10 Monate Schwangerschaft und dann – Nichts. Die Bindung zum Nachwuchs fehlt. Für Mutter und Kind eine Katastrophe.
Stephanie Kogler ist seit 2004 staatlich geprüfte Hebamme. Aktuell unterstützt die 35-Jährige in der RoMed Klinik in Rosenheim Mütter bei der Geburt. Ein Interview von Ina Krug.
Schauspielerin Hayden Panettiere, Designerin Viktoria Beckham und Schauspielerin Gwyneth Paltrow. Drei prominente Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder unter Depressionen litten. Ein Schicksal, das sie, laut Wikipedia, mit rund 15 Prozent aller Mütter teilen.
Frau Kogler, eine Frau trägt ihr Kind neun Monate unterm Herzen und kann es nach der Geburt nicht lieben. Wie kann das sein?
Es gibt verschiedene Auslöser. Organische wie eine Schilddrüsenunterfunktion oder ein niedriger Eisenwert im Blut. Psychische, wenn zum Beispiel die Schwangerschaft nicht gewollt war oder es Komplikationen in der Schwangerschaft gab. Ängste sind eine wesentliche Ursache für eine Bindungsstörung. Die Geburt ist ein weiterer Faktor. Ein positives Geburtserlebnis begünstigt eine gute Bindung. Die Hormone spielen eine Rolle, hier vor allem Oxytocin. Es wird als Liebeshormon bezeichnet, es löst die Wehen aus und unterstützt die Milchbildung. Wenn es in einer hohen Dosierung ausgeschüttet wird, ist es für die Frau leichter, ihr Kind anzunehmen.
Kann solch eine Bindungsstörung nach der Geburt lange dauern?
Es gibt drei Grade der Bindungsstörung. Der „Baby-Blues“ – drei Tage nach der Geburt. Die Frau macht eine extreme hormonelle Umstellung mit. Der Oxytocin-Wert fällt, dafür bildet sich mehr Prolaktin, was fürs Stillen wichtig ist. Emotional geht´s rauf und runter. Das ist oft am nächsten Tag schon wieder besser. Manche Frauen brauchen länger, weil sie in einer Art Schockstarre sind. Ihnen wird bewusst, dass sie jetzt ein Leben lang Mutter sind. Wenn diese postnatale Depression länger als zehn Tage dauert, sollte man sich Hilfe holen. Daraus kann sich Stufe drei entwickeln, eine Psychose. Aus diesem Loch kommen die Mütter allein nicht mehr raus. Sie können ihr Kind nicht versorgen, nicht wickeln, nicht stillen. Diese Bindungsstörung kann für immer sein und zum Suizid führen, wenn man nichts tut.
Welche Auswirkungen hat die fehlende Liebe auf das Baby?
Eine leichte Bindungsstörung in den ersten Tagen hat keine großen Auswirkungen, erst eine langanhaltende Depression oder Psychose. Die Kinder können Angstzustände bekommen, werden nicht selbständig, hinken in der Entwicklung hinterher, bis hin zum Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS). Diese Zeit ist nicht mehr aufzuholen.
Kann man helfen, wenn die eigene Frau, Freundin oder Schwester von einer postnatalen Depression betroffen ist?
Da sein, reden, Sicherheit geben und Verständnis zeigen. Die Frau macht das ja nicht mit Absicht. Als Hebamme streichelt und berührt man die Frau, um ihr Geborgenheit zu geben, oft schon vor der Entbindung. Re-Bonding ist eine weitere Möglichkeit. Die Geburt wird nachgestellt, das Baby gebadet und dann nackig gekuschelt. Dieser Haut-auf-Haut-Kontakt bringt sehr viel. Dabei werden extrem viele Liebeshormone ausgeschüttet. Wenn die Mama krank ist und dazu nicht in der Lage ist, kann das der Vater oder auch jede andere Person übernehmen, die dem Kind Geborgenheit gibt und es behütet.
Was raten Sie jungen Müttern die nach der Geburt unter einer Depression leiden?
Holt Euch Hilfe. Es gibt Anlaufstellen, in vielen Städten zum Beispiel „Donum Vitae“ oder “KoKi“. Da arbeiten Kinderärzte, Hebammen, Psychologen und das Jugendamt zusammen. Dieses Netzwerk ist darauf ausgerichtet, sofort zu helfen.
Frau Kogler, vielen Dank für das Gespräch.
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