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Inobhutnahme – Halt für traumatisierte Kinder

Können Kinder, deren Wohl zu Hause gefährdet ist, wieder vertrauen? Ein Mitarbeiter einer Kinderschutzstelle antwortet.

2015 wurden 62.544 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren wegen Gefährdung aus ihren Familien herausgenommen. Rund 15.000 begaben sich auf eigenen Wunsch in Inobhutnahme einer Kinderschutzstelle.

Ein Interview von Sonja Müller

Die von Ihnen betreuten Kinder haben eine massive Störung ihres Urvertrauens erfahren. Ist der Aufbau von Vertrauen seitens der Kinder überhaupt wieder möglich? 

Das ist eine wichtige Frage. Ein Kind befindet sich in einer schwierigen Situation, wenn es in die Gruppe kommt. Es braucht Personen, die es auffangen und eine Beziehung zu ihm aufbauen. Diese Beziehung darf aber nicht zu eng werden.

Inwiefern?

Inobhutnahme ist nur auf eine begrenzte Zeit angelegt. Bei einer zu engen Bindung würde man das Kind erneut in eine schwierige Lage bringen, sobald es die Gruppe verlässt. Unsere Betreuer haben auf diesem Gebiet viel Erfahrung und tauschen sich regelmäßig aus. Außerdem erhalten sie Unterstützung von unseren Psychologen im Haus.

Was unternehmen Sie konkret, um das Vertrauen der Kinder aufzubauen?

Wir vermitteln den Kindern Zuverlässigkeit. Sie bekommen einen stabilen Rahmen mit Strukturen. Die Kinder spüren, da sind Personen, die Versprechen halten. Das ist die Grundlage für Vertrauen. Bei uns gibt es ein Bezugsbetreuersystem. Jedes Kind bekommt einen Bezugsbetreuer, der sich um organisatorische Belange kümmert. Die Person geht unter anderem mit dem Kind zu Arztterminen oder neue Kleidung einkaufen.

Welche Rolle spielen die Eltern während des Aufenthalts der Kinder in Ihrer Einrichtung?

Idealerweise sollen die Kinder in ihre Familien zurückkehren. Die Eltern werden deshalb miteinbezogen. Sie haben einmal in der Woche Besuchskontakt und feste Telefonzeiten. Die Besuche werden anfangs von uns begleitet und gegebenenfalls bis zur Tagesbeurlaubung erweitert. Diese positiven Erfahrungen sollen das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern verbessern. Wir führen auch regelmäßig Gespräche mit den Eltern, wobei wir uns neutral verhalten und ihnen gegenüber wertschätzend auftreten.

Was passiert, wenn die Eltern mit der Inobhutnahme nicht einverstanden sind?

Die meisten Eltern sind kooperativ. Bei den Eltern, die nicht einverstanden sind, ist die Problemeinsicht nicht gegeben. Deshalb sind sie von der Inobhutnahme nicht überzeugt. Das macht es den Kindern schwer, sich bei uns wohlzufühlen. Es gibt aber auch Situationen, in denen die Eltern überfordert sind und selbst um Inobhutnahme des Kindes bitten. Das Vertrauen der Eltern ist wichtig, damit auch die Kinder Vertrauen zu uns aufbauen können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Weiterführender Link:

Statistisches Bundesamt

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