Zweiundzwanzig Stufen führen hinab in die Unterwelt. Hier, mitten in München aber verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit leben giftige Skorpione, meterlange Schlangen, faustgroße Spinnen sowie ein Pekinesen-Mischling in erzwungener Nähe – und Petra Taint unter ihnen.

Das Kellergeschoss der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität München birgt eine der größten Reptilienauffangstationen Deutschlands – und ist ein unwirtlicher Ort. Grauschwarze Fliesen, hellgraues Linoleum, dunkelgraue Türen. Die Deckenverkleidung gibt teilweise den Blick in ihr Innerstes preis. Ein langer fensterloser Flur dient als Arbeitsplatz, Aufenthaltsraum und Garderobe zugleich. Dekoriert mit grauschwarzen Spinden.

Doch die Menschen hier unten wirken alles andere als grau. Junge Männer und Frauen, fast alle in moosgrüner Arbeitskleidung und fast alle mit Zopf-Frisur, wuseln herum, witzeln und lachen. Sie hantieren mit Wasserschläuchen und Futtereimern. Machen sich an rechteckigen Glaskästen zu schaffen, in denen nur verdorrte Äste, Zweige und ein paar noch nicht ganz vertrocknete Blätter zu sein scheinen. Denn die meisten der gut getarnten Bewohner sind erst bei genauem Hinsehen zu entdecken.

Petra Taint leitet die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins und sticht in dieser Welt heraus: Hellblonde kurze Haare, dunkle Nerd-Brille, rot-weiß-geringelter Pulli. Nur die schwarze Hose und Schal scheinen eine Konzession an ihre Umwelt zu sein. Sie bittet in ihr Büro. Und hier wird die ganze Misere der Reptilienauffangstation deutlich:

Der schmale Raum beherbergt eine Schrankwand, davor drei Schreibtische, kleinere Schränke mit Terrarien. Dazwischen: Stapel von Kartons, Prospekten, Papieren. Natürliches Licht fällt nur durch die Abdeckung eines Kellerschachtes am oberen Rand des Zimmers. Drei Menschen arbeiten hier normalerweise, heute ist Petra Taint allein. Bis auf Tashi, ihre Pekinesen-Dame: Gefunden im Randstein, abgemagert, apathisch und dem Tod nah, dann aufgepäppelt und heute eine Art Stationshund. Ihr Name kommt aus dem Tibetischen und bedeutet „Glück“.

Schlangen sind Meister im Ausreißen

Tashi darf abends mit Petra Taint nach Hause, die anderen Mitbewohner des Büros dagegen nicht. Weder die Rossameisen oder der grüne Laubfrosch, noch die Pfauenaugen-Sumpfschildkröte und schon gar nicht die giftgrüne Umsambara-Buschviper, die sich grazil auf einen Ast gewickelt hat. „Schlangen sind Meister im Ausreißen“, erzählt Petra Taint. Erst kürzlich brachte die Feuerwehr wieder ein Exemplar zur Station, das ein Mieter in seinem Küchenschrank entdeckt hatte. „Die zwängen sich durch die kleinsten Spalten.“ Den Verweis auf den schmalen Türspalt der Buschviper-Behausung kontert sie gelassen: „Alle Giftschlangen-Terrarien sind mit Vorhängeschlössern gesichert.“

Und dort hinein greifen würde sie schon gar nicht. Erst neulich waren plötzlich drei, statt einer Buschviper in dem Terrarium. „Diese Schlangen gebären lebendigen Nachwuchs. Nur merkt man meist nicht, wenn sie schwanger sind.“ Die Kleinen hätten leider nicht überlebt, so Taint. Ebenso wenig wie deren Vater, der seine letzte Ruhestätte auf dem oberen Terrariumrand gefunden hat – konserviert in einem Marmeladenglas.

