Ein Ende der Nullzinsphase ist nicht absehbar, die Europäische Zentralbank (EZB) kennt keine Alternative zum „Weiter-so“ der letzten Jahre. Seit 2010 nimmt das Drama um den Zinsverfall seinen Lauf.
Ein Kommentar von Eva-Maria Steckenleiter
Schlechte Zeiten für die festgeld- und sparbuchverliebten Deutschen: Als Lohn der lockeren Geldpolitik erntet der eiserne Sparer je nach Bankinstitut bisweilen sogar Negativzinsen. Mehr noch: Er ist inzwischen so weit, dass er Wertverluste in Kauf nimmt und dankbar ist, wenn er sein Vermögen überhaupt bei einer Bank parken darf. Verkehrte Welt.
Dennoch scheint das Vertrauen, das deutsche Sparer ihrer Hausbank entgegenbringen, unerschütterlich. Seit geraumer Zeit beruht es auf einer neuen Hoffnung, dass sich die Zinssituation und europäische Geldpolitik in absehbarer Zeit wieder bessert. Sogar die Bundesbank bereitet sich in gewisser Weise darauf vor.
Hoher Verlust – Schmerzgrenze nicht absehbar
Mit 5317 Euro beziffert die DZ Bank den durchschnittlichen Verlust jedes einzelnen Bundesbürgers infolge der Nullzinspolitik. Der Gesamtschaden von 2010 bis 2016 beläuft sich auf 436 Milliarden Euro. Das ist dramatisch, zumal Deutschland im europäischen Vergleich Schlusslicht ist in punkto Eigenheimbesitzer: Nur 45 Prozent verfügen über eine eigene Immobilie und somit einer wichtigen zusätzlichen vorsorgerelevanten Absicherung. Daran können auch ausgefuchste Spar- und Anlageprofis so schnell nichts ändern.
Kann das gerecht sein für ein Land, dessen Sparer mehr auf Vorsorge für Krankheit, Alter und widrige Lebensumstände bedacht sind als anderswo im Euro-Land? Unter den aktuellen Bedingungen der Nullzinsphase ist und bleibt der klassische Sparer der Dumme: Geld auf der Bank ist totes Kapital, Sparen ist nahezu unmöglich, ein bisher aufgebautes Vorsorgepolster schmilzt ab. Wie lange kann diese Zinsstrategie gut gehen, wie richtig ist diese Politik?
Umschichten, aber wie?
Die für den deutschen Sparer seit jeher gewohnte Bilanz zwischen Geben und Nehmen ist aus den Fugen geraten. Wer mit Aktien nicht kann – und das ist der Großteil der währungsreformgebeutelten und extrem auf Sicherheit bedachten Deutschen –, muss akzeptieren, dass es mit der Jahr für Jahr gewohnten Rendite aus Zins und Zinseszins vorbei ist. Das sorgt für Unmut und Ärger beim deutschen Sparer, schadet seinem Politikvertrauen ebenso wie der Solidarität gegenüber anderen Ländern im Euro-Raum.
Hoher Vertrauensvorschuss
Zunehmend ist sich der deutsche Sparer bewusst, dass die „Balance“ im europäischen Wirtschaftsraum künstlich erzeugt ist und davon lebt, dass er null Zinsen oder weniger einfährt. Denn nur wenn die Zinsen niedrig sind, können sich wirtschaftlich schlechter gestellte Länder finanzieren und ihre Kredite bedienen. Bleibt zu hoffen, dass Merkel und Macron eine Wende schaffen und dem deutschen Sparer eine positivere Zinsperspektive eröffnen.
Raus aus der Komfortfalle
Bis dahin oder vermutlich weit darüber hinaus reicht der Langmut der meisten deutschen Sparer. Gegenüber ihren Versicherungen und Finanzinstituten gelten sie als extrem treue Klientel, ihr Vertrauen ist tief verankert, Verträge werden so gut wie nie gekündigt. Empfehlungen zu folgen ist bequemer, sich selbstständig Finanzwissen anzueignen würde hingegen ein Umdenken und Umlernen bedeuten.
