von Sabine Hartleif
Gemeinsam statt einsam alt werden: Dieser Wunsch ist für acht ältere Menschen in Rosenheim Wirklichkeit geworden.
Senioren-Wohnprojekt in Rosenheim: Lieber gemeinsam statt einsam
von Sabine Hartleif
Bis ins hohe Alter selbstbestimmt leben, sich gegenseitig helfen und regelmäßig zusammen etwas unternehmen: Dieser Wunsch ist für sechs alleinstehende Seniorinnen und ein älteres Ehepaar in Rosenheim Wirklichkeit geworden. Ihre Hausgemeinschaft namens „Gloria“ gilt als bundesweites Vorzeigeprojekt.
Wieviele Bürgermeister, Gemeinderäte und Seniorengruppen aus ganz Deutschland sie schon durch das kleine Mehrfamilienhaus und ihre Wohnung geführt hat, weiß Erika Späth nicht mehr. Zu viele Interessenten wollten im Laufe der Jahre einen Blick in das schmucke Anwesen am Vorarlbergweg 4 in Rosenheim werfen und sich über die Senioren-Hausgemeinschaft informieren. Die meisten waren schlichtweg begeistert. So mancher ließ sich auch auf die Warteliste für eine freie Wohnung in diesem ruhigen, grünen Stadtviertel setzen. Die 75-jährige Erika Späth kann das gut verstehen. „Es ist wirklich ein Traum, hier zu leben“ sagt sie.
Das liegt zum einen an der guten Infrastruktur: Ein kleiner Supermarkt, ein Schreibwarenladen und ein Friseur sind zu Fuß erreichbar, und der Bus in die Innenstadt hält mehrmals stündlich gleich um die Ecke. Vor allem aber ging für Erika Späth und ihre Mitbewohnerinnen mit dem Einzug vor fast sieben Jahren ein langgehegter Wunsch in Erfüllung: Lieber gemeinsam statt einsam alt werden.
So lautete auch der Titel einer Veranstaltung, mit der im Jahr 2005 alles begann. Die damalige Senioren-Beauftragte des Landkreises, Edda Gorzel, hatte dazu alle interessierten Bürger eingeladen. Am Ende des Abends hatten sich Erika Späth, Traudl Maier, Maria Hentschel und zwei weitere alleinstehende Frauen gefunden. Später stießen noch eine Frau und ein Ehepaar zu der Gruppe.
„Ich wollte immer selbstbestimmt leben“
Bevor sie an ihr eigenes Alter dachte, hatte sich Traudl Maier jahrelang um ihre Eltern gekümmert. Die demenzkranke Mutter musste schließlich in einem Altersheim untergebracht werden. „Ich habe da erlebt, wie bei manchen Menschen alle Kontakte wegbrechen und sie völlig vereinsamen“, erzählt die 78-jährige. „Deshalb habe ich mir fest vorgenommen, so soll es bei mir einmal nicht laufen! Ich wollte immer selbstbestimmt leben und nicht fremdbestimmt.“ Auch Erika Späth setzte sich früh mit dem Altwerden auseinander.
Warum ihr die Idee zur Gründung einer Hausgemeinschaft gleich gefiel und was das Leben dort ausmacht, erzählt die Rentnerin in folgendem Audiobeitrag:
Mit Hartnäckigkeit und Ausdauer verfolgten Erika Späth und die anderen aus der Gruppe ihre Vorstellungen von einer Senioren-Wohngemeinschaft. Um das Pilotprojekt voranzutreiben, organisierten sie sich in dem Verein INAWO (Initiative Alternatives Wohnen). In Maria Weig fanden die Senioren eine auf altersgerechtes Wohnen spezialisierte Architektin und in der Wohnungsbau- und Sanierungsgesellschaft der Stadt Rosenheim (GRWS) einen idealen Investor für das öffentlich geförderte Bauvorhaben. Zu einem Preis von knapp sieben Euro Kaltmiete zogen die acht Mieter im Januar 2009 ein.
Einem flüchtigen Betrachter würde vermutlich nichts an dem Gebäude im Vorarlbergweg 4 auffallen. Wer genauer hinschaut, stellt beim Betreten jedoch ein paar Besonderheiten fest: Es gibt – abgesehen vom Treppenhaus – keine Stufen, die Gänge und Flure sind extra breit und die Türschlösser wurden so tief angebracht, dass sie auch von Rollstuhlfahrern ohne Probleme geöffnet werden können. Wer, wie die meisten Bewohner im Haus Gloria, noch rüstig ist, kann auf einem der Heimtrainer im Keller trainieren oder an gemeinsamen Gymnastikstunden teilnehmen. Eine wichtige Funktion erfüllt der Gemeinschaftsraum gleich neben der Eingangstür im Erdgeschoss.
