Portrait Matthias-Riedel Rüppel Intendant Kleines Theater Haar
Matthias Riedel Rüppel, Intendant Kleines Theater Haar, Foto: Sebastian Gabriel

Kultur leben, Kultur lieben

Das Kleine Theater Haar im Wandel der Zeit - ein Interview mit Intendant Matthias Riedel-Rüppel

5 min Lesezeit

Das Kleine Theater Haar (KTH), ein zauberhaftes Jugendstil-Juwel, liegt im Villen-Areal auf dem Gelände der Haarer Bezirkskliniken. Matthias Riedel-Rüppel ist seit 2015 verantwortlich für das traditionsreiche Haus. Wir treffen den Intendanten heute nicht vor, auf oder hinter der Bühne, sondern gut gelaunt im Home-Office.

Matthias, wie bist du eigentlich zum Theater gekommen?

Mein erster Kontakt zum Theater fand schon in meiner Kindheit statt. Meine Eltern haben meine Schwester und mich früh mit Kultur in Berührung gebracht. Bereits während meines Musikstudiums (Trompete) durfte ich für Orchester spielen und Theaterluft schnuppern. Als ich damals das erste Mal in einen Künstlereingang hineinging, hatte ich das Gefühl: Das hier ist dein zu Hause.

Das Kleine Theater Haar steht auf dem Klinikgelände des heutigen Isar-Amper-Klinikums München-Ost.

Das Kleine Theater Haar war vieles in seiner Vergangenheit: Apotheke, Bettenlager, Kino. Ist es für dich etwas Besonderes für dieses geschichtsträchtige Haus zu arbeiten?

Ja, unbedingt. Das Haus steht auf dem Gelände der ehemaligen Haarer Psychiatrie. Es wurde 1912 gebaut und hat viel Schönes erlebt, aber leider auch Schreckliches: Von hier wurden von 1939 bis 1945 viele psychisch erkrankte Menschen deportiert.

Da liegt natürlich eine Last auf diesem Ort, die intensiv aufgearbeitet wird. Der heutige Betreiber ist das kbo-Sozialpsychiatrische Zentrum, dessen Anliegen es ist sich um die seelische Gesundheit von Menschen zu kümmern.  

Im Rahmen einer sozialen Kulturarbeit wollen wir zur Entstigmatisierung von psychisch Erkrankten beitragen. Wir haben fünf Arbeitsplätze für Menschen, die sich durch die Theaterarbeit mit ihren Kompetenzen und Fähigkeiten neu definieren können.

Wie weit lässt sich der Inklusionsgedanke im KTH umsetzen?

Für mich ist Inklusion ein umfassender Begriff, jenseits von Behinderung, sexueller Identität, ethnischer Zugehörigkeit, religiöser Ansicht oder Alter.  Es geht darum, dass sich alle Menschen auf Augenhöhe begegnen können: Künstlerinnen, Gäste, Mitarbeitende! 

Die Freie Bühne München zeigt das Theaterstück Peer Gynt von Henrik Ibsen, eine Inszenierung von Ulf Goerkheim.

Bei uns spielt eine inklusive Theatergruppe. Wenn man so ein Stück sieht, ist spätestens nach fünf Minuten völlig egal, wer ein Mensch mit Behinderung ist und wer nicht. Aus so einem Ensemble kommt Luisa Wöllisch. Sie spielt in dem Film Die Goldfische, der teils hier auf dem Gelände gedreht wurde.

Zu Inklusion zählt unsere Anfangsuhrzeit. Wir beginnen im Theater bereits um 19 Uhr, damit auch Patienten aus der Klinik zu uns kommen können. Im Klinik-Alltag gibt es um 18 Uhr Abendessen und Abendmedikation. Danach ist ein Theaterbesuch möglich.

Selbst wenn eine Veranstaltung zweieinhalb Stunden dauert, wären die Patienten wieder rechtzeitig zurück in der Klinik. Dort werden um 22 Uhr die Türen geschlossen. Solche Dinge sind leicht umzusetzen und ein Beispiel dafür, wie man gesellschaftlich offen agieren kann.

Das Programm des KTH ist breit gefächert: Musik, Schauspiel, Kabarett und auch lokale Projekte. Wie bekommst du deine Ideen?

Als ich im Jahr 2015 im Kleinen Theater angefangen habe, war das Programm sehr kabarettlastig. Nach und nach habe ich den Spielplan und die Bereiche Musik und Schauspiel erweitert.

Portrait Ruediger Bach in einer Szene aus Holger F.
Schauspieler Ruediger Bach in einer Szene aus Holger F.
"Dinner with Gershwin oder doch nur Palatschinken im Dreivierteltakt....
Dinner with Gershwin oder doch nur Palatschinken im Dreivierteltakt,“ eine verrückt-musikalische Komödie.
Kabarettist Uli Heissig in seiner Paraderolle als Irmgard Knef.

Dabei ist es ganz wichtig, sich zu vernetzen, viele Leute kennenzulernen, mit Künstlern und Agenturen zu sprechen. Mit der Zeit kristallisiert sich heraus, dass dieses Netzwerk versteht, wie ich denke. Dann bekomme ich Vorschläge aus dem Netzwerk und kann so neue Ideen entwickeln. Ich glaube, das ist ein guter Weg, sich vielseitig aufzustellen. Das Haarer Publikum hat mittlerweile großes Vertrauen in meine Programmgestaltung gewonnen.

