Krisen, Chaos und Katzenjammer: Wenn bei Andrea Mürner das Telefon klingelt, ist sie oft schon mittendrin. Mürner ist seit acht Jahren Katzenpsychologin. Die Ingolstädterin besuchte Tanja Ransom und ihre zwei Katzen „Nala“ und „Chewbacca“. Ein Gespräch über das schwierige Verhältnis zwischen Vier- und Zweibeinern, „Pinkelprotokolle“ und das Klischee der „Crazy Cat People“.
Wieso brauchen Katzen eine Psychologin?
Katzen sind wahnsinnig missverstandene Wesen: Sie sind süß, putzig und schlafen im Bett. Dass sie auch hochintelligente Raubtiere sind, die ausgelastet werden wollen, vergessen viele Menschen. Eine Kollegin von mir sagt immer: Katzen brauchen genauso viel Aufmerksamkeit wie Hunde. Heute leben viele Katzen in Wohnungen. Ihren Besitzern ist oft nicht bewusst, welche Bedürfnisse ihre Tiere haben. Sie möchten nicht den ganzen Tag alleine ohne Unterhaltung in der Wohnung sitzen.
Also sind die meisten Ihrer „Patienten“ Wohnungskatzen?
Genau. Hier gibt es eine breite Palette an Problemen, die auftreten können: Neben Unsauberkeit ist auch Langeweile ein Problem. Katzen gehen dann ihren Partner oder einen Menschen an. Was vielen Besitzern auch gar nicht bewusst ist: Katzen können depressiv werden, wenn sie unterfordert sind. Siam- oder Bengalkatzen zerstören die Wohnung. British Kurzhaar- oder Perserkatzen geben sich selbst auf, ziehen sich zurück und verschlafen den ganzen Tag. Viele sehen es gar nicht als Problem, dass die Katze zu ruhig ist. Freigänger streiten allerdings oft mit den Nachbarskatzen und markieren deshalb im Haus oder in der Wohnung. Sie wollen damit ihren Gegner beeindrucken.
Was machen viele Menschen mit ihren Katzen falsch, ohne es zu wissen?
Viele Menschen geben ihren Wohnungskatzen Trockenfutter im Napf. Besser ist es, das Trockenfutter nur in Maßen zu füttern – zum Beispiel versteckt in einem Spielzeug. Die Katzen müssen sich das Futter erarbeiten. Eine simple Möglichkeit, wie man die Katze während des Tages auslasten kann.
Ganz allgemein gefragt: Was macht eigentlich eine Katzenpsychologin?
Viele Menschen können sich darunter nichts vorstellen. Ich habe keine Praxis, ich gehe zu den Leuten nach Hause und lerne die Menschen, ihre Tiere und das Umfeld kennen. Es ist etwas Detektivarbeit, ich schaue mir die Situation an und probiere verschiedene Sachen aus, um die Probleme anzugehen. Es kann aber auch sein, dass Katzen, die sich normalerweise bekriegen, ganz ruhig verhalten, wenn ich zu Besuch bin. Deshalb lasse ich mir auch oft Videos von den Katzenbesitzern anfertigen, oder, wenn es um das Thema Unsauberkeit geht, führen sie „Pinkelprotokolle“, wie ich es nenne.
Wie kann man sich so ein „Pinkelprotokoll“ vorstellen?
Die Besitzer beobachten einen Monat lang ihre Katze und notieren, wann und wo sie in die Wohnung uriniert. Manche zeichnen mir einen Grundriss ihrer Wohnung auf und kennzeichnen die betreffenden Stellen. Wenn ich zu Besuch bin, lasse ich mir diese Punkte zeigen. Ich werte das Ganze aus: Markiert die Katze Stellen, die sie als strategisch wichtig erachtet? Ich versuche, das aus Sicht der Katze nachzuvollziehen.
Was meinen Sie damit genau?
Zum Beispiel der Klassiker: Eine Katze markiert regelmäßig an einem bestimmten Fenster. Damit möchte sie ihr Haus vor den Nachbarskatzen verteidigen und ihnen zeigen: Ich bin hier der Chef. Nach acht Jahren als Katzenpsychologin erfasse und verstehe ich die Situation sehr schnell. Das heißt natürlich nicht, dass ich mit dem Finger schnipse und die Probleme sich in Luft auflösen.
Abgesehen von den Katzen – Wie sind die Menschen, mit denen Sie bei Ihrer Arbeit zu tun haben?
