Im Labyrinth der Bücher

Der Raum ist wie eine Höhle – eine Bücherhöhle. Ein korpulenter Mann mit Glatze sitzt zusammengesunken zwischen den Zeugnissen einer Vergangenheit. Im Schein eines Lichtkegels betrachtet er mit einer Lupe die Seiten eines 300 Seiten starken Wälzers mit vergilbten Stichen. Der Mann wird heute der einzige zahlende Kunde im Antiquariat sein. ein Interview von Eva Schatz

Gut 20 Quadratmeter misst der Raum, in dem sich unzählige Bücher, Folianten, vergilbte Fotoalben und Mappen mit historischer Druckgrafik stapeln. Dazwischen schmale Gänge, durch die man das Geschäft betreten kann. Hier gibt es Bücher in jeder Form. Die zart türkisenen Regalböden biegen sich unter 3000 alten Bänden, auf dem Verkaufstresen lagern alte Dokumente, Postkarten, Drucke. Im Raum hängt ein Geruch nach altem Papier.

Fressläden statt Bücher

Hans Bayer*, ein Herr in den Siebzigern, akkurat geschnittener Schnauzbart, Krawatte, Cardiganjacke, betreibt sein Antiquariat seit 1967. „Hier im Universitätsviertel ist längst jedes Geschäft ein Fressladen“, stöhnt er. Dort, wo sich in „guten Zeiten“ die Schwabinger Künstler und Sammler die Klinke in die Hand gaben, trifft sich heute das junge Szenevolk – in Restaurants und Kneipen.

Bücher über Bücher: Die Regale im Antiquariat biegen sich  (Foto:© Eva Schatz)

Viel ist nicht mehr übrig von seinem Bohemien-Traum. Seit dem Internetboom haben hier sechs Antiquariate dicht gemacht. Er nimmt ein Buch aus dem Regal: „Schauen Sie mal“, sagt er und streicht über den Einband. „Das ist eine Originalausgabe von 1880“. In goldenen Lettern prunkt der Titel auf dem Leinen. „Hat mal 200 Euro gekostet. Kriegen Sie heute für ein Viertel des Preises.“ Die Preise sind gefallen, das antiquarische Buch ist aus der Mode. Der Zeitgeist hat sich geändert.

Das Internet als neuer Experte

„Es gibt heute viele halb professionelle Privatiers, die auf Ebay Bücher schachern. Jeder mischt mit.“ Der Beruf des Antiquars stirbt aus. Bayer legt die Stirn in Falten. „Wenn ich heute den Preis für ein Buch nenne, kann ich davon ausgehen, dass es der Kunde für deutlich weniger im Netz findet. Meine Erfahrung als Antiquar zählt da Null.“ In seinem Geschäft stapeln sich unter dem Verkaufstisch Amazon-Pakete. Hans Bayer winkt ab. „Da bestellen die Nachbarn, ich nehme es halt an, was soll es, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.“ Die meisten antiquarischen Buchhändler können sich die teure Citylage in München nicht mehr leisten. Sie wandern ab ins Private, handeln von ihren Wohnungen aus oder verlegen das Geschäft ganz auf das Internet.

Die Eingangstüre geht auf, der graue Linoleumboden knarzt leise, ein junger Mann mit Vollbart betritt den Laden und zückt ein Handy. Er deutet auf sein Display: „Haben Sie so eine Karte?“ Bayer holt seine Lupe. „Aha, das Gebiet vom Kosovo bis Deutschland.“ Er blättert in einem alten Katalog und reicht ein gefaltetes Papier über die Ladentheke. Der junge Mann prüft die Karte, dann legt er sie auf die Theke und geht grußlos.
An manchen Tagen kommt niemand in den Laden in der Schellingstraße, manchmal sind über den Tag verteilt zehn Kunden da.

Alles für einen Euro. Die Preise für gebrauchte Bücher verfallen ( Foto: © Eva Schatz)

Aber auf das Internet will sich Hans Bayer nicht verlegen. Zwar bietet er auf einigen Seiten Bücher an. Auf seiner Visitenkarte aber steht keine Webadresse. „Ich bin wie die Kutschfahrer, die von den Autos verdrängt worden sind“, sagt Bayer und dabei kneift er seine Augen zusammen. „Ich mag es einfach nicht, dieses Digitale. Das ist nicht mehr meine Welt.“ Seinen größten Umsatz macht er auf der Auer Dult am Mariahilfplatz; vier Mal im Jahr. Hier gehen zahllose Bücher zwischen einem und acht Euro über den Verkaufstisch. „Das mag ich, viele kleine Unterhaltungen, Fachsimpeln über Bücher, der direkte Kontakt mit dem Kunden, da kann ich noch viel dazulernen.“ Doch den Großteil der Zeit verbringt er in seinem Ladengeschäft.

Brockhaus für 14 Euro

Eine Frau Mitte fünfzig betritt das Antiquariat. Sie trägt eine große Reisetasche: „Ich biete Ihnen ein Brockhaus Lexikon von 1905, 24 Bände in Halbleder gebunden.“ Hans Bayer schüttelt den Kopf: „Dafür bekommen Sie auf Ebay gerade einmal 14 Euro.“ Lexika sind eine aussterbende Gattung, werden weder neu noch alt nachgefragt. Zu schnell ändern sich die Bezüge, wer etwas sucht, googelt es im Vorbeigehen.

Auch der Globus ist nicht mehr ganz aktuell ( Foto: © Eva Schatz)

Weil Hans Bayer Rente bezieht, kann er sich sein Antiquariat noch leisten. Aber das ist reine Liebhaberei. Eine Maßnahme gegen das Alleinsein. Ob er sentimental ist, vergangenen Zeiten nachweint? Alte Bücher gehörten früher in jedes Wohnzimmer eines Bildungsbürgers. Sie waren mehr als Ausstattungsgegenstände. „Für mich ist das der Verlust der Wohnkultur“, sagt Bayer leise. Heute interessiert sich nur mehr ein ganz kleiner Kreis für antike Bücher. Und das sind meist alte Leute. „Bücher sind längst Gebrauchsgegenstände. Der Zauber ist weg.“ Einen Nachfolger gibt es nicht. Irgendwann wird im Univiertel dann wohl ein neuer Szeneladen einziehen.

* Name von der Redaktion geändert

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Wandel – dieser Begriff zieht sich wie ein roter Faden durch mein berufliches Leben. Denn langweilig wird mir als Kommunikationswissenschaftlerin nicht so schnell. Was in keiner Position fehlen darf, ist das Schreiben. Stationen in meiner Laufbahn waren unter anderem die Kinder- und Jugend Medienforschung, Journalismus, Pressearbeit und Positionen als Pressesprecherin. Am liebsten aber schreibe ich für Kinder; Kinderbücher, Gedichte und Kurzprosa.