Subkultur Hörspiel: Im Wandel der Digitalisierung
Deutschland gilt als Hörspiel Mekka. Aber selbst hier fristet es ein Nischendasein. Fast unbemerkt hat sich in den letzten 15 Jahren eine ganze Subkultur entwickelt. Wo hat diese Subkultur ihren Ursprung? Mit welchen Herausforderungen haben kleine Labels in der digitalen Welt zu kämpfen? Ein Besuch beim Independent Label Lindenblatt Records in München. eine Reportage von Julia Rank
Ein kleines Einfamilienhaus in einem Vorort von München. Im Keller ist eine besondere Tür. Ihre Oberfläche ist mit einem grauen Langhaarteppich überzogen. Dahinter ein kleiner, plüschig ausgekleideter Raum, nichts für Klaustrophobiker. In der Mitte ein Mikrofon, das auf seinen nächsten Einsatz wartet. Diese Sprecherkabine und eine viereckige, ein Quadratmeter große Schallmatte an der Decke, verleihen dem Raum Studioflair. Das ist das brandneue BASSWOOD Studio von Stefan Lindner, dem Gründer von Lindenblatt Records. Ansonsten braucht es heutzutage nicht mehr viel. Ein Computer, gute Lautsprecher, fertig ist das Studio. Dank sei der Digitalisierung? Stefan streicht sich sein langes Haar hinters Ohr. In diesem Jahr wird sich entscheiden, wie viele Hörspiele hier in Zukunft produziert werden.
Mehr als sprechende Elefanten – Das Hörspiel wird Erwachsen
„Das Problem der Hörspielszene ist, dass die meisten zwar in ihrer Kindheit Hörspiele gehört, sie dann aber aus den Augen verloren haben. Deswegen bekommen sie gar nicht mit, dass es Hörspiele aller Genres für Erwachsene gibt.“
Auch für Stefan waren Hörspiele als Teenager irgendwann nicht mehr „cool“. Bis er John Sinclairs 2000er Edition hörte. Dank der technischen Entwicklung hatte die Soundästhetik ein bis dahin unbekanntes Niveau erreicht.
Das war schon etwas ganz neues. Als ich das gehört hatte, blieb mir der Mund offen stehen. Das war fettester Hollywood Sound, Kino für die Ohren.
Es gab dafür sogar eine Art akustischen Kinotrailer. Der Erfolg dieser Produktion von Lübbe, unter der Regie von Oliver Döring, ist auch aus heutiger Sicht außergewöhnlich. Der Inhalt richtete sich nun nicht mehr an Kinder, sondern an Jugendliche und Erwachsene. „Die Skripte waren anders geschrieben, der Action und Brutalitätsfaktor war höher.“ Synchronstimmen gesellten sich zu den klassischen Hörspielsprechern ans Mikrofon. Es entstanden immer mehr Produktionen, die, wenn es nach der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) ginge, keine Jugendfreigabe erhalten würden. Doch gibt es vom Gesetzgeber keine Altersvorgaben für Hörspiele.
„Es wurde ein regelrechter Boom ausgelöst. Viele große und kleine Labels wollten ihre eigene Hörspielserie haben.“ Doch schwamm auf der Welle auch viel Mittelmäßiges bis Schlechtes mit. Das habe viele potentielle Hörer abgeschreckt. Folglich war der Markt „aufgebläht mit viel Schrott und ist dann wieder zusammen gebrochen“. Ein paar Branchenkenner wollten das Medium um 2007 sogar schon für Tod erklären. Doch tot Gesagte leben bekanntlich länger.
Die Geburt der Hörspiel Independent Labels
So wie das Hörspiel wuchsen auch seine potentiellen Hörer aus ihren Kinderschuhen und waren durch den neuen Input wie John Sinclair inspiriert, ihren eigenen „Film“ zu vertonen. „Es wäre undenkbar gewesen, dass Leute wie wir uns Bandmaschinen in den Keller stellen. Das wäre nicht bezahlbar gewesen“, erklärt Stefan. Der technische Fortschritt ermöglichte es jedoch vielen Fans nach der Jahrtausendwende, in den eigenen vier Wänden ihr Studio einzurichten. Man war nicht mehr auf die wenigen Studios mit entsprechendem Equipment angewiesen. So entstanden viele kleine Labels, wie Lindenblatt Records, die qualitativ hochwertiges produzieren.
„Die Digitalisierung macht es für Leute wie uns erst möglich, so etwas zu produzieren und die Menschen überhaupt wieder auf Hörspiele aufmerksam zu machen.“
Sie bedienen aber nach wie vor ein „Liebhaber-Nischenpublikum“. Selbst bekannte Hörspielreihen seien nicht immer unbedingt kommerziell erfolgreich. „Es ist im Interesse aller, den vielen potentiellen Hörern klar zu machen, dass es sowas gibt. Für viele Leute ist es nach wie vor das Kindermedium.“ Im Gegensatz zum Hörspiel verkauft sich das Hörbuch gut. Mit einem Sprecher und wenig Sound ist es einfacher und günstiger zu produzieren. Bisher hat das Hörspiel nicht von dessen Erfolg profitiert. Doch Stefan ist überzeugt, dass es „das Potential hat, ein viel größeres Publikum zu erreichen“. Oftmals seien es nur „ein paar hundert Käufer“, die fehlen, um von einem erfolgreichen Produkt zu sprechen.