Viele Menschen, die mich anrufen, haben einen enormen Leidensdruck. Einmal kam ich in eine Wohnung und es hat so stark nach Urin gerochen, es war, als liefe man gegen eine Wand. Durch die Probleme mit dem Haustier entstehen Streitigkeiten innerhalb einer Partnerschaft. Viele Männer würden die Katzen sehr schnell abgeben, die Frauen hängen an ihnen. Seit ein paar Jahren sind die meisten meiner Kunden junge Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 30. Sie melden sich früh, und sind gewillt, etwas zu verbessern. Ich habe aber immer wieder auch mit Menschen zu tun, die selbst einen psychisch labilen Eindruck machen. Das sind immerhin etwa 20 Prozent der Fälle.
Haben Sie dann den Eindruck, die eigentlichen Probleme haben nichts mit dem Haustier zu tun?
Zum Teil ja. Einige Menschen wollen einfach Aufmerksamkeit oder projizieren ihre eigenen Probleme auf die Katze. Einmal hatte ich einen schwierigen Fall. Eine Dame rief mich an und erzählte mir, dass sie jeden Abend um 18 Uhr eine Tablette nimmt, um sich, wie sie es nannte, zu sedieren. In der Früh hätte sie nur eine halbe Stunde Zeit für die Katze und nach der Arbeit ginge sie ihrem Hobby nach: Sie recherchierte im Internet Geschichten rund um internationale Königshäuser. Sie fragte mich, ob sie ihrer Katze gerecht wird. Nachdem sie den Termin mit mir abgesagt hatte, weil sie sich psychisch dazu nicht in der Lage fühlte und eine weitere Anfragen von mir ignorierte, habe ich lange überlegt, wie ich mich verhalte. Ich gab damals der Pflegestelle, die der Dame die Katze vermittelt hatte, einen Hinweis, dass man sich nochmal mit ihr in Verbindung setzen solle. Was man dann unternommen hat oder nicht, weiß ich nicht.
Haben Sie es häufig mit „aussichtslosen Fällen“ zu tun und was tun Sie dann?
Das kommt ab und an vor. Einmal war ich bei einem Ehepaar, das über einen Tierschutzverein eine Katze vermittelt bekommen hatte. Die aufgebrachte Frau sagte mir, dass die Katze nicht spielt. Ich kam vorbei, nahm ein Schnürchen, die Katze griff sofort danach. Die Frau sagte, dass sei das erste Mal, dass sich das Tier bewegt. Die ganze Situation war sehr verschroben. Als sie mir dann erzählte, dass sie die Katze mit der Schnauze in ihren eigenen Urin gehalten hat, nachdem sie in die Wohnung gemacht hatte, wusste ich, dass die Katze dort nicht gut aufgehoben ist. Ich habe das der Vermittlungsstelle gemeldet. Am nächsten Tag wurde sie abgeholt und inzwischen hat sie ein neues Zuhause gefunden. Das war allerdings ein Extremfall. Häufiger kommt es vor, dass Katzen miteinander verfeindet sind und sich einfach nicht ausstehen können. Wenn es über lange Zeit nicht besser wird, rate ich zur Abgabe. Manchmal ist es auch frustrierend, wenn ich die Lösung eines Problems weiß, aber die Katzenbesitzer blockieren.
Inwiefern blockieren?
Ich war einmal bei einer Familie mit zwei Bengal- und zwei Siamkatzen, die im Haus lebten und stark markierten. Sie hatten zwar Platz, aber nur einen Kratzbaum. Ich schlug vor, den Raum dreidimensional zu strukturieren oder den Balkon zu vernetzen. Als Antwort bekam ich dann allerdings nur immer: Der Papa möchte nicht, dass wir was im Haus verändern. So etwas höre ich oft: Nein, ich habe keinen Platz für ein weiteres Katzenklo. Nein, ich möchte keinen Kratzbaum ins Wohnzimmer stellen. Ich musste es erst lernen, das zu akzeptieren.
Das hört sich schwierig an. Erleben Sie es auch, dass sich am Ende doch noch alles zum Guten wendet zwischen Mensch und Tier?
Natürlich. Einmal beriet ich etwa eine alleinerziehende Mutter und ihren Sohn, deren zwei Katzen sich nicht leiden konnten. Ich ließ die Familie eine Art Zaun durch das Wohnzimmer ziehen – auf jeder Seite eine Katze. Sobald sich die Katzen einander näherten, bekam jede ein besonderes Leckerli, als positive Verstärkung. Danach durften sie sich nicht mehr sehen. Das ging über mehrere Wochen so. Die Frau war irgendwann am Ende, sie entschied sich dazu, eine der beiden Katzen, Maggie, weiterzuvermitteln. Doch dann geschah Folgendes: Maggie büchste aus, lief auf den Balkon und stand ihrer früheren Widersacherin gegenüber – Und es geschah nichts. Das Training hatte funktioniert. Mittlerweile liegen die beiden zusammen auf der Couch. Ich hatte damals Tränen in den Augen, weil ich manchmal selbst gezweifelt hatte, ob das klappt.