Es gibt auch den wöchentlichen Feierabend im Theater (FiT). Was hat es damit auf sich? 

Der Feierabend im Theater findet fast jeden Mittwoch statt. Ab 17 Uhr ist das Theatercafé geöffnet und ab 19 Uhr gibt es Live-Musik. Man kann kommen ohne eine Eintrittskarte zu kaufen. Die Künstler spielen auf Hut. Das heißt, die Leute werfen einfach ihr Geld in den Zylinder.

Die Hüte sind so gut gefüllt, dass ich mir keine Sorgen machen muss, ob eine adäquate Bezahlung stattfindet. Der FiT ist ein weiteres Angebot, auch für Menschen, die sonst nicht mit Theater in Berührung kommen.

Das KTH Sommer Open-Air präsentiert ein vielfältiges Programm auf der Außenbühne im Theatergarten.

Die Ticketpreise des Kleinen Theater Haar sind im Vergleich zu anderen Häusern äußerst moderat. Wie könnt Ihr das so gestalten?

Das ist ein großes Thema. Ticketpreise haben immer zwei Elemente. Zum einen muss ich mich darüber refinanzieren. Auf der anderen Seite repräsentieren sie einen Wert für den Künstler.

Wir bekommen Geld vom Bezirk Oberbayern und von der Gemeinde Haar. Damit wollen wir Kultur vor Ort ermöglichen, auch für Menschen, die keinen  so prallgefüllten Geldsäckel haben. Das geht nur, weil es politische Gremien gibt, denen die Kulturarbeit wichtig ist.

Allerdings gehen die derzeitigen Probleme auch nicht an uns vorüber. Es gibt Krieg, Inflation, Pandemie, Wirtschaftskrise, Klimakrise, aber auch eine richtig schlimme Kultur-Krise. Die Theater sind nicht mehr so gut besucht. Wir brauchen das Publikum!

Du verbringst sehr viel Zeit in deinem eigenen Theater. Hast du noch genug Energie und Kapazitäten, um Veranstaltungen außerhalb deines Hauses zu besuchen? 

Ich bin ein absoluter Kulturnerd. Für mich ist es ganz schwierig abzugrenzen, wann Dienst endet und wann Privatleben beginnt. Ich würde jetzt mal sagen: Ich lebe einfach Kultur und ich liebe Kultur.

Man geht zu Kollegen und wird von Schauspielern oder Regisseuren eingeladen. Da gehe ich gern hin, wenn´s geht. Durch die Kulturarbeit entstehen Freundschaften. Premieren an festen Häusern sind auch Freundestreffen.

Munich Classical Players im KTH
Die Munich Classical Players, das Kammerorchester aus jungen Musiker:innen bayerischer Musikhochschulen, begeistern mit emotionalen, mitreißenden Konzerten.

Gibt es Vorstellungen in deinem Theater, die dir als besonderes gelungen in Erinnerung geblieben sind?

Highlights gab es viele, sowohl schauspielerischer Art als auch im Bereich Musik. Ich liebe den Chanson Abend mit Tim Fischer. Völlig schräges Zeug finde ich auch toll. Selbst beim Volkstheater, was eher nicht so meins ist, habe ich großartige Theatermomente erlebt. Und die Darbietungen von der Freien Bühne München mit behinderten und nichtbehinderten professionellen Schauspielern sind sowieso etwas Besonderes.

Für mich ist eine Aufführung dann gelungen, wenn ich merke, dass zwischen den Protagonisten auf der Bühne und dem Publikum etwas passiert. Etwas Außergewöhnliches, das sonst so nicht stattfindet.

Des Künstlers größtes Lob ist der Applaus. Bekommst du in deiner Funktion als Gastgeber und Intendant des Kleinen Theaters Haar auch Feedback aus dem Publikum?

Die Leute, die zu mir kommen, sind meist sehr dankbar. Auch dafür, dass wir in den letzten zweieinhalb Jahren das Kulturangebot aufrechterhalten haben. Es gibt Leute, die rausgehen und nicht zufrieden sind. Das passiert zum Glück eher selten. Aber ich finde, das gehört dazu und das muss man aushalten. Kultur ist Geschmacksache, und darüber lässt sich am Ende des Tages nicht streiten.

Vor ein paar Wochen gab es sogar Lob von einem Künstler. Nachdem ich das Publikum begrüßt und Django Asül anmoderiert hatte, sagte dieser: Das sei die einzige Vorstellung eines Theater-Menschen, bei der er die nächsten Stunden auch noch zuhören wolle. Dieses Kompliment von Django hat mich sehr berührt.

Kultur gemeinsam erleben, Lebensfreude miteinander teilen, Unterhaltung und Qualität genießen

Intendant und Gastgeber Matthias Riedel-Rüppel im großen Saals des Kleinen Theater Haar.

Hier könnt Ihr als „KULTURRETTER*IN“ aktiv werden:

Kabarett, Lesungen, Schauspiel, Musik, Talks, Auftritte von SeelenART, Kunst und Ausstellungen

Spielplan und Tickets für das Kleine Theater Haar gibt es im Online Shop auf der Webseite

www.kleines-theater-haar.de

Let’s stream: KTH Digital ermöglicht einen virtuellen Theaterbesuch.

KLEINES THEATER HAAR, Casinostraße 6, 5540 Haar
Telefon: 089 / 890 56 98 10 info@kleinestheaterhaar.de www.kleinestheaterhaar.de

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Das Interview hat Birgitt Greim im September 2022 geführt.