Alt, krank, gequält! Auf dem Hof finden diese Tiere ein neues Zuhause. Alles begann mit einem schweren Unfall.
Eine Reportage von Ina Krug
Ein Schritt zurück zur falschen Zeit. Bei einer Generalprobe an der Semperoper in Dresden stürzte Bariton Ludwig Baumann in den Orchestergraben und verletzte sich schwer am Rücken. Dieser Schritt zurück war der erste Schritt zur Grundsteinlegung für den Tierschutzhof auf Gut Immling.
Das versteckte Paradies
Prutting, Bad Endorf in Richtung Halfing. Nach etwa einer viertel Stunde ein großes Schild: „Gut Immling“ links abbiegen. Die Häuser und Höfe werden weniger, die Felder mehr, die Straße schmaler. Sie windet sich wie eine Schlange durch grüne Kissen. Die Felder gehen in einen dichten Wald über. Die Kronen der Bäume schließen sich wie ein grüner Tunnel. Immer wieder durchbrechen Sonnenstrahlen dieses Dach. Die Blätter leuchten, kleine Lämpchen in unterschiedlichen Grüntönen. Am Ende dieses grünen Tunnels: Eine andere Welt. Sie öffnet sich, wie Lungen, in die beim Einatmen frische Luft strömt.
Am Straßenrand die ersten Koppeln, zwei Pferde heben den Kopf. Holzzäune, ein erstes altes Bauernhaus, dann noch eins, eingewachsen in ein Meer aus Sträuchern, Bäumen und Blumen. Die Stimme im Navi sagt: „Sie haben ihr Ziel erreicht! Gut Immling“. Der Ort wo sich jedes Jahr im Sommer über 20.000 Menschen die Aufführungen des Opernfestivals ansehen…und der Ort, an dem fast hundert Tiere leben, die sonst schon tot wären.
„Wir haben den gleichen Gendefekt, wir lieben Tiere“
Ein Mann mit weißen Haaren, weißem Hemd, blauem Pullunder und sandfarbener Hose: „Ich bin Klaus Oberfeld“, sagt er freundlich. Klaus Oberfeld ist Chef einer Firma für Siebdruck und Werbung, wenige Kilometer von Gut Immling entfernt. Er ist seit 12 Jahren Mitglied im Verein Pferdeschutzhof Gut Immling e. V. und einer der besten Freunde Ludwig Baumanns. Er wird für ihn heute über den Hof führen. Baumann ist der Intendant des Opernfestivals und Vorsitzender des Vereins. “Wir haben den gleichen Gendefekt“, sagt Oberfeld lachend, „wir beide lieben Tiere.“
Ein schwerer Unfall war Grundstein für den Gnadenhof
Ludwig Baumann war erfolgreicher Opernsänger. Der Bariton sang auf den großen Bühnen der Welt, bis zu seinem schweren Unfall. Bei einer Generalprobe an der Semperoper in Dresden stürzte er beim Rückwärtslaufen in den Orchestergraben und verletzt sich schwer am Rücken. 18 Monate ging es von Arzt zu Arzt, von Krankenhaus zu Krankenhaus. Lange war unklar, ob er jemals wieder singen können würde. Als er sich wieder einigermaßen fit fühlte, sucht er nach einem Grundstück für einen Reiterhof und wurde fündig. Baumann verliebte sich in einen verlassenen Bauernhof, pachtete ihn und baute eine Reithalle. Damit schuf er sich eine neue Exsistenz. „Dazu hatte er immer ein offenes Auge, wenn er woanders Tiere leiden sah“, sagt Klaus Oberfeld. Singen kann Baumann übrigens inzwischen auch wieder.
