Neues von den Witcher-Machern nach fünf Jahren des Schweigens: Ein 48-minütiges Gameplay-Video von Cyberpunk 2077 gibt ausführlichen Einblick in das sehnlichst erwartete Spiel.
Seit dem riesigen Erfolg des grandiosen Rollenspiels „The Witcher 3“ gilt Entwicklerstudio CD Projekt Red als eine der letzten großen Hoffnungen einer Spieleindustrie, die von seelenlosen Großkonzernen wie EA und Ubisoft dominiert wird. Das polnische Entwicklerstudio nahm sich für die Produktion der Spiele immer ausreichend Zeit, um ein verfrühtes oder stark verbuggtes Release zu vermeiden. Es hielt sich mit dröhnenden Marketingaussagen zurück. Statt platter Plots erzählten die Entwickler Geschichten mit Tiefgang, Witz, Spannung und einer Prise Sozialkritik. Das Studio zeigte zudem eindrucksvoll, dass gute Spiele auch ohne kontroverse und problematische DRM-Maßnahmen wirtschaftlich ausgesprochen erfolgreich sein können.
2012 kündigte die polnische Softwareschmiede ihr nächstes Projekt an: „Cyberpunk 2077“. Das Spiel basiert auf einer Pen-and-Paper Rollenspielreihe, die in der Welt von William Gibsons Roman „Neuromancer“ angesiedelt ist. Doch außer einem kurzen Teaser-Video und reichlich Spekulation seitens der Medien und Fans herrschte fünf Jahre lang Funkstille.
Auf der diesjährigen E3 in Los Angeles präsentierte CD Projekt Red zur Überraschung aller eine sehr weit fortgeschrittene Version von „Cyberpunk 2077“ in Form eines 48-minütigen Gameplayvideos. Obwohl offiziell nur eine Pre-Alpha-Version, beeindrucken die gezeigten Spielszenen schon jetzt ungemein.
Freie Charakterwahl
Der Spieler schlüpft in Cyberpunk in die Rolle von „V“, einen urbanen Cybersöldner. Im Rollenspiel kann er neben dem Geschlecht auch das Aussehen sowie im fertigen Spiel sogar die Hintergrundgeschichte des Protagonisten per Editor auswählen und einstellen. Die im Editor getroffene Auswahl hat entscheidende Auswirkungen auf das Spielgeschehen, vor allem darauf, wie andere Charaktere auf die Spielfigur reagieren beziehungsweise mit ihr interagieren („Street Cred“). Auf genretypisch festgelegte Klassen verzichtet das Spiel jedoch. Fähigkeiten und Perks werden stattdessen im Spielverlauf variabel je nach Vorlieben erlernt. So kann man ein Techie (Maschine), Netrunner (Hacker) oder Solo (Kampf) werden – oder eine Mischung aus allen.
Im Gegensatz zur Witcher-Reihe spielt sich Cyberpunk – mit Ausnahme von Zwischensequenzen und der Steuerung von Fahrzeugen – komplett in der Ego-Perspektive. CD Projekt will den Spieler auf diese Weise noch stärker in die detaillierte Spielwelt hineinziehen. Die Immersion wird dadurch stärker.
Dystopische Zukunft
Cyberpunk spielt in einer alternativen Zeitlinie. Amerika ist zerfallen. Anstelle von Regierungen bestimmen Großkonzerne das Geschehen. Die Straßen der Megastädte werden von Gangs kontrolliert. Das Setting für das Spiel ist Night City, eine riesige Metropole im Free State of North California. Die Währung: „Eddies“. Eurodollar.
Night City ist eine riesige Open World, unterteilt in sechs Bezirke. Die Spielwelt ist von Anfang an frei erkundbar. Das Demovideo zeigt sehr eindrucksvoll die unglaublich detailreiche Szenerie: Wir wachen in unserem Apartment neben dem Date von letzter Nacht auf, wo wir – nach der Zwischensequenz – unsere Kleidung und Bewaffnung auswählen. Beim Verlassen der Wohnung finden wir uns in einem der unzähligen Stockwerke eines Megakomplexes wieder, voll mit anderen Apartments, begehbaren Geschäften, Imbissbuden und Restaurants. Weiter hinten schlägt ein Muskelprotz in einem Boxring auf einen Trainingsroboter ein.
Interaktive Werbetafeln erkennen „V“ und zeigen getargetete Werbung für einen Energiedrink. Praktischerweise gleich mit Wegbeschreibung zum nächsten Getränkeautomaten, wo wir den beworbenen Drink sogleich erstehen können. Wir betreten den Aufzug und fahren viele Stockwerke hinunter. Auf der Straße wimmelt es von Menschen und wir können ihrem Treiben zuschauen, Gespräche belauschen. Nichts wirkt generisch. Das Gefühl eines engen, stickigen und überbevölkerten urbanen Asphalt-Dschungels stellt sich sogleich ein. Es erinnert an Blade Runner, nur bei Tageslicht und ohne Regen. Der Entwickler versichert jedoch, dass es im fertigen Spiel dynamisches Wetter und Tag-Nacht-Wechsel geben wird.
