschlägt.

Somit ist die Waldensergemeinschaft die einzige mittelalterliche (Ketzer-) Bewegung, die bis heute überlebt hat. Und das gleicht einem Wunder.
Das Licht leuchtet in der Finsternis – so steht es auf dem Wappen und Erkennungszeichen der Waldenser. Ein Zeichen dafür, dass Gottes Licht durch die Botschaft Christi auch in dunkelsten Zeiten durch die Finsternis für sie geleuchtet hat. Und leuchtet. Bis heute.

Waldenserort Rorà mit Kirche in den Cottischen Alpen

Waldenserort Rorà mit Kirche

Post Skriptum:

Im Juni 2015 betritt erstmals ein Papst eine waldensische Kirche. Bei seinem offiziellen Besuch in Turin hat Papst Franziskus bei den Waldensern um Vergebung für die Verfolgung durch die katholische Kirche gebeten.


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