 

Die Reptilienauffangstation platzt aus allen Nähten. Kein Winkel des Kellergeschosses bleibt ungenutzt. Die Terrarien in den einzelnen Räumen stapeln sich bis unter die fast vier Meter hohen Decken. Nur mit Leitern erreichen die Pfleger die oberen Habitat-Etagen. Die Station beherbergt momentan etwa 1300 Tiere, die meisten stammen aus Privathaushalten. „Trennung, Umzug, Krankheit, Tod oder auch Familienzuwachs, die Gründe sind vielfältig“, erzählt Taint. 20 oder 30 Jahre sind kein Alter für Reptilien, das sollte man sich vor einer Anschaffung überlegen. „Wir haben nichts gegen Reptilienhaltung, so lange man die Tiere art- und verhaltensgerecht hält.“ Das heißt nicht, eine Schlange jeden Tag aus dem Terrarium zu nehmen, sich um den Hals zu legen oder auf das Sofa zu setzen.

Giftschlangen dürfen in Deutschland nicht ohne weiteres gehalten werden. Bayern hat dafür sehr strenge Auflagen. „Eine schwarze Mamba können Sie hier nicht halten.“ Vor Jahren war das noch anders, erklärt Taint: „diese Leute genießen eine Art Bestandsschutz für ihre Giftschlangen. Heißt für uns natürlich auch, dass wir die Gifttiere, die bei uns landen, nur sehr schwierig bis gar nicht weiter vermitteln können.“

Dazu bekommt die Station immer wieder Anrufe von angeblichen Giftschlangen-Funden. „Das sind dann meist Ringelnattern oder andere ungiftige einheimische Schlangen. Aber die Menschen kennen diese Tiere eben nicht mehr.“ Auch viele Reptilienhalter wissen zu wenig über die Lebensgewohnheiten ihrer Hausgäste, einer der Gründe, warum die Experten der Auffangstation sich für einen Sach-und Fachkundenachweis für jeden Besitzer aussprechen und den bereits einige Tierhalter-Verbände anbieten.

In der Auffangstation liegt ein leicht süßlicher Duft in der Luft. In den Räumen ist es warm, in manchen feuchtwarm. Fingerlange Kakerlaken krabbeln unter Glas und Schnappschildkröten paddeln in Wasserbassins. Futterheuschrecken wimmeln in einem offenen Behälter, fliegen wundersamer Weise aber nicht umher. Die Spinnentiere sind im Waschraum der Station untergebracht. Außer ihren Behausungen stehen hier noch zwei Waschmaschinen und auf einem Ständer trocknen Handtücher. Es ist offensichtlich, wie dringend die Auffangstation eine neue, größere Heimstätte benötigt.

Der Platz ist knapp. Die Auffangstation muss auf weitere Standorte ausweichen

Ein Neubau ist bereits in Planung, doch bis zum Bezug im Münchner Norden werden noch Jahre vergehen. Momentan muss auf zwei weitere Standorte ausgewichen werden: Im Tierheim München Riem wurde Platz für die exotischen Säuger der Station geschaffen. Hier leben Wasch- und Nasenbären, Weißbüschel-Affen und Japan-Makaken, sogar ein Marderhund. Tiere, die der Mensch gemeinhin als putzig ansieht.

In Freimann leben zur Zeit die Wasser-Exoten. Darunter zwei Mississippi-Alligatoren, die ihr Leben bis zur Rettung in zwei Kisten fristeten, kaum größer als die Tiere selbst. Daher lässt sich nicht mehr feststellen, wie alt die zwei sind, denn sie konnten in der Enge der Kisten nicht wachsen – eine Voraussetzung um ihr Alter zu bestimmen.

In einem der Stationsräume misst die 24-jährige Doktorandin Julia F. die Temperatur einer Kornnatter und deren Umgebung im Terrarium. Als kleines Kind hatte sie eine Schlange im Zirkus anfassen dürfen und ist seither fasziniert von diesen weichen und starken Tieren. Vor drei Jahren legte sich die zarte Studentin dann eine Königspython zu, „den Klassiker“, wie sie sagt. Die ungiftige Würgeschlange wird maximal zwei Meter lang und ist ängstlich gegenüber fremden Menschen: „ein kleiner Schisser“, erzählt Julia und lacht. Zu ihrem Haushalt gehört zudem eine Katze, die sich weder für die Schlange noch für deren zweiwöchentliches Futter interessiert – gefrorene Mäuse. Angeblich beruht dieses Desinteresse zwischen Säugetier und Reptil auf Gegenseitigkeit.