Die Spielwelt, die mindestens so umfangreich wie die von „The Witcher 3“ sein soll, bereist man am besten per Auto, Motorrad und anderen Vehikeln. Dabei gibt sie sich „aus einem Guss“, mit nahtlosen Übergängen. Es wird keine Ladebildschirme geben, die den Spielfluss unterbrechen.
Gut implantiert
Wie der Name Cyberpunk suggeriert, spielen Cyber-Implantate eine große Rolle. Diese erwirbt der Protagonist legal bei sogenannten Ripper Docs. Für illegale Upgrades sucht man den Schwarzmarkt auf. Die Implantate dienen dazu, diverse Fähigkeiten wie Zeitverlangsamung oder Augenimplantate zur Identifizierung von Gegnern freizuschalten. Dabei will das Spiel auch kritisch mit der Thematik „Transhumanismus“ umgehen. Welchen Effekt haben solche Implantate auf die Gesellschaft? Wie spielt die Abhängigkeit von „Hardware“ in die Karten der Großkonzerne? Wie verändert sich die Körperwahrnehmung? Welchen Stellenwert haben Körper aus Fleisch und Blut überhaupt noch? Denn nicht jeder kann – oder möchte – sich diese teuren Implantate leisten. Genauso wie es heutzutage Menschen gibt, die sich bewusst gegen ein Smartphone entscheiden, soll es in der Welt von Cyberpunk 2077 genug Technikverweigerer geben, die mit Retrogeräten wie dem Röhrenfernseher zufrieden sind.
Entscheidungen haben Konsequenzen
Die Auswahl der Implantate bestimmt stark die Art wie gespielt wird. Missionen laufen unter Umständen gänzlich anders ab. Überhaupt: Der Ausgang der einzelnen Missionen hängt sehr stark vom Spielstil ab. Hacken, schleichen, verhandeln – oder wie Rambo zum Vordereingang aus allen Rohren ballernd hereinstürmen. All das hat Auswirkungen auf die Quest. Es lohnt sich übrigens auch, im Vorfeld eines Auftrags die Informationen gegenzuchecken und etwas mehr Recherche zu betreiben. Die so erlangten Zusatzinformationen können nämlich weitere Dialogoptionen freischalten, die Aufträge ebenfalls anders ablaufen lassen. Spielstil und Vorgehensweise innerhalb von Quests haben auch langfristige Auswirkungen auf nachfolgende Quests sowie den Verlauf der nichtlinearen Hauptstory. Laut Level-Designer Miles Tost ist das Prinzip „Choices and Consequences“ – einschneidende Entscheidungen haben bedeutende Konsequenzen – sehr wichtig bei der Entwicklung des Spiels.
Apropos Dialoge: wie schon beim Hexer Geralt (Hauptfigur in The Witcher 3) spielen Gespräche mit NPCs (nicht-spielbaren Charakteren) eine wichtige Rolle. Je nach Situation werden verschiedene kontextbezogene Dialog-und Interaktionsmöglichkeiten angezeigt: So können wir versuchen, einem uns bedrohenden Gegner die Waffe zu entwenden. Oder wir bleiben ruhig und bluffen uns aus der Situation. Oder wir treten aggressiv und überheblich auf. Dabei gibt es keinen „Königsweg“: Manche NPCs lassen sich einschüchtern, andere wollen verbal gestreichelt werden. Und manchmal hilft nur rohe Gewalt.
Noch weitgehend unvollendet
So beeindruckend die Alpha-Version in dem Demo-Video jetzt schon wirkt: Die Entwickler betonen, dass sich bis zur fertigen Version noch viele Dinge ändern können, vor allem was das Design betrifft. Miles Tost verriet in einem Interview mit den Kollegen der Gamestar: „Das Demo-Gameplay-Video wurde von einer Version des Spiels aufgenommen, an der noch gearbeitet wird und wir waren uns nicht ganz sicher, ob wir es der Öffentlichkeit zeigen sollen, weil wir uns noch nicht auf ein Design festlegen wollten.“ Bis zum Launch des Spiels kann sich also noch einiges ändern.
Wann Cyberpunk fertig sein wird steht allerdings noch in den Sternen. Zwar tauchten kürzlich einige Hinweise auf einen Releasetermin bereits im Jahr 2019 auf, aber wie es halt so ist mit den Internetgerüchten. Am besten übt man sich in Geduld. Aber weitere fünf Jahre dürften auf keinen Fall mehr ins Land gehen: Bei CD Projekt ist zu hören, das Spiel sei bereits jetzt komplett durchspielbar.
Bilder: CD Projekt Red (www.cyberpunk.net)
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