Feste feiern und gemeinsam frühstücken
In diesem Zimmer mit dem großen Holztisch und den acht Lehnstühlen trafen sich die Bewohner anfangs jede Woche, um alle Fragen und Probleme zu besprechen. Denn es zeigte sich bald, dass das Zusammenleben nicht immer ganz einfach ist. „Das ist wie in einer Familie, da gibt es auch manchmal Streit“, sagt die 80-jährige Maria Hentschel. Inzwischen hat sich das meiste eingespielt und solche „Krisensitzungen“ finden nur noch hin und wieder statt. Geblieben ist das gemeinsame Frühstück einmal im Monat. Außerdem steigt in diesem Raum so manche Feier. Sei es, dass Bewohner zu ihrem Geburtstag einladen oder dass sie sich an Silvester zum Fondue-Essen treffen. Bekommt jemand Besuch von seiner Familie, kann er die Gäste in diesem Raum bewirten.
Für kleinere Kaffeerunden ist natürlich auch Platz in den Wohnungen. Sie sind alle ähnlich geschnitten: Ein Flur führt ins Wohnzimmer mit Küchenzeile und Essecke. Am anderen Ende befindet sich das Schlafzimmer. Dazwischen liegt, hinter einer Schiebetür, das behindertengerechte Bad. Der Hit im Sommer sind die großen Balkone beziehungsweise Terrassen sowie der Gemeinschaftsgarten mit zwei Hochbeeten und einer kleinen sonnengeschützten Sitzecke.
Seit ihrem Umzug ins Haus Gloria haben die meisten Bewohner zwar viel weniger Platz als früher in ihren eigenen Häusern. Aber dafür eine Gemeinschaft, die trägt, wenn sie einmal Hilfe brauchen. Erkrankt ein Bewohner, ist immer jemand da, der einen Tee oder eine Suppe vorbei bringt und der fragt: „Brauchst du was? Kann ich dir helfen?“ „Das funktioniert wirklich sehr gut“, freut sich Erika Späth. Hat sie Lust auf einen Ausflug, den Besuch eines Konzerts oder auf ein gemeinsames Mittagessen, ist immer jemand da, der sich ihr anschließt.
Noch immer ein voller Terminkalender
Legendär sind Traudl Maiers Zettel am Schwarzen Brett im Erdgeschoss. „Habe Kuchen übrig. Wer hat Lust, heute Nachmittag zum Kaffeetrinken zu kommen?“ So oder so ähnlich lauten die typischen Botschaften der unternehmungslustigen Seniorin, die noch immer einen vollen Terminkalender hat. Traudl Maier war es auch, die die Idee mit den Teddys hatte. Baumelt so ein kleiner Bär an der Wohnungstür, heißt das, die Bewohnerin ist da. Hängt kein Teddy an der Klinke, möchte sie nicht gestört werden, oder es ist niemand zu Hause.
Wenn Erika Späth demnächst wieder einmal eine Gruppe von Interessierten durch das Haus Gloria führt, dann hat die Sprecherin der Hausgemeinschaft vor allem zwei Tipps für die Besucher. Erstens: Mit der Planung bereits beginnen, wenn man sich noch fit und rüstig fühlt. Und zweitens: Sich sehr viel Zeit nehmen für das Kennenlernen und auch ruhig mal vor dem Einzug gemeinsam in den Urlaub fahren. Die Bewohner aus dem Vorarlbergweg 4 haben jedenfalls beste Erfahrungen damit gemacht.
Weiterführende Informationen:
Einen guten Überblick über alternative Wohnformen im Alter gibt das Deutsche Seniorenportal. Auf der Homepage ist auch ein Suchmodul für Mehrgenerationenhäuser integriert.
Eine ganz andere Art von Wohngemeinschaft verbirgt sich hinter dem Namen „Wohnen für Hilfe“. Statt Geld bekommen die zumeist älteren Eigentümer Hilfeleistungen von ihren jungen Untermietern. Als Faustregel hat sich durchgesetzt: Pro Quadratmeter Wohnraum eine Stunde Hilfe im Monat.
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