Den typischen Reptilienhalter gibt es nicht

Den typischen Reptilienhalter gibt es nicht, sagt Markus Baur, der Leiter der Station. Die Liebe zu bestimmten Tieren entwickelt sich aus den unterschiedlichsten Gründen. Bei Kinderführungen durch die Auffangstation erlebt er immer wieder, wie fasziniert einige der Kleinen von den Schlangen, Echsen, Schildkröten oder auch Spinnentieren sind. Am ehesten könne man heute von einer älteren Generation von Hobbyterraristen sprechen. In der Regel Männer, die besonders von der Technik rund um die Reptilienhaltung angezogen werden: dem Bau des Terrariums, dem Erreichen der korrekten Temperatur, der perfekten Heizmatte, dem geeignetsten Strahler. „Dafür gab es früher ein Vielzahl von Clubs und Stammtischen“, erzählt Baur, „aber das scheint eine aussterbende Spezies zu sein. Vergleichbar mit den Taubenzüchtern.“

„Achtung !!! Vorsicht, Giftschlangen !!!!“, schreien sieben Ausrufezeichen dem Besucher entgegen – an der Glastür zum Giftschlangen-Raum. Darunter hängt eine Vielzahl von Aufklebern: Sandrasselotter, Wüstenhornviper, Sandrennnatter, Bambusotter, Schwarznacken Speikobra, Gewöhnliche Lanzenotter. Jeweils versehen mit Hinweisen zu Giftwirkung und Erste-Hilfe-Maßnahmen – für den Fall der Fälle. Wird jemand gebissen, kommt er sofort mit dem entsprechenden Aufkleber ins Krankenhaus. Doch aus respektvollem Abstand betrachtet, faszinieren diese exotischen Kriechtiere. Wunderschön gemustert, schlängeln und schnuppern sie sich züngelnd durch ihr Refugium, recken ihre Köpfe und zeigen grimmige aber auch richtig freundlich dreinschauende Gesichter.

In der Reptilienauffangstation versuchen die Pfleger, die Terrarien ihren Insassen entsprechend zu strukturieren: Höhlen, Untergrund, Klettermöglichkeiten, schon einfachste Utensilien reichen dafür aus  – sogar Plastikblumentöpfe. Nur die Beschriftungen auf einigen Glasbehältern machen deutlich, warum die meisten der Exoten hier gelandet sind: „Sehr dünn, einmal die Woche füttern“, „Sorgenkind, beobachten“ oder „Mit Pinzette füttern, sieht vermutlich schlecht.“

Reptilien verdienen unseren besonderen Schutz

Reptilien sind äußerst leidensfähig, sie halten unglaublich viel aus. Und das ist es, was Petra Taint für diese Lebewesen einnimmt. „Sie können schrecklich leiden und dabei keinen Ton von sich geben“, sagt sie. „Und wenn sie doch schreien, hört es niemand. Das verdient unseren speziellen Fokus und einen besonderen Schutz.“

Dafür ist dem Verein jede Hilfe willkommen. Ob durch Tierpatenschaften, Geld- oder Sachspenden, ohne ihre vielen Helfer und Ehrenamtlichen könnte die Station kaum existieren. Denn die Vereinsmitglieder und Experten werden auch weiterhin tun, was getan werden muss: sich um das Wohl der meist ungeliebten und teilweise gefährlichen Exoten kümmern. Womit sie nicht nur Menschen vor giftigen Tieren schützen, sondern insbesondere die Exoten vor uns Menschen. Denn durch ihre Aufklärungsarbeit bietet die Reptilienauffangstation nicht nur ein umfangreiches Führungs- und Fortbildungsprogramm,  sie betreibt aktiv präventiven Artenschutz – für uns alle.

Fakten zur Reptilienauffangstation München e.V.