Hier Abhilfe zu schaffen und bereits Kinder und Jugendliche vertraut zu machen mit dem praktischen Umgang mit Geld, mit Anlageformen, Möglichkeiten, Chancen und Risiken wäre ein wichtiges Bildungsziel der kommenden Jahre. Finanzielle Unabhängigkeit, Vorsorge fürs Alter und rückläufige Renten sprechen dafür. Aktuelle Studien belegen, dass andere europäische Länder Deutschland in der finanziellen Bildung weit voraus sind.
Neue Wege brauchen Mut und Vertrauen
Es ist bekannt, dass in Null- und Niedrigzinsphasen andere Anlageformen lukrativer sein können als das von Kindesbeinen an erlernte Sparbuch- und Festzinssparen. Es ist bekannt, dass Aktien und Fonds Unternehmenswerte darstellen, die eine Beteiligung an Unternehmen ermöglichen, zur Diversifikation des Portfolios und zur Risikostreuung beitragen. Es mangelt weder am Vorstellungs- noch am Rechenvermögen der Deutschen. Es mangelt schlichtweg am Vertrauen, weil Basiswissen fehlt.
Auf der Suche nach Alternativen steht die Immobilie auf Platz eins. In das sogenannte Betongold investieren die Deutschen wie verrückt. Teilweise bezahlen sie gleich aus der Tasche oder nutzen beim fremdfinanzierten Erwerb die niedrigen Zinsen. Manche kaufen Gold, manche wenden sich Anlagen zu, deren Verkäufer höhere Renditen versprechen als die Banken, ihre Versprechen aber nicht halten. Prokon und Infinus sind nur zwei Beispiele dafür, wie Anleger bei der Suche nach höheren Zinsen findigen Verkäufern auf den Leim gehen. Eine bessere Finanzbildung wäre hier sicherlich kein Schaden.
Aufklärung und Finanzbildung für jede Altersgruppe
„Die Deutschen ‚fremdeln‘ mit der Aktie“, so das Deutsche Aktieninstitut in einer Studie vom März 2017. Das im Vergleich zu anderen Ländern hohe Defizit der deutschen Bevölkerung in der finanziellen Bildung wurde vor bereits vielen Jahren festgestellt und wird immer wieder neu konstatiert. Im Rahmen einer nationalen Agenda sind Maßnahmen in der Erwachsenenbildung mit dem Schwerpunkt „Richtiges Sparen für das Alter“ angedacht. Das aber wird dauern. Hoffentlich kann die kommende Generation das auf diesem Wege erworbene Wissen erfolgreich umsetzen.
Für die Gegenwart hilft das wenig: Weite Teile der Bevölkerung werden die für das Alter notwendige Absicherung nicht mehr aufholen können. Bereits heute arbeiten viele deutlich über das Rentenalter hinaus – weil sie müssen, nicht weil sie das wollen. Jeder Fünfte ist künftig von Altersarmut bedroht.
Welche Geldanlage passt zu mir?
Für den Augenblick heißt es umso mehr, sich selbst gezielt über Anlageformen zu informieren, kritisch zu hinterfragen, Selbstvertrauen aufzubauen, erste kleine Anlageschritte zu entscheiden und nicht noch mehr Zeit und Erspartes zu verlieren. Denn zu befürchten ist, dass die heiß ersehnte Besserung vorerst doch nicht „von oben kommt“ und die europäische Finanzpolitik den deutschen Sparer weiter aushungert. Handeln heißt die Devise für all jene, die für ihr Erspartes mehr wollen als Nullzinsen.
Stand: 26.06.2017
Ebenfalls von Eva-Maria Steckenleiter in diesem Dossier:
Titelfoto: MEV-Agency