Ein schönes Happy End!
Genau. Eine andere positive Wendung gab es, bei einem Ehepaar, dessen zwei Perserbrüder nachts immer stritten. Die Katzen wurden daraufhin in der Nacht räumlich getrennt. Damit keiner von beiden alleine schlafen muss, hat sich das Ehepaar aufgeteilt: Er schlief im Wohnzimmer, sie im Ehebett. Leider haben die Tipps – abends mit dem Wilderen der beiden spielen oder mithilfe des Clickertrainings positiv bestärken – nicht so schnell die erhoffte Wirkung gezeigt. Eine dritte Katze wollte das Paar nicht. Ich hörte längere Zeit nichts von beiden. Langsam wuchs auch meine Verzweiflung. Dann bekam ich einen Anruf von der Frau. Sie dankte mir überschwänglich. Die Situation wäre perfekt so, das Sexleben des Ehepaars sei wieder richtig in Schwung gekommen, weil sie sich gegenseitig romantische Besuche abstatten würden.
Was halten Sie eigentlich von dem nicht ganz ernst gemeinten Klischee der „Crazy Cat People“?
(lacht) Meine Kolleginnen in meinem regulären Job als Buchhalterin würden wohl sagen, dass ich das klassische Beispiel bin. (lacht) Seit Jahren hänge ich jedes Jahr einen Whiskas-Kalender in unser Büro, es ist sogar die Rede vom „Katzenzimmer“. Leute, die mich persönlich nicht kennen, denken oft, dass ich alleinstehend bin. Wenn sie dann erfahren, dass ich einen Mann und ein Kind habe, sagen sie: Das gibt es doch nicht (lacht). Ich würde selbst schon von mir behaupten, dass ich dem Klischee ein wenig entspreche. Aber es ist nicht so, dass ich den ganzen Tag nur mit meinen beiden Katzen, Herr Banani und Grisou, beschäftigt bin. Ich habe das Glück, mein Hobby und den Beruf verbinden zu können.
Kommen wir zum Abschluss zu einem ganz konkreten Fall: Mein Kater „Chewbacca“ kratzt gerne an Möbeln, um Aufmerksamkeit zu erregen. Was kann ich tun?
Das ist sehr leicht. Es ist das gleiche Problem, als wenn dich deine Katze jeden Tag um vier Uhr morgens weckt. Wenn Katzen Menschen erzogen haben, hat man nur eine Möglichkeit: ignorieren. Das wird eine verdammt harte Zeit. „Chewbacca“ oder jede andere Katze denkt sich dann: Das gibt’s doch nicht, das hat doch wunderbar funktioniert – und dann steigern sie es. Jetzt muss man durchhalten. Wenn man einbricht, hat man das Verhalten noch verstärkt. Ich sage deshalb immer: Überlegt euch gut, ob das Problem, wie ihr es jetzt habt, wirklich schlimm ist oder ob ihr irgendwie damit zurechtkommt. Man kann daran arbeiten, aber das dauert.
Wie lange müsste ich „Chewbacca“ denn ignorieren, bis er die Couch in Ruhe lässt?
Man sagt, das ist genauso wie bei schlechten Angewohnheiten bei Menschen: Man braucht etwa 1000 Wiederholungen, bis man sie sich wieder abgewöhnt hat. Da sagen die meisten Leute dann: Dann steh ich auf, stell den Napf hin und geh wieder ins Bett (lacht). Ok, so schlimm ist es doch nicht.
Ich denke, das sehe ich wohl genauso. Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Andrea Mürner ist zwar mit Hamstern und Meerschweinchen, aber nicht mit Katzen aufgewachsen. Mit ihrem heutigen Ehemann zog auch dessen Katze Elli mit in die Wohnung. Nachdem sie immer in der Wohnung markierte, kam Kater Herr Banani hinzu. In ihrem Mutterschaftsurlaub absolvierte Mürner ein Fernstudium zur Katzenpsychologin. Während dieser Zeit verbrachte sie viel Zeit damit, Katzenvideos anzusehen: die Katze, wie sie sitzt, wie sie lauert. So bekam sie ein Verständnis für das Verhalten von Katzen. Drei Tage die Woche Mürner als technische Angestellte. Drei bis viermal im Monat berät sie als Katzenpsychologin.