Ein Drama? – Globale Großkonzerne treten auf
„Es gibt momentan wieder einen Schub, aber ich bin mir nicht sicher, inwiefern Independent Label davon profitieren werden.“
In Amerika gewinnt das Medium seit einigen Jahren an Popularität. „Disney und Marvel machen relativ erfolgreich Superhelden-Hörspiele.“ Die Amazon Tochter Audible produziert seit 2014 mit großem Budget eigene Hörspielreihen, wie Monster 1983, die in Deutschland sehr erfolgreich sind. Dennoch dominiert auch auf dieser Plattform nach wie vor das Hörbuch. Stefan sieht in den Produktionen der großen Konzerne die Chance, dass die Leute so auf die Existenz der Hörspiele für Erwachsene aufmerksam werden und auch auf den Hörspiel-Indi-Markt stoßen. „Independent Labels könnten davon profitieren, dass die Leute sich fragen, was es in dem Bereich noch so gibt. Dabei werden sie dann feststellen, dass sie die letzten 15 Jahre verschlafen haben und es einen immer größer werdenden Markt für Erwachsene gibt.“ Die Gefahr, dass die kleinen Labels dadurch potentielle Hörer verlieren könnten, sieht er bisher nicht. „Das Potential an Hörern ist noch so wenig ausgeschöpft, dass jeder, der in dem Bereich Erfolg hat, dem gesamten Medium Hörspiel hilft.“
Eine reale Bedrohung für Independent Labels wie Lindenblatt Records sieht er in den großen Streaming Plattformen.
Streaming tötet Kunst – ein trauriges Kapitel
„Wie auf dem Musikmarkt auch, ist das Streaming das Problem, weil es legal ist. Im Gegensatz zur illegalen Raubkopie gehen hier nicht mal die Verlage auf die Barrikaden. Es bleibt einzig und allein am Künstler hängen. Besonders die Kleinen bekommen das zu spüren.“
Das Konsumieren von Unterhaltung in Form jeglicher Medien, läuft immer mehr auf das Streaming hinaus. Große Konzerne bieten Flatrates zum Spottpreis an. Stefan weiß, dass diese Entwicklung nicht aufzuhalten ist: „Gegen das Streaming angehen ist Quatsch. Man muss an dem System etwas ändern. Wer was wofür bekommt. Alle verdienen Geld beim Streaming außer dem Künstler.“ Wenn sich das nicht ändert, wird das für viele kleine Labels schwere Folgen haben. Stefans Ärger über diesen Zustand ist ansteckend.
Du hast ein kleines Label, die Produktionen werden tausendfach konsumiert, aber du kriegst nichts dafür. Wenn alle, außer Dir, etwas daran verdienen, ist das frustrierend. Wenn sich da nicht etwas an den Verkaufswegen und der Verteilung ändert, tötet es Kunst.
Im schlimmsten Fall werden dann nur noch große Konzerne mit hohem Budget ihre Hörspielreihen produzieren können. Die kleinen Labels werden gezwungen sein, mit wenig Budget auf Kanäle wie YouTube auszuweichen, um sich durch Werbung die Produktion zu finanzieren. „Das sind lächerliche Beträge und trotzdem verdienst du dabei mehr, als wenn jemand legal deine Sachen über Streaming Plattformen konsumiert.“ Wer kleine Labels und künstlerische Vielfalt erhalten möchte, sollte am besten im Label-eigenen Shop kaufen.
Wie hätten Sie’s denn gern? – CD oder Download?
„Ich persönlich hänge noch am Tonträger. Ich finde es schön, etwas in der Hand zu halten, etwas aufzuklappen und zu lesen und würde deswegen sehr gerne weiterhin CDs machen.“
Auch wenn CDs im Verkauf weniger rentabel sind als Downloads, wird Stefan beides weiterhin in seinem Label-eigenen Online-Shop anbieten. In der Musikwelt gibt es seit einiger Zeit einen Trend zu aufwendig gestalteten Special Editions mit Bonus Material für Sammler. Stefan plant auch Vergleichbares für seine Hörspiel-CDs. Denn neben der Musik legt er großen Wert auf die Optik. In Zukunft möchte er aufwendige Booklets für die Tonträger gestalten, die man aber ebenso als Download erhält. Auch Extras wie Outtakes und Behind the Scenes Material sind vorgesehen. Er würde auch gerne ein Abonnementsystem für Hörspielserien aufbauen. Hier trifft analoge Detailverliebtheit auf digitalisierte Schnelllebigkeit. Lindenblatt Records bietet Entschleunigung für die Seele.
Weiterführende Artikel:
Unerhört gut: Die Hörspiele von Lindenblatt Records