100 Tiere – 100 Schicksale
„Einmal haben wir mehrere junge Hengstfohlen aus einem völlig überfüllten Viehtransporter geholt.“ Der war auf dem Weg zum Metzger nach Spanien. Eines dieser Tiere war knapp vier Monate alt und hätte noch die Muttermilch gebraucht. Also hat man den Besitzer ausfindig gemacht und die Mutter gekauft. „Das Jungtier ist trotzdem gestorben, die Stute lebt heute noch auf dem Hof“, sagt Oberfeld und muss plötzlich schmunzeln. „Ein paar Monate später ruft mich Ludwig Baumann an: Klaus du bist heute Nacht Vater geworden.“ Die Mutterstute, die wir damals geholt hatten, war da offenbar schon wieder trächtig, und keiner hat es geahnt.
Im Laufe der Zeit sind neben Pferden andere Tiere dazu gekommen: Schafe, Ziegen, Hasen, Hühner, Vögel, Auerochsen und Lamas. Knapp 100 Tiere leben derzeit auf dem Hof, in liebevoll eingerichteten Gehegen. Alles ist selbst gebaut. In einem Gehege stehen blaue Plastikwannen, gefüllt mit Wasser. Eine Ente badet darin. Sieht einfach aus, ist es aber nicht: Das Gut hat keine öffentliche Wasserleitung, sondern nur eine Quelle.
„Haben Sie Angst?“ fragt Oberfeld und öffnet langsam das nächste Gatter. Der erste von fünf Eseln läuft auf uns zu. Wie er heißt, weiß Oberfeld nicht, „der Ludwig Baumann wüsste das, der kennt alle Tiere beim Namen.“ Die meisten werden nach Figuren aus Opern benannt. Fast immer sind es Opern, die in jenem Sommer aufgeführt wurden, als das Tier auf den Hof kam. Etwas weiter hinten im Stall stehen zwei Kühe. Sie sehen aus, als wären sie beim Waschen eingelaufen. „Das sind Zwergkühe, die sind vorher im Zirkus aufgetreten. Ein Reiter hat sie dort mit dem Lasso eingefangen“, sagt Oberfeld.
Zu jedem Tier gibt es eine Geschichte. Manche wurden von ihren Besitzern abgegeben, weil sie alt oder krank waren. Andere zum „Übergang abgestellt und nie wieder abgeholt“, einige auch vor die Tür gestellt. Wie beispielsweise ein Korb voller junger Katzen vor ein paar Jahren.
Der eigene Kampf ums Überleben
Wenn man kranke und alte Tiere aufnimmt, ist der Tierarzt immer im Haus. Das ist ein Problem für den Verein, der sich über Mitgliedsbeiträge, Patenschaften und Spenden finanziert. Etwa 60 Mitglieder hat der Verein derzeit, 20 engagieren sich aktiv. Sie helfen den zwei Festangestellten und der Halbtagskraft beim Ausmisten und Versorgen der Tiere, organisieren Feste und Aktionen, um Geld zu sammeln.
„Die tägliche Sorge, wie geht es weiter, hört nie auf.“ Die Hauptlast trägt aber Ludwig Baumann. Es fließt viel von seinem privaten Geld in den Verein. Oft gab es Krisensitzungen, aber „irgendwie haben wir das immer hinbekommen“, sagt Oberfeld. Für die Oper finden sich immer Unterstützer und Sponsoren. „Die Oper hat Prestige, die Tiere nicht.“ Die Menschen sind begeistert von der gespielten Oper, dem Sonnenuntergang in der Pause bei einem Schoppen Wein, aber die Tiere gehen ihnen nicht unter die Haut. „Den Leuten muss klar werden, dass dieses Paradies nur durch die Tiere lebendig wird“, sagt Oberfeld. Das Geld vom Opernfestival für den Gnadenhof zu verwenden, geht nicht. Beides wird finanziell streng getrennt.
„Wer hier ist, gehört zur Familie“
Die Tiere wieder herzugeben, ist keine Option. „Das will Ludwig Baumann nicht, der gibt eigentlich kein Tier mehr ab“, sagt Oberfeld lachend und fügt hinzu: „Wenn man mal hier ist, gehört man dazu, dann ist man Teil der Familie. Es geht ums Vertrauen, irgendwann muss man wissen, da gehöre ich hin und dann is a Ruh.“
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Titelfoto: Ina Krug