Wertewandel der Gesellschaft aus christlicher Sicht
Der Kapuzinerorden ist ein weltweiter katholischer Männerorden, der 1528 aus der franziskanischen Bewegung eine eigene Gemeinschaft bildete. Er steht nicht nur Gläubigen offen, sondern auch jenen, die nach Seelsorge oder Kontemplation suchen. Josef Parzinger, 54 Jahre alt, im Konvent Bruder Marinus genannt, ist Provinzial der deutschen Kapuzinerprovinz.
ein Interview von Sinje Krieger-Pflaume
Im Gespräch mit Provinzial Bruder Marinus Parzinger, Kapuzinerorden St. Anton, München
Br. Marinus, sehen Sie das Werteverständnis unserer Gesellschaft im Wandel?
Ich glaube, dass in der jungen Bevölkerung die Menschen durchaus Werte haben und danach streben, zum Teil sogar sehr hohe Ideale, wenn es um Partnerschaft geht. Die Gesellschaft steht unter einem hohen Druck. Wir müssen uns anpassen, flexibel sein. Die Leute sind randvoll mit Inhalten und Informationen. Es geht darum, nicht noch mehr im Kopf zu haben, sondern es geht um Erfahrung.
Kann ein Orden noch Werte, Kraft und Mut vermitteln?
Wir im Orden sind begrenzt. Wir können nicht Vorträge halten oder belehren. Wenn ich zuhöre und zeige, dass ich da bin, kann allein das schon eine Hilfe sein. Aber wir merken auch, dass wir da immer wieder scheitern.
Wie sehen Sie die Verantwortung der Regierung, Rassismus mit menschlichen Werten entgegen zu treten?
Wenn ich Fachleuten glauben kann, ist sicher viel versäumt worden. Wir haben jetzt in der Gesellschaft eine Haltung gegen Einwanderung, Migration, generell Fremde. Das sind ganz breite Bevölkerungskreise, die ängstlich und irrational reagieren. Dagegen ist zu argumentieren und zu sagen, was man denkt. Es muss erst mal eine Sprache gefunden werden, um dagegen zu gehen. Man muss sich fragen, was können wir nachhaltig tun, dass sich jemand einlässt?
Ich bin in einer Klostergemeinschaft anders getragen
Sind Sie innerhalb der Klostermauern mit Überlastung und Burnout konfrontiert oder durch den Orden besser aufgehoben und geschützt als die Gesellschaft?
Ich glaube schon, dass das Umfeld eine Rolle spielt. Die klösterliche Lebensweise in der Gemeinschaft, in der ich nicht nur mein Zimmer habe, ist ein Vorteil. Auch von der Sorge entbunden zu sein, wie ich mein Leben finanziere, wie es weiter geht, erleichtert. Ich bin in einer Klostergemeinschaft also schon mal anders integriert und getragen. Dann hilft uns Stille, Gebet, Lektüre und schauen, was nehme ich in mich auf, nicht nur blind konsumieren. Ich darf etwas tun, das ich als sinnvoll erfahre und für das ich mich in meiner Berufung entschieden habe.
Können Sie im Orden andere Werte leben als die Gesellschaft, in der es mehr um Individualismus als Gemeinschaft geht?
Ja. Also, ich will nicht unterstellen, dass das andere nicht ähnlich tun. Aber hier ist von vornherein klar, ich gehe in eine Gemeinschaft und kann keinen egoistischen Kurs fahren.
Menschen sollten Hoffnung haben
Worin sehen Sie den Grund, dass sich so viele Menschen von der Kirche abwenden?
Bindungen sind fragil geworden. „Das gibt mir nichts mehr“ habe ich öfter gehört. Es kann Menschen aufrütteln, einen Papst zu sehen, der eine gute Ideologie hat.Geld spielt eine Rolle. Manchen ist es einfach zu viel. Sie arbeiten die ganze Woche und möchten am Wochenende endlich Zeit für die Familie haben. Also gehen sie nicht in die Kirche. Negative Erfahrungen mit Kirchenmitgliedern führen auch oft zu Austritten. Ein Beispiel: Wenn jemand in einer Beichte sagt, er habe jemanden umgebracht, bekommt er eine Lobsprechung dafür. Kommt aber jemand, der sagt, er sei Christ, könne jedoch in seiner Beziehung nicht mehr leben und habe jemand neuen gefunden, mit dem er glücklich sei, so lebt der in der Sünde. Darin liegt für mich eine große Diskrepanz. Der Papst sagt, Gott sei kein Buchalter, er wolle, dass wir leben. Darin ist der Papst gut. Und im Leben gibt es falsche Entscheidungen und Probleme. Menschen sollten eine Hoffnung haben, weiter zu gehen.
Bruder Marinus, danke für das Interview.
(Veröffentlicht am 29.11.2016, Standard-YouTube-Lizenz, Kategorie Menschen & Blogs)